OGH 4Ob38/23a

OGH4Ob38/23a25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek, sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Arneitz & Dohr, Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch Dr. de Cillia – Mag. Kalmann, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 9.106,12 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 24. November 2022, GZ 1 R 179/22a‑46, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 3. Juni 2022, GZ 7 C 217/21g‑42, geändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00038.23A.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Leasingnehmer eines Pkws. Dieser wurde beschädigt, als das vor dem Haupt-/Kundeneingang zu den Geschäftsräumen der Beklagten aufgespannte Membrandach unter der Schneelast einstürzte.

[2] Das Fahrzeug hatte die Tochter des Klägers an dieser Stelle geparkt, obwohl sie als Mieterin einer Wohnung auf derselben Liegenschaft einen eigenen Stellplatz an anderer Stelle hatte und ihr das Abstellen von Fahrzeugen innerhalb des Betriebsgeländes der Beklagten im Mietvertrag untersagt worden war.

[3] Die Zufahrt zu den Mietwohnungen und ihren Stellplätzen auf der Liegenschaft führt unter dem Membrandach hindurch. Die Beklagte wusste auch, dass dort selbst außerhalb der Geschäftszeiten wiederholt unerlaubter Weise Fahrzeuge zum Schutz vor Witterung abgestellt wurden.

[4] Der Kläger begehrte den Ersatz der Reparaturkosten als Schadenersatz nach § 1319a ABGB.

[5] Die Beklagte wendete unter anderem ein, dass der Einsturz ein unvorhersehbares und schicksalhaftes Ereignis gewesen sei. Zumindest sei dem Kläger aber als Mitverschulden anzurechnen, dass seine Tochter das Fahrzeug unbefugt unter dem Dach abgestellt habe.

[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Membrandach sei bereits bei seiner Errichtung mangelhaft gewesen, weil sein Einsturz bei einseitigem Abrutschen von Schnee vorhersehbar gewesen sei. Die Beklagte habe aber alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet, indem sie den Mietern das Abstellen von Fahrzeugen auf dem gesamten Betriebsgelände untersagt habe. Wer sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben habe, könne nicht damit rechnen, dass Schutzmaßnahmen zugunsten unbefugt Eindringender getroffen würden.

[7] Das Berufungsgericht gab der Klage statt. Weder der Kläger noch die Beklagte seien Parteien jenes Mietvertrags, der das Verbot des Abstellens von Kfz auf dem Betriebsgelände der Beklagten enthalte. Dieser sei vielmehr zwischen den Grundstückseigentümern und der Tochter des Klägers geschlossen worden. Das Abstellen des Fahrzeugs unter dem Dach trotz Untersagung im Mietvertrag sei auch nicht als „echtes Handeln auf eigene Gefahr“ zu qualifizieren.

[8] Es ließ die Revision zu, weil es nur wenige und darüber hinaus konträre Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Frage gebe, ob Bewahrungsgehilfen nach § 1313a oder § 1315 ABGB zuzurechnen seien.

[9] Die Revision der Beklagten strebt eine gänzliche Klagsabweisung an. Sieistungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Zur Gehilfenzurechnung auf Seiten des Geschädigten gibt es bereits eine gefestigte Rechtsprechung mit rezenten Entscheidungen.

[11] 1.1. Gemäß § 1304 ABGB trägt der Schädiger den Schaden nur verhältnismäßig, wenn auch ein Verschulden des Geschädigten vorliegt.

[12] Ob und unter welchen Umständen dabei das Verhalten Dritter zuzurechnen ist, wird für den Schädiger in den §§ 1313a (für Erfüllungsgehilfen) und 1315 ABGB (für Besorgungsgehilfen) ausdrücklich geregelt. Eine entsprechende gesetzliche Regelung für die Zurechnung Dritter als Mitverschulden auf Seiten des Geschädigten fehlt (sogenannte Bewahrungsgehilfen, vgl RS0124431, RS0026815).

