OGH 7Ob50/23p

OGH7Ob50/23p24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B* R*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Mag. Martin Paar und Andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 28.791,36 EUR sA (in eventu Feststellung) sowie Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2023, GZ 1 R 103/22g‑27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. April 2022, GZ 41 Cg 81/20z‑21, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00050.23P.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 526 Abs 2 ZPO).

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.804,50 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten 300,75 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Art 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

[… ]

1.3. Kostenvorschreibungen, die ihm zugehen, vor ihrer Begleichung unverzüglich dem Versicherer zur Prüfung zu übermitteln

1.4. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht oder die Kostenerstattung durch Dritte ganz oder teilweise verhindert.

[...]“

[2] Gegen den Kläger wurden Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Geschwindigkeitsübertretung sowieeiner unrichtiger Lenkerauskunft geführt.

[3] Die Beklagte gewährte dem Kläger für beide Verwaltungsstrafverfahren Rechtsschutzdeckung. Der Kläger beauftragte daraufhin mit Zustimmung der Beklagten den Klagevertreter mit der anwaltlichen Vertretung in beiden Verwaltungsstrafverfahren. Sie vereinbarten ein Honorar auf Basis der Allgemeine Honorar-Kriterien (AHK), wobei der Klagevertreter nach seiner Wahl auch jederzeit berechtigt ist, alternativ ein Stundenhonorar in Höhe von 300 EUR zuzüglich 20 % USt zu verrechnen.

[4] Im Verwaltungsstrafverfahren wegen der Geschwindigkeitsübertretung wurde über den Kläger eine Geldstrafe von 1.000 EUR verhängt. Es endete mit der Zurückweisung der außerordentlichen Revision des Klägers durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH). In dem wegen der unrichtigen Lenkerauskunft geführten Verwaltungsstrafverfahren wurde über den Kläger ebenfalls eine Geldstrafe von 1.000 EUR verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde vom VwGH im dritten Rechtsgang behoben und das Verfahren eingestellt.

[5] Der Klagevertreter legte eine Honorarnote über die Vertretung des Klägers im Verwaltungsstrafverfahren wegen unrichtiger Lenkerauskunft über insgesamt 49.791,36 EUR. Die Honorarnote übermittelte er der Beklagten und dem Kläger. Die Beklagte bezahltejedoch nur 21.000 EUR als angemessene Kostenim Sinn des Art 6.6.1 ARB und Art 1 AHK. Weiters erklärte sie, dem Kläger Kostendeckung im Rahmen der Versicherungsbedingungen für den Fall zu gewähren, dass der Klagevertreter den darüberhinausgehenden Honoraranspruch gegen ihn gerichtlich geltend machen sollte.

[6] Über Aufforderung des Klagevertreters bezahlte der Kläger schließlich ohne weitere Rücksprache mit der Beklagten den offenen Betrag von 28.791,36 EUR.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO) ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn die erhebliche Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112769 [T9, T11, T12]). Die Zurückweisung des Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[8] 1. Bei der Rechtsschutzversicherung sorgt der Versicherer für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers in den im Vertrag umschriebenen Bereichen und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten (§ 158j Abs 1 erster Satz VersVG).

[9] 2. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet daher Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 215/11k mwN). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Kostentragung (RS0081985 [T1]) im Umfang der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (7 Ob 123/20v).

[10] 3.1. Beim aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Anspruch handelt es sich (zunächst) um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch (7 Ob 143/20k mwN).

[11] 3.2. Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer diese entweder nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt. In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat (RS0127808 [T1]). Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt; dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen. Lehnt somit der Versicherer den Ausgleich aller oder eines Teils der verzeichneten Kosten ab, so besteht der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren hat; ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären (RS0127808 [T3]).

[12] 3.3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dem Kläger Abwehrdeckung für einen allfälligen Honorarprozess des Klagevertreters gegen ihn gewährt. Die Beklagtehat damit ihr Wahlrecht ausgeübt und dabeiden Kläger von den gesamten Kosten des Klagevertreters freigestellt. Erst nach dieser Erklärung der Beklagten bezahlte der Kläger die Honorarforderung seines Vertreters.

