OGH 1Ob23/23y

OGH1Ob23/23y25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*, emeritierter Rechtsanwalt, *, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 252.916,80 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 182.373,04 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 10. November 2022, GZ 5 R 50/22w-34, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. Februar 2022, GZ 11 Cg 95/21w-29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00023.23Y.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.160 EUR bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger (ein emeritierter Rechtsanwalt) wirft den Organen der Beklagten vor, gesetzwidrig ein – mit Freispruch beendetes – Strafverfahren ua wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung sowie ein – letztlich gemäß § 190 Z 2 StPO eingestelltes – Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verleumdung gegen ihn geführt zu haben. Er begehrt den Ersatz der Kosten für seine rechtsanwaltliche Vertretung im Strafverfahren (69.545,68 EUR), für seine Selbstverteidigung im Strafverfahren (21.829,48 EUR) sowie im Ermittlungsverfahren (23.541,64 EUR) und für eine von einem Unternehmen des Klägers erstellte Analyse zum Nachweis eines fehlenden Anfangsverdachts (18.000 EUR); zudem den Ersatz eines Verdienstentgangs (50.000 EUR) und Schmerzengeld für erlittene psychische Beeinträchtigungen (70.000 EUR).

[2] Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Begehren im Umfang von insgesamt 182.373,04 EUR ab. Dem Ersatz der im Strafverfahren entstandenen Verteidigungskosten von 69.545,68 EUR und Selbstverteidigungskosten im Umfang von 21.511,36 EUR stehe eine Verletzung der Rettungspflicht nach dem AHG entgegen, weil der Kläger keinen Einstellungsantrag nach § 108 StPO gestellt habe. Darüber hinaus sei das Begehren auf Ersatz der Kosten der Selbstvertretung sowohl für das Strafverfahren (im Umfang von 20.484 EUR) als auch für das Ermittlungsverfahren im Umfang von 23.316 EUR unschlüssig geblieben. Das gelte auch für die Kosten von 18.000 EUR für die eingeholte „Analyse“ und für den Verdienstentgang von pauschal 50.000 EUR.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Teilurteil sowie dessen Begründung und ließ die Revision zur Frage zu, ob ein Einstellungsantrag nach § 108 StPO unter den Rechtsmittelbegriff des § 2 Abs 2 AHG falle.

[4] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769 [T9]; RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]).

[6] 1.1. Der Fachsenat hat jüngst in der Entscheidung1 Ob 22/23aauf Grundlage eines gleichgelagerten Sachverhalts (selbes Ermittlungsverfahren) ausführlich zur Frage Stellung genommen, ob das Unterlassen eines Einstellungsantrags nach § 108 StPO in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Verletzung der Rettungspflicht iSd § 2 Abs 2 AHG zu begründen vermag und ist zusammengefasst zu folgendem Ergebnis gekommen:

[7] Der Einstellungsantrag nach § 108 StPO bietet dem Beschuldigten die Möglichkeit, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vom Gericht kontrollieren zu lassen. Er löst letztlich dessen Entscheidungspflicht aus, wobei die Verfahrenseinstellung keine Ermessensentscheidung ist. Erscheint ein Freispruch wahrscheinlicher als ein Schuldspruch, ist das Ermittlungsverfahren einzustellen. Der Antrag nach § 108 StPO ist daher geeignet, weitere Kosten des Beschuldigten hintanzuhalten, was – im Einklang mit der rechtswissenschaftlichen Literatur – seine Qualifikation als Rechtsmittel iSd § 2 Abs 2 AHG rechtfertigt.

[8] Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach es sich beim Antrag nach § 108 StPO um ein Rechtsmittel iSd § 2 Abs 2 AHG handelt, begegnet daher keinen Bedenken. Ob dies auch für einen Antrag nach § 106 StPO zutrifft, muss nicht geprüft werden.

