OGH 8Ob6/23z

OGH8Ob6/23z24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* F*, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. P* R*, vertreten durch Mag. Jörg Dostal, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 7.938,72 EUR (Revisionsinteresse), über den Rekurs der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2022, GZ 22 R 210/22v‑19, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Oberndorf bei Salzburg vom 12. Juli 2022, GZ 3 C 71/22f‑11, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00006.23Z.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teilurteils zu Recht erkannt:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 10.613,08 EUR samt Zinsen zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte ist seit 1. 6. 1985 Mieter einer nunmehr im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung. Unstrittig fällt das Mietverhältnis in den Teilanwendungsbereich des MRG. Der mit dem Rechtsvorgänger des Klägers ursprünglich befristet abgeschlossene, seit 1993 stillschweigend ohne weitere Befristung verlängerte Mietvertrag sah einen Mietzins von 7.000 ATS vor und enthält eine Indexvereinbarung auf Basis des Verbraucherpreisindex 1976 mit der Basisindexzahl für August 1984.

[2] Abweichend von dieser Vereinbarung erfolgten während des Mietverhältnisses keine Mietzinsänderungen unter Berufung auf Indexänderungen. Im Jahr 1995 kam es zu einer einvernehmlichen Erhöhung des Zinses auf 8.050 ATS, jedoch anlässlich einer Verkleinerung des Mietobjekts um ein Zimmer. Im Jahr 1998 wurde dieses Zimmer vom Beklagten neuerlich mitgemietet und der Mietzins gleichzeitig einvernehmlich auf 9.050 ATS erhöht. Diesen Betrag (nach der Euroumstellung 657,69) bezahlte der Beklagte monatlich zuzüglich Betriebskosten bis Ende 2018.

[3] Der Kläger ist seit 2001 Eigentümer des Mietobjekts. Im Zusammenhang mit einer anstehenden Sanierung des Hauses war der Kläger jahrelang bestrebt, die Miete zu erhöhen. Der Beklagte machte auch wiederholt aufgetretene Mängel seiner Wohnung geltend. Es kam darüber zu Gesprächen der Streitteile und zu Vorschlägen, die aber nichts Konkretes erbrachten. Der Kläger kannte zwar den Mietvertrag, konnte jedoch mit der Indexvereinbarung „nichts anfangen“. Er ließ sich darüber aber auch nicht rechtlich beraten, weil er die erwarteten Kosten scheute.

[4] Im Oktober 2018 teilte der Kläger dem Beklagten nach einem vorangegangenen Telefonat mit, dass er die Nettomiete ab 1. 1. 2019 auf 760 EUR erhöhen „möchte“. Der Beklagte akzeptierte dies und bezahlte in der Folge laufend diesen erhöhten Betrag (in den ersten Monaten durch Gegenverrechnung mit einem Betriebskostenguthaben).

[5] Im Dezember 2021 forderte der Kläger den Beklagten durch seinen anwaltlichen Vertreter auf, basierend auf der Entwicklung des VPI 1976 seit 1. 8. 1984, rückwirkend ab 1. 1. 2019 einen wertsicherungsbedingt angeglichenen monatlichen Mietzins von 1.038,23 EUR zu bezahlen. Ab 1. 2. 2022 forderte er wegen neuerlicher Überschreitung der Indexschwelle eine weitere Erhöhung auf 1.113,50 EUR monatlich.

[6] Der Beklagte erklärte, die Indexsteigerung nicht rückwirkend, sondern nur auf Basis des ab 1. 1. 2019 neu vereinbarten Mietzinses zu akzeptieren und bezahlte davon ausgehend seit 1. 2. 2022 monatlich 815,10 EUR zuzüglich Betriebskosten.

[7] Mit der am 31. 1. 2022 eingebrachten Klage wird die Zahlung von (ausgedehnt) 11.209,88 EUR an Mietzinsrückstand und Räumung begehrt.

[8] Der Beklagte wandte ein, er habe ab 1. 1. 2019 nur den auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers erhöhten Mietzins geschuldet. Nur dieser Betrag könne als Basis für Indexerhöhungen herangezogen werden, ein Rückstand bestehe nicht. Vorsichtshalber wende er einen Mietzinsminderungsanspruch aufgrund schwerer Mängel des Mietgegenstands aufrechnungsweise ein. Der ab 1. 1. 2019 vereinbarte Mietzins sei dem Zustand der Wohnung angemessen gewesen und daher vom Beklagten vorbehaltlos bezahlt worden. Dem Erhöhungsbegehren könne aber der Minderungsanspruch entgegengesetzt werden.

[9] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren über 10.613,08 EUR samt Zinsen mit Teilurteil statt und behielt sich die Entscheidung über das Mehrbegehren, das Räumungsbegehren sowie die Verfahrenskosten vor.

