OGH 3Ob98/23t

OGH3Ob98/23t25.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Kodek und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Dr. A* S*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, gegen die verpflichtete Partei I* GmbH, *, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Herausgabe (§ 346 EO), über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. März 2023, GZ 46 R 253/22d‑11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. Mai 2022, GZ 67 E 1823/22y‑3, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00098.23T.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die mit 2.667,48 EUR (darin enthalten 340,08 EUR USt und 627 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses werden der betreibenden Partei als weitere Exekutionskosten bestimmt.

 

Begründung:

[1] Mit rechtskräftigem und vollstreckbarem Urteil des Handelsgerichts Wien vom 1. 4. 2021, 42 Cg 56/16z, wurde zwischen dem Betreibenden als Kläger und der Beklagten, einer Gesellschaft nach englischem Recht mit Sitz im Vereinigten Königreich, festgestellt, dass der Treuhandvertrag zwischen den Streitteilen hinsichtlich einer (in Wien gelegenen) Liegenschaft samt darauf errichtetem Zinshaus aufgelöst ist. Die Beklagte wurde (unter anderem) verpflichtet, an den Kläger sämtliche Verwaltungsunterlagen, insbesondere Mietverträge, Mieterkontoauszüge, Eigentümerabrechnungen, Betriebskostenabrechnungen, Hauptmietzinsabrechnungen sowie die Buchhaltung zum Hauskonto samt Belegen betreffend die genannte Liegenschaft herauszugeben. Diesem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Betreibende die Treuhandschaft mit der Beklagten im Jahr 2015 beendete und diese zur Rückübertragung der Liegenschaft aufforderte. Mit Kaufvertrag vom 24. 1. 2019 – rund zweieinhalb Jahre nach Einbringung der Klage im Titelverfahren – verkaufte die Beklagte die Liegenschaft an die nunmehrige Verpflichtete, eine österreichische GmbH, deren Eigentum in der Folge im Grundbuch einverleibt wurde. Die Verpflichtete trat dem Titelverfahren als Nebenintervenientin auf der Seite der Beklagten bei.

[2] Der Betreibende beantragte unter Vorlage des genannten Titels, eines aktuellen Grundbuchauszugs und des notariellen Kaufvertrags zwischen der Beklagten und der Verpflichteten (unter anderem) die Bewilligung der Exekution zur Herausgabe der Verwaltungsunterlagen zu den Bestandverhältnissen im Zinshaus.

[3] Das Erstgericht bewilligte die Exekution antragsgemäß.

[4] Das Rekursgericht wies den Antrag auf Bewilligung der Herausgabeexekution ab. Die Bewilligung einer Exekution gegen einen anderen als den durch den Titel Verpflichteten setze gemäß § 9 EO voraus, dass die titulierte Verpflichtung auf jene Person übergegangen sei, gegen die die Exekution beantragt werde. Die Übertragung des Eigentums an einer Liegenschaft führe nicht automatisch zur Übertragung der Verpflichtung auf Herausgabe von liegenschaftsbezogenen Urkunden. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Herausgabeverpflichtung auf die Verpflichtete übergegangen sei. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu den Voraussetzungen der Rechtsnachfolge iSd § 9 EO bei der Herausgabeexekution keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe.

[5] Der Revisionsrekurs des Betreibenden ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1 Gemäß § 9 EO kann gegen einen anderen als den im Exekutionstitel Verpflichteten die Exekution nur soweit stattfinden, als durch öffentliche oder öffentlich-beglaubigte Urkunden bewiesen wird, dass die im Titel festgestellte Verpflichtung auf jene Person übergegangen ist, gegen die die Exekution beantragt wird. Zweck dieser Regelung ist es, Änderungen des Sachverhalts, die nach Schaffung des Titels eingetreten sind und eine Verschiebung der Rechtszuständigkeit mit sich gebracht haben, für die Exekutionsführung berücksichtigen zu können (vgl 3 Ob 14/11x). Grundsätzlich muss für die Anwendbarkeit des § 9 EO daher der Rechtsübergang nach Entstehung des Titels erfolgt sein.

[7] 1.2 Gemäß § 234 ZPO hat die Veräußerung einer in Streit verfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss; der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in den Prozess einzutreten. Diese Bestimmung verhindert, dass durch eine Rechtsnachfolge nach Streitanhängigkeit der Verlust der Sachlegitimation einer Partei zur Abweisung einer sonst begründeten Klage führt und ein zweiter Prozess mit dem Rechtsnachfolger geführt werden muss, wobei sich diese Kette theoretisch „ad infinitum“ fortsetzen könnte.

[8] § 234 ZPO ist nach der herrschenden Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme von § 406 ZPO, als für die Frage der Aktiv- bzw Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit und nicht jener des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz entscheidend ist (vgl RS0109183 [T1]). Der Geltendmachung eines Rechtsübergangs nach § 9 EO und damit der Exekutionsführung gegen den Rechtsnachfolger des im Titel Genannten steht daher nicht entgegen, dass der Rechtsübergang bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz des Titelverfahrens stattfand.