[9] 1.2. Der Kläger legt nicht konkret dar, warum der Einstellungsantrag nach seiner abstrakten Wirkungs-möglichkeit zu einer Schadensabwehr ungeeignet gewesen wäre. Ausgehend von der Klagebehauptung, das Strafverfahren sei willkürlich, gesetzwidrig und unter Begehung von vorsätzlichen Strafhandlungen gegen ihn geführt worden, ist nicht ersichtlich, warum der Antrag ex ante offenbar aussichtslos gewesen sein soll, bietet er seiner Art nach doch gerade Abhilfe gegen solche (behaupteten) grob fehlerhaften Ermittlungshandlungen. Da die Eignung eines Rechtsbehelfs zur Schadensabwehr ex ante zu beurteilen ist, kommt es auch nicht darauf an, ob dem Einspruch des Klägers gegen die Anklage Folge gegeben wurde, und ob Einstellungsanträge anderer Beschuldigter erfolgreich waren.

[10] 1.3. Im Allgemeinen begründet bereits das Unterlassen eines Rechtsbehelfs iSd § 2 Abs 2 AHG ein Verschulden (RS0027565 [T2, T4]). Ob ein solches anzunehmen ist, bildet typischerweise keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage (RS0087606 [T4, T30]).

[11] Besondere Umstände, warum das hier anders sein sollte, zeigt der Kläger nicht auf (vgl wiederum 1 Ob 22/23a).

2. Zur (teilweisen) Unschlüssigkeit

[12] 2.1. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn es aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Setzt sich ein auf einen einheitlichen Anspruchsgrund gestütztes Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammen, kann auch ein Verweis auf dazu vorgelegte Urkunden ausreichen (RS0037907 [T14, T19]). Eine Aufschlüsselung im Vorbringen wäre nur erforderlich, wenn dies dem Kläger im Einzelfall (RS0037907 [T16]) zumutbar ist (RS0037907 [T13]), was in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (vgl allgemein RS0037780).

[13] 2.2. Aufwendungen, die einem Verfahrensbeteiligten durch eine rechtlich unvertretbare Verfahrensführung erwachsen, können ein ersatzfähiger Rettungsaufwand sein, soweit sie zweckmäßig und angemessen waren (RS0023516 [T5]; RS0023577 [T3, T5]; RS0106806).

[14] 2.3. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass im konkreten Fall nicht geprüft werden könne, ob der für die Selbstvertretung getätigte Aufwand im Umfang von insgesamt 44.827,36 EUR zur zweckentsprechenden Verteidigung notwendig und angemessen gewesen sei, ist nicht korrekturbedürftig, weil der Kläger die einzelnen – den beiden begehrten Pauschalbeträgen zugrundeliegenden – Leistungspositionen weder in seinem Vorbringen noch in den beiden vorgelegten Honorarnoten betragsmäßig aufgeschlüsselt hat, obgleich diese einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal zugänglich sind und insofern kein einheitlicher Anspruch vorliegt. Dem Einwand des Klägers, er habe während der psychisch und physisch belastenden Verfahren keinen „Taxameter“ eingeschaltet, ist zu entgegnen, dass er ja sehr wohl zu einer Leistungsaufstellung in der Lage war, die zudem zeigt, dass er dem für das Strafverfahren geltend gemachten Pauschalbetrag offenkundig Leistungen zugrunde legt, die bereits in der Kostennote seines Rechtsanwalts abgerechnet wurden. Auch für die „Analyse“ begehrt der Kläger bloß eine Pauschale, ohne die dieser zugrundeliegenden Leistungen zu beziffern oder auch nur näher darzustellen. Ausführungen zum von den Vorinstanzen ebenfalls als unschlüssig beurteilten Verdienstentgang enthält das Rechtsmittel überhaupt nicht. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zeigt der Kläger daher auch insoweit nicht auf.

[15] 3. Weiterer Feststellungen bedurfte es einerseits wegen Verletzung der Rettungspflicht und andererseits schon mangels Schlüssigkeit des Klagebegehrens (RS0037755 [T3]) nicht.

[16] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Bei der mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage ausgesprochenen Zurückweisung einer Revision gegen ein Teilurteil findet kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO statt (RS0123222). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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