OGH 2Ob88/23i

OGH2Ob88/23i16.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2019 verstorbenen H*, zuletzt *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Witwe M*, vertreten durch Dr. Borns Rechtsanwalts‑GmbH & Co KG in Gänserndorf, wegen verlassenschaftsgerichtlicher Genehmigung eines Gesellschafterbeschlusses, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. März 2023, GZ 43 R 522/22s-450, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00088.23I.0516.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen sprachen aus, ein – vom Verlassenschaftskurator zur Genehmigung vorgelegter – Gesellschafterbeschluss einer mehrheitlich von der Verlassenschaft gehaltenen Holding-GmbH über den Abschluss eines Pachtvertrags hinsichtlich einer Betriebsliegenschaft zwischen zwei ihrer Tochtergesellschaften bedürfe als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung.

Rechtliche Beurteilung

[2] Der außerordentliche Revisionsrekurs der erblichen Witwe ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

[3] 1. Der Verlassenschaftskurator ist Vermögensverwalter und Vertreter nur der Verlassenschaft, deren Interessen er zu wahren hat. Er handelt aber materiell für den oder die späteren wahren Erben. Für Vertretungshandlungen des Verlassenschaftskurators ist nicht die auf die Vertretung durch die Erben (Gesamtrechtsnachfolger) zugeschnittene Regelung des § 810 ABGB einschlägig, sondern vielmehr aufgrund der Verweisung in § 281 Abs 3 ABGB iVm § 258 Abs 4 ABGB die Regelung des § 167 Abs 3 ABGB anzuwenden. Danach bedürfen Vertretungshandlungen außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs der gerichtlichen Zustimmung (2 Ob 158/21f Rz 17 f mwN).

[4] 2. Ob die auch mit der Vertretung des Nachlasses verbundene Ausübung der Stimmrechte, die mit einem in die Verlassenschaft fallenden Geschäftsanteil verbunden sind, als ordentliche oder außerordentliche Verwaltung zu qualifizieren ist, richtet sich nach dem konkret zu beurteilenden Gegenstand der Beschlussfassung (vgl 2 Ob 158/21f Rz 20), im vorliegenden Fall also dem geplanten Abschluss eines Pachtvertrags zwischen den Tochtergesellschaften.

[5] 3. Angelegenheiten des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs sind (nur) solche, die nach Art und Umfang in die laufende oder gewöhnliche Vermögensverwaltung fallen, wobei als Kriterien insbesondere die Üblichkeit und das Risiko der zu beurteilenden Rechtshandlung für den Pflegebefohlenen (hier: Verlassenschaft) sowie die Vorläufigkeit oder Endgültigkeit einer bestimmten Maßnahme eine entscheidende Rolle spielen (6 Ob 143/22f Rz 39 mwN). Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Ausübung des Stimmrechts (vgl 1 Ob 245/12d). Die Frage, ob ein Geschäft zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört oder nicht und damit genehmigungsbedürfig ist, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf (RS0048151 [T6, T9]).

[6] 4. Wenn die Vorinstanzen unter Hinweis auf die Aufgabenverteilung in der Unternehmensgruppe und das fehlende eigene Nutzungsinteresse der Verpächterin als bloße Projektgesellschaft für die Errichtung der – von der Pächterin als operative Gesellschaft bereits genutzten – Produktionsstätte zum Ergebnis gelangt sind, die Beschlussfassung der Muttergesellschaft über den Pachtvertrag ihrer Tochtergesellschaften stelle trotz des langjährigen Verzichts der Verpächterin auf die (ordentliche) Kündigung bis 2041 und des hohen, aber fremdüblichen Jahrespachtzinses keine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung dar, ist dies im Einzelfall aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse und Hintergründe vertretbar.

[7] Mit dem bloßen Hinweis auf den Kündigungsverzicht und die Höhe des jährlichen Pachtzinses legt der Revisionsrekurs nicht dar, weshalb entgegen der Ansicht der Vorinstanzen mit der Stimmrechtsausübung für die Verlassenschaft ein Risiko oder eine Verpflichtung resultieren soll, die – gemessen an ihren wirtschaftlichen Verhältnissen (vgl EFSlg 137.636; vgl Mokrejs-Weinhappel in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 167 Rz 32; vgl Weitzenböck in Schwimann/Neumayr 5 § 167 ABGB Rz 12) – über den ordentlichen Wirtschaftsbetrieb hinausgeht.

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