[10] Der Kläger sei zu einer rückwirkenden Geltendmachung der vertraglich vereinbarten Wertsicherung berechtigt. Die erfolgte Anpassung zum 1. 1. 2019 könne nicht als Verzicht auf eine Indexerhöhung, sondern lediglich als deren unrichtige Berechnung gewertet werden. Hingegen habe der Beklagte durch seine vorbehaltlose Bezahlung des verlangten Mietzinses auf die Geltendmachung einer Zinsminderung verzichtet.

[11] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass es das Zahlungsbegehren im Umfang von 2.674,36 EUR samt Anhang abwies. Im Übrigen hob es das Teilurteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

[12] Das Berufungsgericht billigte die Beurteilung, dass die vom Kläger vorgeschriebene Mietzinserhöhung ab Jänner 2019 keinen Verzicht auf die Geltendmachung einer höheren Indexsteigerung beinhaltet habe. Es liege auch keine Vereinbarung, sondern eine einseitige Erhöhung vor, bei der dem Kläger nicht bewusst gewesen sei, dass er auch mehr verlangen hätte können. Anders verhalte es sich aber in Bezug auf die vom Rechtsvorgänger des Klägers mit dem Beklagten geschlossenen Mietzinsvereinbarungen in den Jahren 1995 und 1998, die jeweils auch mit Änderungen des Vertragsgegenstands einhergegangen seien. In diesem Fall habe der Beklagte mangels eines ausdrücklichen Vorbehalts davon ausgehen dürfen, dass in der jeweils erhöhten Miete auch Indexsteigerungen aus der Vergangenheit enthalten waren. Ausgangspunkt für die Berechnung des Klagebegehrens seien daher richtigerweise der 1998 vereinbarte Mietzins sowie der damals zuletzt veröffentlichte Indexwert für Dezember 1997. Auf dieser Berechnungsgrundlage reduziere sich der Rückstand auf maximal 7.938,72 EUR, das Mehrbegehren sei abzuweisen.

[13] Der Beklagte sei auch nicht daran gehindert, nur gegen den Nachzahlungsbetrag einen Zinsminderungsanspruch einzuwenden. Da er den bisherigen Mietzins für dem Zustand der Wohnung angemessen erachtet habe, könne in der vorbehaltlosen Zahlung dieses Betrags allein noch kein Verzicht auf die Geltendmachung einer Minderung im Fall der rückwirkenden Mietzinserhöhung erblickt werden. Zur Prüfung dieser Einwendungen des Beklagten sei das Verfahren daher zu ergänzen und das Teilurteil insoweit aufzuheben.

[14] Das Berufungsgericht erklärte die Revision und den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auswirkung einer Änderung der Größe des Bestandobjekts auf die Wertsicherung und zur Geltendmachung eines Mietzinsminderungsanspruchs, der sich nur auf eine nachträglich geltend gemachte Zinserhöhung beschränkt, fehle.

[15] Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem er die Aufhebung und eine zur Gänze klagsabweisende Sachentscheidung anstrebt. Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel des Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Der Rekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts teilweise von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht. Der Rekurs ist dementsprechend auch berechtigt.

[17] 1. Aktenwidrigkeit haftet einer Entscheidung an, wenn Feststellungen im Widerspruch zum Inhalt einer unrichtig wiedergegebenen Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks getroffen wurden, sodass der rechtlichen Beurteilung ein fehlerhafter Sachverhalt zugrundeliegt (RIS‑Justiz RS0043347).

[18] Die Auslegung des Parteienvorbringens (hier: ob im Hinblick auf den Inhalt der allgemeinen Prozessbehauptungen des Beklagten auch eine Verzichtserklärung des Klägers als – gerade noch – vorgebracht anzusehen wäre) ist keine Frage der Aktenwidrigkeit, sondern der rechtlichen Beurteilung im Einzelfall (RS0042828). Eine Parteienaussage kann fehlendes Prozessvorbringen nicht ersetzen (RS0043157).

[19] 2. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird im Rekurs zwar angesprochen, aber in den Ausführungen nicht weiter dargelegt, gegen welche Verfahrensvorschrift das Berufungsgericht verstoßen haben soll.

[20] 3. In seiner Rechtsrüge macht der Rekurswerber geltend, dass das Berufungsgericht die Vorgänge rund um die Erhöhung des Mietzinses ab 1. 1. 2019 in unvertretbarer Weise rechtlich beurteilt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es einerseits die mit dem Rechtsvorgänger des Klägers erzielten Einigungen über die Erhöhung des Mietzinses als abschließend und auch die Wertanpassungen für die Vergangenheit umfassend beurteilt habe, andererseits aber an die in gleicher Weise zustande gekommene Einigung über die Erhöhung ab 1. 1. 2019 einen anderen Maßstab angelegt habe.