[13] 3.4. Nach ständiger Rechtsprechung verwandelt sich der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers in einen Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger befriedigt hat (RS0129063 [T1]).

[14] 3.5. In der jüngst ergangenen Entscheidung 7 Ob 208/22x hat der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass sich der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers auch dann in einen Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer verwandelt, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger trotz Zusage der Abwehrdeckung durch den Versicherer befriedigt hat.

[15] Der Honoraranspruch des Rechtsvertreters gegen den Auftraggeber und Versicherungsnehmer und die letzterem gegen seinen Versicherer zustehende Versicherungsleistung sind nämlich nicht zwingend deckungsgleich, wie etwa bei Vereinbarung eines – hier der Wahl des Rechtsanwalts anheimgestellten – Stundensatzhonorars. Diesfalls würde der Streit zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über die Höhe der Versicherungsleistung durch den Honorarprozess unnötig prolongiert werden, weil auch nach dessen rechtskräftiger Beendigung nicht feststehen würde, in welchem Ausmaß der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer zahlungspflichtig ist. Wollte man dagegen vom Versicherungsnehmer verlangen, sich in dieser Situation auf einen Honorarprozess einlassen zu müssen, weil andernfalls keine Wandlung des Befreiungsanspruchs in einen Kostenerstattungsanspruch stattfände, würden die Interessen des Versicherungsnehmers in unangemessener Weise beeinträchtigt, würde er doch die ihm gegen den Versicherer grundsätzlich zustehende, lediglich der Höhe nach bestrittene Ersatzleistung endgültig verlieren.

[16] 3.6. Der Fachsenat kam daher zum Ergebnis, dass es sachgerecht sei, letztlich den Versicherungsnehmer entscheiden zu lassen, ob er – mit Abwehrdeckung des Versicherers – den Honorarprozess mit seinem Rechtsvertreter oder nach Bezahlung seines Kostengläubigers einen Deckungsprozess mit seinem Rechtsschutzversicherer führen will.

[17] Dieses Recht kann der Versicherer – wie ebenfalls bereits in der Grundsatzentscheidung dargelegt – auch nicht dadurch konterkarieren, dass er dem Versicherungsnehmer die „Weisung“ erteilt, die Honorarnote seines Rechtsanwalts nicht zu bezahlen. Die Bezahlung des Rechtsvertreters nach Gewährung der Abwehrdeckung durch den Versicherer ist auch kein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit (Art 8.1.4. ARB 2003, § 62 Abs 1 VersVG), weil sich durch die Bezahlung lediglich der Anspruch des Versicherungsnehmers wandelt, nicht aber der Umfang der Ersatzpflicht des Versicherers.

[18] Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit der Versicherer durch diese Rechtsansicht „in die Rolle des Regressklägers“ gedrängt bzw „in unerwünschte Vertragsbedingungen zwischen dem Versicherungsnehmer und dem beauftragten Rechtsanwalt“ hineingezogen würde, ist doch gerade im Verfahren zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer zu klären, ob und in welchem Ausmaß der Versicherer aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrags zahlungspflichtig ist.

[19] Warum der Kläger gegen die Obliegenheit gemäß Art 8.1.3. ARB 2003 verstoßen haben soll, ist nicht nachvollziehbar, wurde der Beklagten doch die Honorarnote des Klagevertreters vor ihrer Begleichung durch den Kläger zur Prüfung übermittelt.

[20] 3.7. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich der Befreiungsanspruch des Klägers durch die Bezahlung der Honorarforderung des Klagevertreters in einen Geldanspruch umgewandelt hat, entspricht somit der rezenten Rechtsprechung. Ob das Leistungsbegehren des Klägers ganz oder teilweise zu Recht besteht oder die Beklagte aus anderen vorgebrachten Gründen ganz oder teilweise leistungsfrei ist, kann – aus den vom Berufungsgericht dargelegten Erwägungen – mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage derzeit nicht abschließend beurteilt werden, wobei zur Frage der Notwendigkeit und Angemessenheit der Kosten im Sinn von Art 6.3 und Art 6.6.1. ARB 2003 auf die Ausführungen in Punkt 5. der Entscheidung 7 Ob 208/22x hingewiesen wird.

[21] 4. Der Rekurs ist damit zurückzuweisen.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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