OGH 10ObS41/23m

OGH10ObS41/23m25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Ing. Mag. Wilhelm Deutschmann, MBA, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Februar 2023, GZ 11 Rs 79/22 z‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00041.23M.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin bezieht seit 4. September 2014 eine monatliche rumänische (Brutto-)Rente. Die Klägerin ist verwitwet und seit 2008 bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in Österreich wohnhaft.

[2] Sie musste seit ihrem Einzug in deren Haus bis zu der der Erlassung des bekämpften Bescheids vom 1. Februar 2022 nachfolgenden Auszahlung der Ausgleichszulage (als Vorschuss) keine Miete, keine Betriebskosten oder Sonstiges zahlen. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn stellten der Klägerin auch das Essen unentgeltlich zur Verfügung und bestritten ihre sonstigen Lebenshaltungskosten. Es wäre der Klägerin ansonsten nicht möglich gewesen, ihren Lebensunterhalt in Österreich zu finanzieren. Die Klägerin und ihre Tochter bzw ihr Schwiegersohn haben nicht vereinbart, dass der Klägerin diese Lebenshaltungskosten vor Auszahlung der Ausgleichszulage bloß vorgestreckt bzw kreditiert werden und sie die vorgestreckten Beträge nach Auszahlung der Ausgleichszulage nach Möglichkeit wieder an die Tochter bzw den Schwiegersohn rückerstattet.

[3] Die Klägerin muss auch nach Erhalt der Ausgleichszulage keine Miete oder anteilige Betriebskosten an ihre Tochter und ihren Schwiegersohn zahlen. Diese stellen ihr zudem das Essen unentgeltlich zur Verfügung.

[4] Mit (den Streitteilen am 13. Jänner 2022 zugestelltem) Urteil des Erstgerichts vom 20. Oktober 2021 zu AZ 64 Cgs 105/20s (idF: Vorverfahren) wurde „festgestellt, dass der Klägerin ab 1. Februar 2015 der Anspruch auf Anerkennung der Ausgleichszulage zusteht“.

[5] Mit „Bescheid“ vom 1. Februar 2022 sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt aus, dass „mit gerichtlichen Urteil vom 20. Oktober 2021 […] der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage ab 1. Februar 2015 anerkannt“ werde und bestimmte die Höhe der monatlich zustehenden Beträge ab 1. Februar 2015. Gleichzeitig sprach sie aus, dass die Ausgleichszulage ab 1. Februar 2015 als Vorschuss ausgezahlt und über die gebührende Ausgleichszulage zu einem späteren Zeitpunkt bescheidmäßig entschieden werde.

[6] Die Klägerin begehrte erkennbar die Zahlung einer Ausgleichszulage in gesetzlicher Höhe ab 1. Februar 2015. Im Verfahren bezifferte sie die monatlichen Beträge für die Vergangenheit. Ein Abzug für die freie Station sei nicht gerechtfertigt, weil sie dafür selbst aufgekommen sei und aufkomme.

[7] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Da die Klägerin keine Miete, Betriebskosten oder Sonstiges zahlen müsse und von Tochter und Schwiegersohn auch das Essen und sonstige Lebenshaltungskosten unentgeltlich zur Verfügung gestellt würden, sei die volle freie Station als Sachbezug anzurechnen.

[8] Das Erstgericht bestimmte die Höhe der ab 1. Februar 2015 zustehenden monatlichen Beträge wie im „Bescheid“ vom 1. Februar 2022 (unter Anrechnung der freien Station) und sprach aus, dass die Ausgleichszulage ab 1. Februar 2015 „als Vorschuss ausgezahlt“ und über die gebührende Ausgleichszulage ab diesem Datum „zu einem späteren Zeitpunkt bescheidmäßig entschieden“ werde. Weiters wies es das Klagebegehren auf Zahlung einer monatlichen Ausgleichszulage in voller (näher bestimmten) Höhe samt Zinsen ab. Die Gewährung eines Sachbezugs in Form der vollen freien Station durch Gewährung eines freien Quartiers und freier Verköstigung sei anzurechnen. Die von der Klägerin behauptete Rückzahlungsvereinbarung bestehe nicht, sodass sich die Frage nicht stelle, ob eine solche die Gewährung der vollen freien Station gemäß § 292 Abs 3 ASVG ausschließe.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es verwarf die Tatsachen- und die Mängelrüge. Die der Klägerin gewährte freie Station (Quartier und Verpflegung) sei bei der Berechnung der Ausgleichszulage als Sachbezug mit Versorgungscharakter mit dem in § 292 Abs 3 ASVG für maßgeblich erklärten Bewertungssatz zu berücksichtigen. Ob sich die Tochter und der Schwiegersohn moralisch verpflichtet fühlten, der Klägerin zu helfen, sei rechtlich irrelevant.