[13] 1.2. Dass trotzdem auch auf Seiten des Geschädigten eine Zurechnung von Gehilfen erfolgen muss, ist herrschende Ansicht. Unterschiedlich gesehen wird dagegen der Umfang der Zurechnung.

[14] Ältere Entscheidungen plädieren für eine Zurechnung des Gehilfen des Geschädigten, sobald der Betreffende mit Willen des Geschädigten zumindest partiell die Gewahrsame über dessen Rechtsgut ausübt (5 Ob 51/04t mwN). Wer seine Güter einem Gehilfen anvertraue, gehe stets und insoweit das Risiko der Beschädigung durch den Gehilfen ein, als er bei dessen Zahlungsunfähigkeit oder Haftungsbefreiung den Schaden selbst tragen müsse. Da er den Nutzen aus der Tätigkeit des Gehilfen ziehe, sei es dem Geschädigten auch eher als dem Dritten zuzumuten, einen durch den Gehilfen angerichteten Schaden zu tragen (1 Ob 76/98b).

[15] 1.3. Die inzwischen gefestigte jüngere Rechtsprechung folgt für das Ausmaß der Zurechnung jedoch der Gleichbehandlungsthese. Sie tritt für eine spiegelbildliche Zurechnung von Gehilfen sowohl auf Seiten des Schädigers als auch auf Seiten des Geschädigten ein: Bei einer vertraglichen Beziehung haften also Schädiger und Geschädigter für ihre Gehilfen unter den Voraussetzungen des § 1313a ABGB, ohne Sonderrechtsbeziehung nur nach jenen des § 1315 ABGB. Somit ist im Fall einer deliktischen Schädigung auch dem Geschädigten das Mitverschulden seiner Hilfspersonen („Bewahrungsgehilfen“) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1315 ABGB zuzurechnen (RS0124431, insbesondere 4 Ob 204/08s mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstands; so auch jüngst 4 Ob 17/21k).

[16] 1.4. Die Lösung des Berufungsgerichts entspricht dieser gefestigten jüngeren Rechtsprechung: Da zwischen dem Kläger und der Beklagten keine vertragliche Beziehung bestand, muss der Kläger für allfälliges Fehlverhalten seiner Tochter beim Abstellen des Kfz nur nach § 1315 ABGB einstehen. Dass diese eine habituell untüchtige oder gefährliche Person sei, wurde im vorliegenden Verfahren nicht einmal behauptet.

[17] 1.5. Die Beklagte versucht in der Revision die Zurechnung des Verhaltens der Tochter auch aus einer (analogen) Anwendung von § 7 Abs 2 EKHG abzuleiten.

[18] Diese Norm rechnet das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die geschädigte Sache ausübt, auch außerhalb von Schuldverhältnissen dem Geschädigten zu. Sie ist jedoch nur dann anzuwenden, wenn durch einen Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn oder beim Betrieb eines Kfz ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil das Kfz des Klägers im Zeitpunkt der Beschädigung nicht in Betrieb war.

[19] Eine analoge Anwendung der Bestimmung außerhalb der Gefährdungshaftung wird abgelehnt (Danzl, EKHG10 § 7 [2018] Fn 8 mwH).

[20] 2. Auch die übrigen, in der Revision aufgeworfenen, Rechtsfragen sind nicht von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung:

[21] 2.1. Die Beklagte meint, dass die Vorinstanzen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Beweislastverteilung für die mangelnde Beschaffenheit des Gebäudes abgewichen seien.

[22] § 1319 ABGB normiert keine Erfolgshaftung. Der Gebäudehalter haftet vielmehr nur, wenn eine Gefahr äußerlich erkennbar war oder doch vorausgesehen werden konnte (RS0023525). Dabei muss der Gebäudehalter beweisen, alle zur Gefahrenabwehr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben (RS0023525 [T14]).