[9] 1.3 Wird die in Streit verfangene Sache (hier: die Liegenschaft) vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung im Titelverfahren veräußert, so geht der – erst in der Folge – titulierte Anspruch (bei Rechtsnachfolge auf Gläubigerseite) bzw die Verpflichtung (bei Rechtsnachfolge auf der Seite des Verpflichteten) gegebenenfalls ex lege auf den Erwerber (Einzelrechtsnachfolger) über, sodass die Exekution auch gegen diese Person geführt werden kann (siehe dieselben Parteien und denselben Titel betreffenden Entscheidungen 3 Ob 185/22k [Räumungsexekution]; 3 Ob 237/22g [Vormerkung des Eigentums]). Dazu ist durch öffentliche oder öffentlich-beglaubigte Urkunden zu beweisen, dass der im (späteren) Exekutionstitel festgestellte Anspruch oder die festgestellte Verpflichtung bereits vor Entstehung des Titels auf diejenige Person übertragen wurde oder übergegangen ist, von der oder gegen die die Exekution beantragt wird.

[10] 1.4 Eine solche Rechtsnachfolge iSd § 9 EO – und zwar hier auf der Seite der Verpflichteten – kann dann vorliegen, wenn die vom Titel erfasste Verpflichtung durch den Erwerbsvorgang auf den Erwerber übergeht. So gehen Ansprüche oder Verpflichtungen, die aus dem Eigentum an einer Liegenschaft abgeleitet werden, grundsätzlich auf den Erwerber der Liegenschaft über (Jakusch in Angst/ Oberhammer, EO3 § 9 Rz 24). Wird ein Bestandobjekt veräußert, so tritt der Erwerber gemäß § 1120 ABGB in die Position des Bestandgebers ein. Spätestens mit der Einverleibung seines Eigentumsrechts (vgl RS0021129) übernimmt der Erwerber die bestehenden Bestandverträge kraft Gesetzes, sodass zur Wirksamkeit des Vertragseintritts weder die Zustimmung noch die Kenntnis des Bestandnehmers erforderlich ist (RS0104141). Es kommt somit zu einer gesetzlichen Vertragsübernahme auf Bestandgeberseite (RS0021130 [T2]; vgl auch RS0011871 [T8, T10 und T13]).

[11] 2. Im Anlassfall hat der Betreibende durch die mit dem Exekutionsantrag vorgelegten öffentlichen Urkunden, nämlich den Exekutionstitel, den Kaufvertrag zwischen der Beklagten und der Verpflichteten und den Grundbuchauszug, den Erwerb der streitverfangenen Liegenschaft durch die Verpflichtete während des anhängigen Titelverfahrens nachgewiesen. Zudem ergibt sich aus dem Kaufvertrag, dass es sich beim Vertragsobjekt um ein Zinshaus handelt und eine Reihe von Bestandverträgen bestehen. Damit hat der Betreibende auch nachgewiesen, dass eine gesetzliche Vertragsübernahme auf Bestandgeberseite und in dieser Hinsicht ein Rechtsübergang auf die Verpflichtete als Erwerberin erfolgt ist.

[12] Die hier relevante titelmäßige Verpflichtung zur Herausgabe der Geschäftsunterlagen zu den Bestandverhältnissen resultiert aus der Position der Beklagten als Bestandgeberin, in die die Verpflichtete unmittelbar aufgrund des Gesetzes (§ 1120 ABGB) an Stelle der bisherigen Schuldnerin eingetreten ist. Damit ist auch die titelmäßige Verpflichtung auf die hier Verpflichtete übergegangen.

[13] 3. Nach der Rechtsprechung wird zwar bei Liegenschaften der Einzelrechtsnachfolger des Titelschuldners, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand gutgläubig Eigentum erworben hat, von der Rechtskraftwirkung eines gegen den Vormann ergangenen Urteils nicht erfasst, sodass der gegen den Vormann (Veräußerer) erwirkte Titel gegen den Rechtsnachfolger nicht vollstreckt werden kann (vgl RS0000304 [T2]; RS0000306 [T7]). Ein gutgläubiger Eigentumserwerb der Verpflichteten würde aber voraussetzen, dass sie die Liegenschaft im Vertrauen auf den Grundbuchstand gekauft hätte.

[14] Ein gutgläubiger Eigentumserwerb könnte allerdings nur mittels Impugnationsklage geltend gemacht werden, der betreibende Gläubiger hat also die Schlechtgläubigkeit des Erwerbs nicht bereits im Exekutionsantrag zu beweisen (vgl RS0000343). Abgesehen davon ergibt sich bereits aus dem Kaufvertrag – also einer öffentlich beglaubigten Urkunde iSd § 9 EO –, dass die Verpflichtete beim Erwerb der Liegenschaft in Kenntnis vom anhängigen Titelverfahren war. Diese Kenntnis schließt einen gutgläubigen Eigentumserwerb in gleicher Weise aus wie eine Klagsanmerkung. In beiden Fällen besteht für den Erwerber die Obliegenheit, geeignete Nachforschungen über den konkreten Verfahrensgegenstand anzustellen (3 Ob 185/22k).

[15] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 74 EO. Ein Zuspruch auch der Kosten der Rekursbeantwortung des Betreibenden kommt nicht in Betracht. Von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ist das Exekutionsverfahren nach wie vor einseitig. Die vom Betreibenden erstattete Rekursbeantwortung ist zwar mangels gesetzlicher Anordnung nicht zurückzuweisen (RS0118686 [T11]), sie diente allerdings nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und ist daher nicht zu honorieren (RS0118686 [T12]).

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