[21] Diese Ausführungen sind berechtigt. Der Senat vermag den rechtlichen Überlegungen des Berufungsgerichts zu Rechtsnatur und Wirkung der Mietzinserhöhung ab 1. 1. 2019 nicht beizutreten.

[22] Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist vom Wortlaut der Vereinbarung und der erforschten Parteienabsicht unter Berücksichtigung der redlichen Verkehrsübung unter Heranziehung des Parteienverhaltens und ihrer Erklärungen auszugehen, dies gemessen am Empfängerhorizont (RS0017915 [T2, T3, T19]). Die Auslegung hat sich primär am Wortlaut zu orientieren und nicht nach einem dem Adressaten nicht erkennbaren Parteiwillen zu fragen, vielmehr auf die Verständnismöglichkeit des Empfängers (RS0014205, Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 914 Rz 8).

[23] Der Kläger war als Vermieter nach dem MRG zu einer einseitigen Anhebung des Mietzinses grundsätzlich nur im Rahmen der vereinbarten Wertsicherungsklausel berechtigt.

[24] Seine im Dezember 2018 unterbreitete Ankündigung, den seit Jahren unveränderten Mietzins ab Jänner auf 760 EUR erhöhen zu wollen, konnte ein objektiver Erklärungsempfänger daher schon mangels rechtlich zulässiger Alternative nur dahin verstehen, dass der Kläger damit die Wertsicherung geltend machen, aber anstelle einer konkreten Berechnung eine Pauschalierung vornehmen wollte. Da eine beliebige Festsetzung des Zinses durch den Vermieter aber durch eine Wertsicherungsklausel nicht gedeckt ist, bedurfte das Pauschalanbot einer Annahme, die der Beklagte erteilt hat.

[25] Wegen der festgestellten jahrelangen Diskussionen um Mängel der Wohnung und der verschobenen Sanierung des Hauses war es im vorliegenden Fall für einen objektiven Betrachter auch plausibel, dass der Vorschlag des Klägers die nach dem Mietvertrag mögliche Wertsicherung nicht zur Gänze ausschöpfen wollte.

[26] Der Kläger war an die auf seinem eigenen, der Höhe nach willkürlich gewählten Anbot beruhende neue Mietzinsvereinbarung in der Folge gebunden. Der Rekurs zeigt auch zutreffend auf, dass diese Situation mit den Vereinbarungen in den Jahren 1995 und 1998 vergleichbar war. Diese Vereinbarungen waren zwar aus Anlass einer Verkleinerung und einer Wiedervergrößerung des Mietobjekts geschlossen worden, jedoch ohne nachvollziehbare rechnerische Bezugnahme auf diese Änderungen, vielmehr wurde der Mietzins 1995 trotz des Wegfalls eines Raums erhöht.

[27] Aus welchen Umständen für den Beklagten erkennbar gewesen wäre, dass der Kläger sich noch eine über den konkret geforderten Mietzins hinausgehende Indexerhöhung vorbehalten wollte, obwohl er ohnehin sofort den höheren Betrag und nicht nur einen Teil fordern hätte können, argumentieren die Vorinstanzen nicht. Sie begründen auch nicht, weshalb es dem Beklagten zur Last fallen sollte, dass der Kläger als Vermieter mehrerer Wohnungen mit einer Wertsicherungsklausel „nichts anfangen“ konnte, aber über Jahre hinweg auch nicht willens war, sich an einer geeigneten Stelle darüber zu informieren. Auch der Anwaltsberuf des Beklagten verpflichtete ihn nicht, zu seinem eigenen Nachteil seinem privaten Wohnungsvermieter Rechtsberatung zu erteilen, ohne dass dieser ihn darum gebeten hatte.

[28] Aufgrund der zwischen den Streitteilen ab 1. 1. 2019 zustandegekommenen Vereinbarung über einen monatlichen Mietzins von 760 EUR kam eine weitere Erhöhung unter Anwendung der Wertsicherungsklausel erst wieder in Frage, nachdem der zuletzt verlautbarte Indexwert (Dezember 2017) die nächste Schwelle überschritten hatte, was nach dem Klagsvorbringen ab Februar 2022 mit einer Steigerung von insgesamt 7,25 % der Fall war. Den sich daraus ergebenden erhöhten Mietzins von 815,10 EUR hat der Beklagte unstrittig auch bezahlt, sodass kein Rückstand offen ist. Das Zahlungsbegehren erweist sich daher als zur Gänze nicht berechtigt.

[29] 4. Der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung bedarf es damit nicht. Dem dagegen erhobenen Rekurs des Beklagten war Folge zu geben und in der Sache selbst (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO) das Teilurteil des Erstgerichts über den bereits im Berufungsverfahren rechtskräftig erledigten Teil hinaus im zur Gänze klagsabweisenden Sinn abzuändern.

[30] Der Kostenvorbehalt im Rechtsmittelverfahren über das Teilurteil beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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