[23] Die Tatsacheninstanzen gingen in diesem Fall davon aus, dass der Hauptsteher des Membrandachs eingeknickt war, obwohl die zulässige Schneelast weder nach der zum Errichtungszeitpunkt noch nach der aktuell gültigen Schneelastnorm auch nur annähernd erreicht war. Ursache war ein einseitiges Abrutschen des Schnees, also ein aufgrund der beweglichen Dachkonstruktion vorherzusehendes Ereignis. Dass das Erstgericht zu einzelnen Detailfragen zum Zustand des Membrandachs Negativfeststellungen traf, steht daher nicht in Widerspruch zur Ansicht der Vorinstanzen, dass die mangelnde Beschaffenheit des Dachs als erwiesen anzusehen sei.

[24] 2.2. Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass ihr der Entlastungsbeweis gelungen sei. Sie sei nämlich nicht verpflichtet gewesen, einen Fachmann beizuziehen.

[25] Nach den Feststellungen hätte ein Fachmann dem Geschäftsführer der Beklagten schon am Vormittag des Unfalltags im Hinblick auf den vorhergesagten anhaltenden Schneefall geraten, nicht nur die Verkehrsflächen, sondern auch das Membrandach abzuräumen. Die Beklagte misst dieser Passage aus dem Ersturteil aber offenbar einen anderen Bedeutungsgehalt zu als die Vorinstanzen.

[26] Aus ihr kann nämlich nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass für den Geschäftsführer selbst die Gefahr nicht erkennbar gewesen wäre. Laut dem Sachverhalt kann nämlich bereits eine Schneedecke von 0,5 m für die Konstruktion des Membrandachs bedenklich werden, sodass ein Abräumen durch den Verantwortlichen – gemeint ist offensichtlich der Gebäudehalter, nicht ein besonderer Fachmann – angezeigt ist. Als der Geschäftsführer der Beklagten auf der Liegenschaft am Morgen des Vortags Schnee räumte, befand sich kein Fahrzeug unter und eine bereits 0,4 m hohe Schneedecke auf dem Membrandach. Bis Mitternacht fielen insgesamt 0,7 m Neuschnee. Der Einsturz erfolgte in der Nacht.

[27] Die Ansicht der Vorinstanzen, dass der Geschäftsführer angesichts der leicht erkennbaren Schneehöhe und der Wettervorhersage Maßnahmen hätte ergreifen müssen, lässt sich nur anhand der Umstände des Einzelfalls überprüfen und beruht auf einer jedenfalls vertretbaren Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze.

[28] 2.3. Schließlich moniert die Beklagte, dass dieSchädigung des konkreten Leasingfahrzeugs nicht zu erwarten gewesen sei, weil es nach den Feststellungen noch nie zuvor unter dem Membrandach gestanden habe. Überhaupt habe die Beklagte während eines COVID‑19‑Lockdowns nicht mit Fahrzeugen unter dem Membrandach rechnen müssen.

[29] Auch während des Lockdowns im Jänner 2021 herrschte keine völlige Ausgangssperre. Selbst wenn die Beklagte keinen Kundenverkehr hatte, musste sie sehr wohl damit rechnen, dass die Mieter ihre Wohnungen verlassen würden, wozu sie über das Betriebsgelände gehen oder fahren mussten.

[30] Der Beklagten war auch bekannt, dass in der Vergangenheit Fahrzeuge unter dem Membrandach gestanden waren – auch außerhalb ihrer Geschäftszeiten. Dass das nun beschädigte Leasingfahrzeug bislang nicht dabei gewesen war, mindert die Pflicht der Beklagten zur Gefahrenabwehr nicht. Es genügt, dass die Gefährdung von Rechtsgütern Dritter absehbar war. Nicht erforderlich war eine exakte Vorhersagbarkeit, welche und wessen konkrete Rechtsgüter zu Schaden kommen werden.

[31] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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