Rechtliche Beurteilung

[10] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[11] 1.1. Vorauszuschicken ist, dass der Anspruch der Klägerin auf die Ausgleichszulage ab 1. Februar 2015 dem Grunde nach im Vorverfahren „festgestellt“ wurde. Richtigerweise wäre der Anspruch der Klägerin entweder in Form eines Leistungsbefehls in bestimmter Höhe zuzusprechen oder – allerdings nur bei Vorliegen der Voraussetzungen (s dazu Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 89 ASGG Rz 4; für den Fall der Ausgleichszulage s RIS‑Justiz RS0085739) – nach § 89 Abs 2 ASGG ein Grundurteil zu fällen und der Beklagten die Erbringung einer vorläufigen Leistung aufzutragen gewesen. Auch unrichtigerweise anders formulierte Urteile iSd § 89 Abs 2 ASGG werden jedoch als Grundurteile iSd § 89 Abs 2 gedeutet (RS0115846; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 89 ASGG Rz 7). Das Urteil im Vorverfahren sprach jedenfalls nur über den Grund des Anspruchs ab und ist daher – unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 89 Abs 2 ASGG vorlagen – als Grundurteil iSd § 89 ASGG anzusehen. Der fehlende Auftrag einer vorläufigen Zahlung wäre (bis zur Erlassung eines Bescheids über die Leistungshöhe: Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 89 ASGG Rz 15) von Amts wegen oder auf Antrag zu ergänzen gewesen (RS0085734).

[12] 1.2. Aufgrund einer Entscheidung nach § 89 Abs 2 ASGG ist der Versicherungsträger kraft Gesetzes zur Erlassung eines Bescheids über die endgültige Höhe der Leistung verpflichtet; gegen diesen (neuen) Bescheid kann der Versicherte, wenn er mit der festgesetzten Höhe nicht einverstanden ist, neuerlich mit Klage vorgehen (RS0085701). Wird der Bescheid über die Leistungshöhe nicht fristgerecht erlassen, kann Säumnisklage erhoben werden (ErlRV 7 BlgNR 16. GP  59; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 89 ASGG Rz 19).

[13] 1.3. Tatsächlich hat die Beklagte die Leistungshöhe nicht festgesetzt, sondern mit „Bescheid“ vom 1. Februar 2022 lediglich einen Vorschuss gewährt und die Entscheidung über die Höhe der Ausgleichszulage ausdrücklich einer bescheidmäßigen Erledigung vorbehalten. Die Verständigung über die Gewährung eines Vorschusses wird grundsätzlich nicht als Bescheid angesehen, sodass dadurch kein Klagerecht eröffnet wird (vgl RS0085514; Kneihs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 368 ASVG Rz 17 [Stand 1. 10. 2019, rdb.at]). Die Frage, ob im vorliegenden Fall (entgegen seinem Inhalt) ein Bescheid vorliegt, kann aber dahinstehen, weil der Klägerin nach Ablauf der Frist ohnedies die Säumnisklage zustand; diese Frist war angesichts der Erlassung des Urteils im Vorverfahren zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (vgl dazu RS0085636; RS0085867 [T15]) bereits abgelaufen.

[14] 1.4. Die Zulässigkeit des Rechtswegs wurde von den Vorinstanzen daher zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Dagegen, dass das Erstgericht lediglich einen Vorschuss iSd § 368 Abs 2 ASVG zusprach und das darüber hinausgehende auf Erbringung der Leistung gerichtete Klagebegehren abwies, wendet sich die Klägerin in der Revision nicht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit vgl RS0085539; zur Formulierung s 10 ObS 364/89 SSV‑NF 4/1).

[15] 2.1. In der außerordentlichen Revision macht die Klägerin geltend, dass das Berufungsgericht den in der Berufung geltend gemachten Verfahrensmangel (behauptete mangelhafte Beweiswürdigung) nicht aufgegriffen habe und wiederum nur die einseitige Beweiswürdigung des Erstgerichts bestätigt habe. Dies stelle einen wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens dar.

[16] 2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz – auch in Sozialrechtssachen (RS0043061) – nicht in der Revision geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0043061 [T18]; RS0042963 [T58]).

[17] 3.1. In der Rechtsrüge vertritt die Klägerin weiterhin den Standpunkt, dass ihr die freie Station nicht „gewährt“ worden sei, weil ihre Tochter und ihr Schwiegersohn keine andere Möglichkeit gehabt hätten, vorerst diese Kosten zu übernehmen bzw vorzustrecken, weil die Klägerin andernfalls nicht in Österreich bleiben oder hier ihr Auskommen nicht hätte bestreiten können. Eine tatsächliche Leistung des Kostenersatzes sei der Revisionswerberin gegenständlich rein faktisch nicht möglich gewesen.

[18] 3.2. Soweit die Klägerin behauptet, dass ihre Tochter und ihr Schwiegersohn die Kosten für Quartier und Verpflegung nur „vorerst“ übernommen bzw vorgestreckt hätten, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, nach dem eine solche Vereinbarung gerade nicht getroffen wurde. Die Klägerin musste und muss für Quartier vielmehr nichts zahlen und ihr wurde auch die Verpflegung unentgeltlich zur Verfügung gestellt.

[19] 3.3. Im Übrigen hat bereits das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verwiesen, dass grundsätzlich alle (nicht durch § 292 Abs 4 ASVG ausdrücklich ausgenommenen) Bezüge in Geld oder Geldeswert als Einkünfte im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, gleichgültig aus welchem Rechtstitel sie zufließen, ob sie auf einem gesetzlichen oder vertraglichen Anspruch beruhen oder etwa nur freiwillig geleistet werden (RS0085296). Mit der Bezugnahme auf bestimmte Motive für die Leistung der Sachbezüge (Unterkunft, Verpflegung), zeigt die Klägerin eine Abweichung der Beurteilung des Berufungsgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht auf (10 ObS 80/17p [insb Pkt 2.5]).

[20] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.

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