OGH 10ObS65/23s

OGH10ObS65/23s22.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Arnaud Berthou (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, geboren * 1956, *, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch die Dr. Modelhart & Partner Rechtsanwälte GesbR in Linz, wegen Kostenerstattung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2023, GZ 11 Rs 11/23 a‑26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. September 2022, GZ 36 Cgs 85/20v‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00065.23S.0622.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Revisionsgegenständlich ist (nur) die Höhe des (von den Vorinstanzen bejahten) Anspruchs des Klägers auf Ersatz der Kosten für die durchgeführte irreversible Elektroporation (IRE bzw „Nanoknife“).

[2] Beim Kläger wurde im August 2017 eine bösartige Erkrankung der Prostata diagnostiziert.

[3] Am 22. November 2017 ließ er daraufhin – nach einem bereits zuvor am 6. Oktober 2017 erfolgten MRT – eine sogenannte multiparametrische Magnetresonanztomographie durchführen. Die zum damaligen Zeitpunkt als experimentelle Methode angebotene IRE stand beim Kläger aufgrund seines Alters und des Gleason-Status zunächst nicht zur Diskussion, vielmehr wurde ein Operationstermin für eine Prostatektomie vereinbart.

[4] In der Folge entschied sich der Kläger jedoch für das IRE-Verfahren, dies vor allem aufgrund der geringeren Nebenwirkungen. Die IRE wurde am 26. Jänner 2018 durchgeführt, womit auch ein Aufenthalt vom 26. auf den 27. Jänner 2018 verbunden war. Nach der Operation erfolgten am 26. April 2018, 30. Juli 2018 und 28. Jänner 2019 weitere multiparametrische Magnetresonanztherapien.

[5] Für die Operation selbst wurden dem Kläger 14.700 EUR (ohne Umsatzsteuer) in Rechnung gestellt, die der Kläger auch zahlte.

[6] Bei der IRE handelt es sich zwar um ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren, dessen Einsatz in der Primärbehandlung von lokal begrenzten Prostatakarzinomen dessen ungeachtet aber zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund mangelnder Studiendaten noch als experimentell einzustufen ist. Allerdings war die IRE beim Kläger im konkreten Fall erfolgreich.

[7] Da die IRE derzeit noch als experimentell anzusehen ist, ist in der Satzung der Beklagten dafür weder ein Tarif noch ein Zuschuss vorgesehen. Die von der Beklagten mit dem Allgemeinen Krankenhaus Linz (nunmehr: Kepler Universitätsklinikum), den Oberösterreichischen Landeskrankenhäusern und den Ordensspitälern abgeschlossenen Ambulanzverträge sehen sechs OP-Gruppen vor, in die die einzelnen ambulanten Eingriffe je nach Schwierigkeit und Aufwand eingeordnet sind. Die IRE ist darin nicht aufgelistet. Der – höchste – Ambulanztarif für die OP-Gruppe 6 betrug für 2018 wertangepasst 874,97 EUR.

[8] Mit Bescheid vom 16. September 2020 lehnte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers auf Ersatz sämtlicher Kosten ab. Bei der IRE handle es sich nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode; der Kläger habe auch nicht nachgewiesen, dass diese im Einzelfall bei ihm erfolgreich gewesen sei.

[9] Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Erstattung sämtlicher, mit 17.253,70 EUR bezifferten Kosten.

[10] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Selbst wenn ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten im Einzelfall zu bejahen wäre, bestünde dieser keinesfalls in voller Höhe. Vielmehr würde dem Kläger lediglich der Pflegekostenzuschuss für die Dauer des stationären Aufenthalts gebühren bzw allenfalls eine Vergütung im Rahmen des Ambulanzkostenzuschusses.

[11] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 2.062,90 EUR statt und wies das Mehrbegehren ab. Da mangels eines in der Satzung der Beklagten festgesetzten Kostenzuschusses für die IRE-Behandlung auch dessen Heranziehung nicht in Betracht komme, sei ein angemessener Betrag zu bestimmen, der sich in erster Linie an ähnlichen Leistungen in der Honorarordnung des Krankenversicherungsträgers zu orientieren habe; eine Erstattung der Kosten nach Markttarifen komme hingegen nicht in Betracht. Die Abrechnung ambulanter Leistungen erfolge auf Grundlage von Ambulanzverträgen zwischen dem Krankenversicherungsträger und der betroffenen Anstalt. Auch die Beklagte habe mit den nächstgelegenen öffentlichen Krankenanstalten derartige Ambulanzverträge abgeschlossen. Angesichts des für die Behandlung notwendigen technischen Equipments und der Schwierigkeit der Behandlung sei der Tarif für die OP‑Gruppe 6 heranzuziehen, was für die durchgeführte Operation einen Betrag von 874,94 EUR ergebe.

