OGH 7Ob42/23m

OGH7Ob42/23m19.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. R* und 2. C*, beide *, beide vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 20. Februar 2023, GZ 1 R 180/22h‑16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00042.23M.0419.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer verschiedener Grundstücke einerEZ. Auf einem Grundstück stehen das Wohnhaus der Kläger und ein Wirtschaftsgebäude. Eines der Grundstücke umschließt die Bauparzelle der Kläger und wird als Garten und „sonstige Fläche zum Haus“ genutzt. Zwei weitere Grundstücke schließen südlich und östlich an. Auf diesen Grundstücken befinden sich ein Schneckengarten, Bienenstöcke und Obstbäume. Das Grundstück der Nachbarin der Kläger grenzt östlich an die letztgenannten Grundstücke an. Die Grenzen der Katastermappe stimmen nicht exakt mit dem Naturstand überein. Die Grundstücke der Beteiligten sind nicht im Grenzkataster einverleibt.

[2] Am 14. 3. 2018 schloss der Erstkläger bei der Beklagten einen Versicherungsvertrag, der den Rechtsschutzbaustein „Grundstückseigentum und Miete“ beinhaltet. Die Zweitklägerin ist mitversichert. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2018 (ARB 2018) zu Grunde. Als Versicherungsbeginn war der 14. 3. 2018 vereinbart. Der Versicherungsvertrag wurde am 8. 4. 2020 – hier nicht weiter interessierend – geändert, hinsichtlich der Rechtsschutzversicherung wurden dabei die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2019 (ARB 2019) vereinbart.

[3] Diese (gleichlautenden) ARB lauten auszugsweise:

Gemeinsame Bestimmungen

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…] 3. […] gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquate ursächliche Verstoß maßgeblich.[…]

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten. [...]

Artikel 12

Was gilt als Versicherungsperiode, wann ist die Prämie zu bezahlen und wann beginnt der Versicherungsschutz? [...]

3. Der Versicherungsschutz tritt grundsätzlich mit der Einlösung der Polizze (Punkt 2.) in Kraft, jedoch nicht vor dem vereinbarten Versicherungsbeginn. […]

Besondere Bestimmungen

Artikel 24

Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf die Selbstnutzung des versicherten Objektes und/oder die Gebrauchsüberlassung am versicherten Objekt.“

[4] Die Nachbarin der Kläger schickte dem Erstkläger im März 2022 ein Schreiben, in dem sie ihm vorwarf, der umzäunte Garten, den er im nördlichen Teil einer seiner Grundstücksparzellen zwischen 2009 und 2011 errichtet habe, rage mehr als 500 m² in ihre Parzelle hinein. Er habe außerdem im nördlichen Teil der Parzelle der Nachbarin zwischen 2003 und 2009 eine Fläche aufgeschüttet. Die Nachbarin habe davon bis Februar 2021 nichts gewusst. Den Klägern aber sei die Grenzverletzung bewusst. Der Erstkläger habe anlässlich eines Gesprächs im August 2021 erklärt, dass er bereits vor Jahren alle Grenzsteine entfernt habe und man nach 30‑jähriger Nutzung einen Grund ersitzen könne. Die Nutzung eines Teils der Parzelle der Nachbarin sei nach Ansicht des Erstklägers schon immer so praktiziert worden. Der Erstkläger habe seit Sommer 2021 weitere Bäume auf dem Grundstückder Nachbarin gepflanzt und seine Nutzung intensiviert. Falls keine Lösung gefunden werde, bleibe der Nachbarin daher nur eine Besitzstörungsklage oder Eigentumsfreiheitsklage.

[5] Die Kläger begehrten – stark zusammengefasst – von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für eine Auseinandersetzung der Kläger mit der Nachbarin, vor allem für eine Klage auf Feststellung, dass die von der Nachbarin in ihrem Brief aus März 2022 in diesem Umfang in Streit gezogene Grundfläche Teil der Liegenschaft der Kläger sei, und für die Rechtsverteidigung gegen die in diesem Zusammenhang von der Nachbarin angekündigten Gerichtsverfahren.

