European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00012.23W.0315.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach § 16 Abs 1 RAO kann der Rechtsanwalt mit der Partei sein Honorar frei vereinbaren. Diese Bestimmung gewährleistet die Privatautonomie zwischen Klient und Rechtsanwalt (7 Ob 259/10d). Die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für das Anwaltshonorar lautet: 1. Parteienvereinbarung, 2. RATG und 3. angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, wobei jede Rechtsgrundlage die nachfolgende ausschließt (RS0071999). Der Rechtsanwalt hat seinem Klienten gegenüber also in erster Linie Anspruch auf das vereinbarte Entgelt. Nur mangels Vereinbarung hat er Anspruch auf angemessenes Entgelt, wobei bei Ansprüchen, für die ein Tarif besteht, in der Regel nur der entsprechende Tarifsatz als angemessenes Entgelt anzusehen ist (vgl RS0038356).
[2] 2. Die Parteien vereinbarten eine Abrechnung nach Stundensatz (zunächst 380 EUR netto bzw 320 EUR netto für Leistungen eines Rechtsanwaltsanwärters). Die kurz darauf vereinbarte monatliche „Pauschalierung“ mit 6.000 EUR netto war in Wahrheit keine echte Pauschalvereinbarung, sondern beinhaltete lediglich für Leistungen im Ausmaß von 24 Stunden pro Monat eine Reduktion des Stundensatzes auf pauschal 250 EUR netto (unabhängig davon, ob die Leistungen von der drittbeklagten Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwaltsanwärter erbracht wurden), während vereinbarungsgemäß für Mehrleistungen ein (gegenüber dem ursprünglich reduzierteN) Stundensatz von 320 EUR verrechnet und im Fall der Unterschreitung von 24 Stunden pro Monat ein Betrag von 320 EUR pro nicht erbrachter Arbeitsstunde vom Pauschale in Abzug gebracht wurde.
[3] 3. Die von der Klägerin behauptete Standeswidrigkeit des (ihres Erachtens massiv überhöhten vereinbarten) Honorarsist hier schon deshalb nicht näher zu untersuchen, weil nach ständiger Rechtsprechung für die Annahme der Sittenwidrigkeit iSd § 879 ABGB das Vorliegen einer Standeswidrigkeit nicht ausreicht; selbst die standeswidrige Vereinbarung eines zu hohen Honorars durch einen Rechtsanwalt ist deshalb nicht „automatisch“ sittenwidrig und muss die Nichtigkeit zur Folge haben, vielmehr müsste eine der zusätzlichen Voraussetzungen des § 879 ABGB vorliegen (6 Ob 193/21g mwN).
[4] 4. Ein Vertrag ist gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB wegen Wuchers nichtig, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Werte der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht. Das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung setzt voraus, dass der Wucherer zu seiner Bereicherung eine Lage benützt, die er nicht geschaffen haben muss, die ihm aber ebenso wie das Missverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen (RS0016894). Auf Basis der getroffenen Feststellungen haben die Vorinstanzen ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten, indem sie (auch) das Vorliegen eines Ausbeutungstatbestands verneinten. Auf die Frage eines auffallenden Missverhältnisses kommt es in diesem Zusammenhang daher nicht an.
[5] 5. Die Frage, ob laesio enormis vorliegt, betrifft grundsätzlich einen Einzelfall, weshalb ihr in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (vgl RS0108169 [T2]). Dass die Vorinstanzen eine Verkürzung über die Hälfte auf Basis des angemessenen Stundensatzes – und nicht, wie die Klägerin moniert, des Honorars auf Basis der Tarife des RATG – verneinten, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
[6] 6. Die von der Klägerin zur Begründung der angeblichen Nichtigkeit der Honorarvereinbarung weiters ins Treffen geführte Vorabentscheidung des EuGH vom 12. Jänner 2023, C‑395/21 , ist hier nicht einschlägig, weil sie sich auf eine – anders als hier – nicht im Einzelnen ausgehandelte Klausel in einem Verbrauchervertrag bezieht.
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