[12] Das Berufungsgericht gab der – nur noch einen Kostenersatz in Höhe von (insgesamt) 11.760 EUR für die durchgeführte Operation, nämlich 80 % der dafür gezahlten 14.700 EUR geltend machenden – Berufung nicht Folge. Der Gesetzgeber habe hinsichtlich des Ausmaßes der Kostenzuschüsse von verbindlichen Vorgaben abgesehen und stattdessen die Festsetzung der Höhe der eigenen Verantwortung der Versicherungsträger überlassen. In diesem Sinn bestimme § 42 der Satzung der Beklagten, dass Versicherten, die eine ambulante Krankenbehandlung in einer Krankenanstalt in Anspruch genommen hätten, die nicht über Landesfonds finanziert werde und mit der keine diesbezügliche vertragliche Regelung bestehe, wenn auch keine vertragliche Regelung mit einer anderen vergleichbaren Krankenanstalt bestehe, ein Ambulanzkostenzuschuss in Höhe von 80 % der zum 31. Dezember 1996 regional anwendbaren Ambulanztarife mit der nächstgelegenen öffentlichen Krankenanstalt (mindestens jedoch 53,24 EUR pro Versicherungsfall), jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten gebühre. Dieser Kostenzuschuss sei vom Erstgericht nicht nur in Höhe des höchsten Ambulanztarifs für die OP‑Gruppe 6, sondern sogar zu 100 % (unbekämpft) zugesprochen worden. Weitere Ansprüche könne der Kläger aber nicht geltend machen. Die Revision sei zulässig, weil die Frage der Höhe eines allfälligen Kostenersatzes im Zusammenhang mit einer IRE‑Operation noch nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen worden sei.

[13] Dagegen richtet sich die – von der Beklagten beantwortete – Revision des Klägers, mit der er die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgebung der Klage (im Umfang von weiteren 10.825,06 EUR) anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig.

[15] 1.1. Nimmt der Versicherte nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers in Anspruch, so gebührt ihm nach § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten der Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Der Grundgedanke dieser Regelung ist es, dass der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt in Anspruch genommen hätte (RS0073064). Die Höhe der Kostenerstattung nach § 131 Abs 1 ASVG richtet sich nach dem vertraglich vereinbarten Tarif und setzt deshalb notwendig voraus, dass die in Rede stehende ärztliche Leistung auch von Vertragspartnern des Versicherungsträgers im Rahmen eines Vertragsverhältnisses erbracht und seitens des Versicherungsträgers honoriert werden hätte können.

[16] 1.2. Handelt es sich dagegen um Leistungen, die nicht Gegenstand eines Vertragsverhältnisses sind und für die daher keine Vertragsärzte zur Verfügung stehen, so kann § 131 Abs 1 ASVG nicht zur Anwendung kommen (RS0084810). Für den Fall, dass andere Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung stehen, sieht § 131b Abs 1 ASVG daher vor, dass der Versicherungsträger das Ausmaß der Kostenzuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten in seiner Satzung festzusetzen hat. Diese Satzungen sind Rechtsverordnungen, die im Rahmen der Selbstverwaltung der Krankenversicherungsträger erlassen werden (RS0053701). Der Gesetzgeber hat daher von verbindlichen Vorgaben abgesehen und statt dessen die Festsetzung der Höhe des Kostenzuschusses der eigenen Verantwortung der Versicherungsträger überlassen (RS0106241).

[17] 1.3. Fehlt – wie hier – ein anwendbarer Tarif und besteht auch keine einschlägige Satzungsregelung, besteht trotzdem ein Anspruch auf Kostenzuschuss, dessen Höhe sich an den für vergleichbare Pflichtleistungen festgelegten Tarifen zu orientieren hat (RS0113972 [T3]). Welche tariflich erfasste Pflichtleistung mit der im konkreten Fall erfolgten Behandlung vergleichbar ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt in erster Linie eine Tatfrage dar (RS0113972). Dabei kann es einerseits auf die Art der Leistungen an sich, also auf ihre Methode und ihren Zweck, andererseits aber auch auf den im Einzelfall erforderlichen Sach- und Personalaufwand ankommen (RS0113972 [T6]).

[18] 2. Die Vorinstanzen legten ihrer Beurteilung den höchsten regional anwendbaren Ambulanztarif (aufgewertet für 2018) zugrunde. Inwiefern eine solche Pflichtleistung mit der hier durchgeführten Operation auf Tatsachenebene – insbesondere hinsichtlich Sach- und Personalaufwand – nicht vergleichbar sein soll, führt der Kläger in der Revision nicht näher aus, sodass eine Überschreitung des dem Berufungsgericht zukommenden Beurteilungsspielraums nicht aufgezeigt wird. Die Vorinstanzen unterstellten dabei auch nicht einem bloßen Arbeitsbehelf rechtliche Verbindlichkeit, sondern zogen ihre Schlüsse aus (unbekämpft) festgestellten Ambulanzverträgen. Soweit der Kläger meint, dass der Aufwand einer Prostatektomie zu berücksichtigen sei, übergeht er, dass diese Behandlung gerade nicht durchgeführt wurde und dem anzustellenden Vergleich die im konkreten Fall erfolgte Behandlung zugrunde zu legen ist (RS0113972).

[19] 3.1. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

[20] 3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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