OGH 8ObA12/23g

OGH8ObA12/23g21.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ass.‑Prof. Mag. Dr. E*, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal *, vertreten durch Hosp, Hegen & Partner Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Anfechtung der Betriebsratswahl, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 2023, GZ 12 Ra 73/22z‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00012.23G.0421.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Am 18. 10. 2021 wurde die Gruppenversammlung des wissenschaftlichen Personals der P* Universität * zur Wahl des Wahlvorstands für die Wahl des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal abgehalten. Aufgrund eines von der Personalabteilung am 20. 10. 2021 übermittelten Verzeichnisses mit 2003 Arbeitnehmern erstellte der Wahlvorstand eine 1982 Personen umfassende Wählerliste. Dagegen wurden keine Einsprüche erhoben.

[2] In diesem Wählerverzeichnis waren 141 Personen, vor allem Tutoren und Lektoren, nicht enthalten, deren Arbeitsverträge rückwirkend zum 1. bzw 15. 10. 2021 abgeschlossen wurden. Darüber hinaus fehltenim Wählerverzeichnis 19 Personen, die am Tag der Gruppenversammlung bereits für die Universität tätig waren, wovon zwei aber noch nachträglich in die Wählerliste aufgenommen wurden. Bei der Wahl des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal am 24. und 25. 11. 2021 wurden 509 gültige Stimmen abgegeben, wovon 336 auf die erste Liste und 173 auf die zweite Liste entfielen, was elf bzw fünf Mandaten im Betriebsrat entspricht.

[3] Die Vorinstanzen haben die Wahl für ungültig erklärt, weil zumindest 17 für die Universität wahlberechtigte Arbeitnehmer nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen worden seien, obwohl sich dadurch die Mandatsverteilung im Betriebsrat verändern hätte können.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Beklagten ist mangels einer im konkreten Fall zu lösenden Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

[5] 1. Nach § 59 Abs 1 ArbVG sind die einzelnen Wahlberechtigten berechtigt, die Wahl des Betriebsrats beim Gericht anzufechten. Der Revisionswerber macht geltend, dass die Klägerin als Mitglied des Wahlvorstands dennoch nicht aktiv anfechtungslegitimiert sei, weil sie die Wählerliste nicht überprüft habe und den Fehler daher selbst verantworte. Dem Gesetz ist eine solche Einschränkung der Anfechtungsbefugnis nicht zu entnehmen. Dementsprechend ist auch allgemein anerkannt, dass auch Mitglieder des Wahlvorstands anfechtungsberechtigt sind (Schneller in Gahleitner/Mosler 2 § 59 ArbVG Rz 18; Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6 [2014] 215). Da das Gesetz hier selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft, liegt trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS‑Justiz RS0042656).

[6] 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einer älteren Entscheidung noch zum BRG die Auffassung vertreten, dass eine Person, die in der Wählerliste nicht aufscheint und dagegen keine Einwendungen erhoben hat, nicht wahlberechtigt und damit auch nicht anfechtungsberechtigt sei (VwGH 1704/64 Arb 8.193 = ZAS 1967/4 [Floretta]). Der Oberste Gerichtshof hat diese Rechtsansicht aber bereits zu 9 ObA 22/91 mit umfassender Begründung verworfen und ausgesprochen, dass das Unterlassen eines Einspruchs das Recht zur Anfechtung der Betriebsratswahl nicht ausschließt. Diese Rechtsansicht wurde vom Obersten Gerichtshof zu 9 ObA 121/05t bestätigt und von der Lehre gebilligt (Geppert, DRdA 1991/42; Windisch‑Graetz in Tomandl, § 59 ArbVG Rz 12; Löschnigg in Jabornegg/Resch, § 59 ArbVG Rz 21; Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 55 ArbVG Rz 18 ua). Da der Revisionswerber keine Argumente bringt, die ein Abgehen von dieser Rechtsprechung rechtfertigen könnten, liegt auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0042405; RS0103384).

[7] 3. Nach § 59 Abs 1 ArbVG setzt eine Anfechtung der Betriebsratswahl voraus, dass durch die Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann eine solche Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens insbesondere darin gelegen sein, dass wahlberechtigte Personen nicht in die Wählerliste aufgenommen wurden (9 ObA 22/91; 9 ObA 121/05t; 9 ObA 154/21v). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Unvollständigkeit der Wählerliste an sich geeignet war, die dort nicht angeführten Arbeitnehmer von einer Wahlbeteiligung abzuhalten, ist damit von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt. Der Revisionswerber kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich die betroffenen Arbeitnehmer auch dann nicht an der Wahl beteiligt hätten, wenn sie in die Wählerliste aufgenommen worden wären, weil nach der Rechtsprechung schon die objektive Eignung des Fehlers, das Wahlergebnis zu beeinflussen, ausreicht (RS0113481).

[8] 4. Die vom Revisionswerber relevierte Frage, ob die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses zur Wahlberechtigung führen kann, muss im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden, weil schon die Beteiligung jener 17 Personen, die am Tag der Gruppenversammlung bereits für die Universität tätig und damit wahlberechtigt waren, aber nicht in die Wählerliste aufgenommen wurden, zu einer Veränderung der Mandatsverteilung führen hätte können.

[9] 5. Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

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