OGH 9ObA28/23t

OGH9ObA28/23t31.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D* V*, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei R*gesellschaft mbH & Co KG, *, vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausstellung eines Dienstzeugnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2023, GZ 7 Ra 79/22x‑42, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00028.23T.0531.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Ist das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat es eine solche verneint, ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich. Eine vom Berufungsgericht im Spruch oder den Entscheidungsgründen verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RS0042981; RS0042917).

[2] 2.1. Die Auslegung von Prozessvorbringen ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828) und stellt, soweit es sich – wie im vorliegenden Fall – um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0042828 [T23]).

[3] 2.2. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das vom Kläger gestellte „Alternativbegehren“ sei im Zusammenhang mit dem vom Kläger dazu erstatteten Vorbringen als Eventualbegehren zu verstehen, ist vertretbar und nicht weiter zu beanstanden. Mit dem Zuspruch des Hauptbegehrens wurde dem Kläger auch kein aliud oder mehr zugesprochen, als er begehrt hat. Das Klagebegehren ist daher insgesamt auch nicht unschlüssig.

[4] 3.1. Gemäß § 1163 Abs 1 Satz 1 ABGB ist dem Dienstnehmer bei Beendigung des Dienstverhältnisses auf sein Verlangen ein schriftliches Zeugnis über die Dauer und Art der Dienstleistung auszustellen.

[5] 3.2. Die Hauptfunktion des Dienstzeugnisses besteht in seiner Verwendung als Bewerbungsunterlage im vorvertraglichen Arbeitsverhältnis. Es dient dem Stellenbewerber als Nachweis über zurückliegende Dienstverhältnisse und dem präsumtiven Dienstgeber als Informationsquelle über die Qualifikation des Bewerbers (RS0111190). Das Dienstzeugnis hat daher vollständig und objektiv richtig zu sein; die Formulierung ist allerdings dem Dienstgeber vorbehalten (9 ObA 17/22y Rz 2 mwN).

[6] 3.3. Da das Dienstzeugnis dem Dienstnehmer die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern soll, muss es die Art der Beschäftigung in der üblichen Weise bezeichnen und sie unter Umständen auch näher schildern, wenn dies für das Fortkommen des Arbeitnehmers von Bedeutung sein kann (9 ObA 17/22y Rz 3 mwN; RS0029978 [T6]).

[7] 3.4. Ob der Inhalt eines konkreten Dienstzeugnisses den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist in der Regel eine Frage des Einzelfalls (9 ObA 17/22y Rz 4). Dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Inhalt eines Dienstzeugnisses in unvertretbarer Weise abgewichen wäre, vermag die außerordentliche Revision der Beklagten nicht aufzuzeigen. Insbesondere begründet sie nicht, weshalb mit der Bezeichnung „Elektrohelfer“ – wie sie dies in allen von ihr ausgestellten Dienstzeugnissen vorgenommen hat – hier das Auslangen gefunden werden kann, hat doch der Kläger nach den Feststellungen des Erstgerichts tatsächlich (höherqualifizierte) Tätigkeiten als „Elektroinstallationstechniker“ und als „Betriebselektriker“ verrichtet.

[8] 3.5. Dass die Formulierung des Dienstzeugnisses dem Dienstgeber vorbehalten ist, ist zweifelsohne richtig (9 ObA 164/08w; 9 ObA 17/22y Rz 2 uva). Entspricht aber – wie hier – der Inhalt des vom Dienstgeber ausgestellten Dienstzeugnisses nicht der tatsächlichen Tätigkeit des Dienstnehmers und verweigert der Dienstgeber die Korrektur eines mangelhaften Zeugnisses, kann der Dienstnehmer seinen (in natura bestehenden) Anspruch auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses (vgl 8 ObA 217/00w) durch ein bestimmtes Klagebegehren, in dem der Inhalt des gewünschten Arbeitszeugnisses aufgenommen ist (vgl 9 ObA 172/87; Reissner/Standeker in Reissner, AngG4 § 39 Rz 43), im Klagsweg durchsetzen (vgl Holzer/Vinzenz in Auer‑Mayer/Burgstaller/Preyer, AngG § 39 Rz 23).

[9] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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