OGH 9ObA24/23d

OGH9ObA24/23d27.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Thomas Schaden (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. A* E*, vertreten durch Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien und 2. M* T*, vertreten durch Schmidauer-Steindl-Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei G* GmbH, *, vertreten durch Mag. Thomas Lechner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2022, GZ 10 Ra 44/22x‑46, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. März 2022, GZ 8 Cga 14/21k‑40, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00024.23D.0427.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision der zweitklagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte betreibt Tageseinrichtungen für Erwachsene und Jugendliche mit schweren Behinderungen (Pflegestufe 5 bis 7). Sie führt auch deren Transporte zu und von den Tageseinrichtungen durch. Der Erstkläger war als Fahrer angestellt, der Zweitkläger als Fahrer und Haustechniker. Viele der Klienten/Klientinnen der Beklagten weisen aufgrund ihrer Beeinträchtigungen eine eingeschränkte Lungenfunktion auf und können deshalb keine FFP2‑Maske tragen. Manche Klienten/Klientinnen sind aus anderen Gründen zum bestimmungsgemäßen Tragen einer FFP2‑Maske nicht in der Lage. Teils ist es aus gesundheitlichen Gründen für die Klienten/Klientinnen nicht möglich, gegen Covid-19 geimpft zu werden. Die Einhaltung eines Sicherheitsabstands bei den Transporten – insbesondere beim Ein- und Ausladen der auf den Rollstuhl angewiesenen Klienten/Klientinnen – kann nicht gewährleistet werden. Es kam bei der Beklagten schon zweimal dazu, dass Fahrer bei den Transporten einen Klienten bzw eine Begleitperson mit dem Covid-19-Virus angesteckt hatten. Nach den Infektionsfällen und den daraus resultierenden Quarantäneanordnungen mussten die Einrichtungen weitgehend geschlossen werden.

[2] Im März 2021 wurden die Kläger von der Beklagten darauf aufmerksam gemacht, dass die Beklagte Überlegungen treffe, nicht gegen Covid‑19 geimpfte Mitarbeiter nicht weiter zu beschäftigen. Ende April 2021 sprach die Beklagte die Kündigung der beiden Kläger aus, weil sich diese nicht gegen Covid‑19 impfen ließen.

[3] Für die Kläger gab es im Betrieb der Beklagten keine andere Verwendungsmöglichkeit. Die Beklagte kündigte alle bei ihr angestellten Fahrer, die sich nicht impfen ließen.

[4] Der Zweitkläger focht die Kündigung wegen Vorliegens eines verpönten Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG und wegen Sozialwidrigkeit an. Zur Motivanfechtung brachte er vor, dass er der Beklagten mehrmals mit schlüssigen und nachvollziehbaren Argumenten erklärt habe, dass er sich insbesondere wegen der allfälligen mit der Impfung verbundenen Risiken und Nebenwirkungen nicht impfen lassen wolle. Die Impfung stelle einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und Integrität dar. Ohne Geltung einer gesetzlichen Covid‑19‑Impfpflicht hätte die Beklagte die Duldung eines derartigen Eingriffs nicht anordnen dürfen. Auch ein „Geimpfter“ könne das Covid‑19‑Virus übertragen. Zudem sei die Kündigung sozialwidrig, sittenwidrig und diskriminierend.

[5] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, sie habe sich aufgrund der sie gegenüber den Klienten und Klientinnen treffenden besonderen Schutzpflichten und zur Sicherstellung deren weiterer Betreuung dazu entschlossen, nur mehr durch eine Impfung immunisierte Mitarbeiter als Fahrer einzusetzen.

[6] Das Berufungsgericht wies das Begehren, die Kündigungen für rechtsunwirksam zu erklären, ab. Es ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zu einer Kündigung im Zusammenhang mit einer verweigerten Covid‑19‑Impfung.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision des Zweitklägers, die dem Obersten Gerichtshof erst nach der Entscheidung über die Revision des Erstklägers (9 ObA 116/22g) vorgelegt wurde, ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[8] Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile in den Entscheidungen 8 ObA 78/22m (ebenfalls betreffend eine Arbeitnehmerin der Beklagten) (ecolex 2023/146 [Mazal]) und 9 ObA 116/22g (betreffend den Erstkläger), denen vergleichbare Sachverhalte zugrunde lagen, zu den Voraussetzungen der Kündigungsanfechtung wegen eines verpönten Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG Stellung genommen. Auch für den vorliegenden Fall gilt daher Folgendes:

[9] 1.1. Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (RS0051666). Ziel des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ist es, dem Arbeitnehmer die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Unter „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ ist auch der Anspruch des Arbeitnehmers zu verstehen, zur Erfüllung seiner Hauptleistung nur in den durch Gesetz und Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen herangezogen zu werden und Arbeitsleistungen, die unter Missachtung dieser Grenzen angeordnet werden, zu unterlassen (RS0104686).