[6] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – Vorvertraglichkeit ein.

[7] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab; das Erstgericht ging davon aus, dass die von der Nachbarin in Streit gezogene Grundfläche gar kein vom Rechtsschutzbaustein des Art 24 ARB umfasstes versichertes Objekt sei.

[8] Das Berufungsgericht beurteilte – im Wesentlichen – die den Klägern von der Nachbarin vorgeworfenen Verstöße als Eintritt des Versicherungsfalls und damit als vorvertraglich; darüber hinaus erachtete es das Klagebegehren als zu unbestimmt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Kläger zeigenmitihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[10] 1. Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, muss die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls (RS0080003) während des versicherten Zeitraums beweisen.

[11] 2. Der Rechtsstreit fällt unstrittig unter den Baustein „Grundstückseigentum und Miete“. Die Beurteilung des Versicherungsfalls orientiert sich gemäß Art 24.4 ARB 2019 unstrittig an Art 2.3. ARB 2019. Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne Weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war. Es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangen, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001). Es ist grundsätzlich auf den ersten Verstoß abzustellen (RS0114209).

[12] 3.1. Die Kläger vertreten die Ansicht, der Keim des Rechtskonflikts liege im Schreiben der Nachbarin aus März 2022; allenfalls in dem Gespräch im Jahr 2021. Dabei übersehen sie, dass dieser Keim des Rechtskonflikts und damit der Verstoß als Eintritt des Versicherungsfalls in der Nutzung der von der Nachbarin in ihrem Schreiben angeführten Teilfläche des Grundstücks – welches die Nachbarin als zu ihrem gehörig erachtet, die Kläger dagegen als von ihnen zu Recht benutzt – ab der im Jahr 2003 begonnenen Aufschüttung und der Anlegung des Gartens im Jahr 2009 liegt. Beide Ereignisse liegen lange vor Abschluss des Versicherungsvertrags. Durch die Beanstandung aktualisiert sich nur der bereits in der Nutzung dieses Grundstücksteils gründende Rechtskonflikt (vgl 7 Ob 194/18g zur fehlerhaften Belehrung durch den Lebensversicherer; 7 Ob 144/10t).

[13] 3.2. Dabei ist es im Ergebnis unerheblich, ob die Kläger Rechtsschutz für einen Aktiv- oder Passivprozess oder – wie hier – für beides anstreben. Es ist letztlich vom Zufall abhängig, ob sich der Versicherungsnehmer in einem Aktiv- oder einem Passivprozess befindet, sodass sich eine Differenzierung zur Festlegung des Versicherungsfalls verbietet. Nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats werden grundsätzlich vom Gegner behauptete Verstöße des Versicherungsnehmers zur Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls in der Rechtsschutzversicherung herangezogen. Für die Beurteilung der Frage, ob Versicherungsschutz zu gewähren ist, ist entscheidend, ob die Behauptung des Gegners des Versicherungsnehmers Grundlage der außergerichtlichen Auseinandersetzung oder des Prozesses wird. Ist dies der Fall, dann gilt der Versicherungsfall im Zeitpunkt des (vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten) Beginns des Verstoßes des Versicherungsnehmers als eingetreten (vgl etwa 7 Ob 36/18x unter Ablehnung der [jüngeren] gegenteiligen Rechtsprechung des BGH). Grundlage der bevorstehenden Auseinandersetzung der Kläger mit ihrer Nachbarin ist in jedem Fall die Nutzung des in Streit gezogenen Grundstücksteils durch die Kläger, die jedenfalls lange vor Abschluss des Versicherungsvertrags begonnen hat.

[14] 4. Vor diesem Hintergrund haben die Vorinstanzen die Deckungsklage der Kläger zu Recht abgewiesen.

[15] 5. Die Revision war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

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