[10] 1.2. Von der „Geltendmachung“ eines Anspruchs kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann die Rede sein, wenn sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber im aufrechten Arbeitsverhältnis erkennbar – sei es auch nur konkludent – auf eine Rechtsposition beruft (9 ObA 223/93 = DRdA 1994/38 [W. Anzenberger]; 8 ObA 298/99b = DRdA 2000/58 [Kürner]; RS0051666 [T11]). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, lässt sich dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt, an den der Oberste Gerichtshof gebunden ist, aber nicht entnehmen. Zutreffend ist zwar, dass die Beklagte ihre Arbeitnehmer nicht verpflichten kann, sich gegen Covid‑19 impfen zu lassen, ihr steht es aber grundsätzlich frei, Arbeitnehmer, die ihrer Anordnung zur Impfung nicht nachkommen, nicht weiter zu beschäftigen.

[11] 1.3. Selbst unter der Annahme, ein Arbeitnehmer habe durch seine Weigerung sich gegen Covid‑19 impfen zu lassen, die Rechtsposition vertreten, zur Impfung nicht verpflichtet zu sein, wäre § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG nicht anwendbar. Diese Bestimmung setzt nämlich unter anderem auch voraus, dass der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch „in Frage gestellt“ hat (9 ObA 237/99i). Ein Anspruch wird vom Arbeitgeber „in Frage gestellt“, wenn er ihn – was nur bei Leistungsansprüchen möglich ist – nicht erfüllt oder – was bei allen Ansprüchen möglich ist – wenn er seine Berechtigung in Zweifel zieht (9 ObA 114/93). Derartiges ist hier nicht ersichtlich.

[12] Nach den Feststellungen war (auch) der Zweitkläger von der Beklagten vor die Wahl gestellt worden, sich einer Covid‑19‑Impfung zu unterziehen, um seine Tätigkeit als Fahrer weiterhin ausüben zu können, oder die Vornahme dieser Impfung abzulehnen. Wie bereits in den Entscheidungen 8 ObA 78/22m und 9 ObA 116/22g ausgeführt, hat die Beklagte die Haltung des Arbeitnehmers, sich nicht impfen zu lassen, damit nicht in Zweifel gezogen. Sie hat vielmehr ihren Standpunkt zu erkennen gegeben, dass der Kläger ihr gegenüber nicht zur Vornahme einer Impfung verpflichtet sei, sie ihn aber bei endgültiger Ablehnung der Impfung nicht weiterbeschäftigen wolle, um den Schutz ihrer besonders vulnerablen Klienten und Klientinnen zu gewährleisten.

[13] 2. Weitere Fragen der Anwendung des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG auf eine Kündigung wegen Verweigerung einer Covid‑19‑Impfung stellen sich (auch) hier nicht.

[14] 3. Sittenwidrig ist eine Kündigung nach § 879 ABGB nur dann, wenn der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven, Gebrauch gemacht hätte (RS0016680 [T4]). Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0016680 [T7]). Dass das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hätte (RS0042881 [T8]), zeigt der Zweitkläger in seiner Revision nicht auf. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung des Zweitklägers, der aus persönlichen Gründen der Impfanordnung der Beklagten nicht Folge leisten wollte, sei nicht zu missbilligen, weil die Impfanordnung der Beklagten in der pandemischen Krisensituation dem Gesundheitsschutz von besonders vulnerablen Personen mit eingeschränkter Lungenfunktion beim Transport und der möglichst gefahrlosen Betreuung in den Tageseinrichtungen gedient habe, ist nicht zu beanstanden. Ob auch das Tragen einer FFP2‑Maske einen entsprechenden Schutz vor Übertragung des Covid‑19‑Virus geboten hätte (darauf pocht der Zweitkläger), ist nicht entscheidend, weil es die Impfanordnung der Beklagten in der damaligen Situation mit dem damaligen allgemeinen Wissensstand nicht in einem anderen Licht erscheinen ließe.

[15] 4. Auf welchen Diskriminierungstatbestand sich der Zweitkläger stützen möchte, führt er auch in seiner Revision nicht an.

[16] 5. Da Fragen zum Verbreitungsrisiko und zur Transmissionswahrscheinlichkeit durch nicht immunisierte Personen für die Berechtigung des Klagebegehrens nicht von Belang sind, zeigt der Kläger keine Mangelhaftigkeit oder Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens auf (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[17] Da die Revision des Zweitklägers damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen.

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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