OGH 1Ob31/23z

OGH1Ob31/23z28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin D*, vertreten durch Mag. Martin Divitschek und andere, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen den Antragsgegner DI E*, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner und Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 9. Jänner 2023, GZ 1 R 185/22s‑124, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00031.23Z.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1  AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Frau strebt die Zuweisung des im gemeinsamen Miteigentum stehenden Hauses mit der Ehewohnung an den Mann samt Übernahme der damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten durch diesen gegen Leistung einer Ausgleichszahlung an sie an.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Haus samt Schulden im ersten Rechtsgang dem Mann zu, wobei ihn das Erstgericht zu einer Ausgleichszahlung von 35.000 EUR und das Rekursgericht von 65.000 EUR verpflichtete. Der Oberste Gerichtshof hob diese Entscheidungen zur Klärung der Frage auf, inwieweit nicht der Aufteilung unterliegendes Vermögen der Ehegatten für den Hausbau verwendet worden sei (1 Ob 49/14s).

[3] Ungeachtet des von ihm erhobenen Revisionsrekurses leistete der Mann die vom Rekursgericht mit 65.000 EUR festgesetzte Ausgleichszahlung (sowie einen Kostenersatz) an die Frau. Sie erklärte daher im zweiten Rechtsgang, ihr Begehren auf (restliche) Kosten einzuschränken; in eventu strebe sie weiter eine Zahlung von 65.000 EUR an.

[4] Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das Haus samt konnexen Schulden – was im ersten Rechtsgang inhaltlich unbekämpft geblieben war – dem Mann zu und verpflichtete ihn zu einer Ausgleichszahlung von 41.500 EUR abzüglich bereits geleisteter Zahlungen.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Es verneinte eine aus einem behaupteten Eingriff in eine im ersten Rechtsgang (hinsichtlich der Zuweisung des Hauses und der Schulden) eingetretene Teilrechtskraft abgeleitete „Nichtigkeit“, erkannte der Einschränkung des Aufteilungsantrags der Frau „auf Kosten“ keine verfahrensbeendende Wirkung in der Hauptsache zu und erachtete die Höhe der Ausgleichszahlung als angemessen.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Frau ist mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig:

[7] 1. Die Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[8] 2. Die pauschale Behauptung, das Rekursgericht sei von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, wird durch keine Judikaturzitate untermauert.

[9] 3. Verfahrensrechtlich handelt es sich beim Aufteilungsanspruch um das Begehren auf rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichts, dem der materiell-rechtliche Anspruch auf einen angemessenen Anteil an der ehelichen Errungenschaft iSd §§ 81 ff EheG zugrunde liegt (1 Ob 112/18d). Er wird unabhängig von der formellen Antragstellung als einheitlicher und gemeinschaftlicher Anspruch beider Ehegatten angesehen (RS0057603 [T3]; 1 Ob 112/18d), der nicht nur aus dem erhobenen Begehren besteht, sondern ein Bündel möglicher Rechte und Pflichten umfasst, die im Rahmen einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Gesamtlösung begründet werden können (1 Ob 235/19v). Aus dem einheitlichen Aufteilungsanspruch erwächst beiden Parteien ein verfahrensrechtlicher Entscheidungsanspruch (10 Ob 222/00w), weshalb das Aufteilungsverfahren auch nicht klar als Aktiv- oder Passivverfahren der jeweiligen Partei eingeordnet werden kann (1 Ob 235/19v).

[10] 4. Aus dieser besonderen rechtlichen Qualifikation des Aufteilungsanspruchs ergibt sich nach der Rechtsprechung, dass der Aufteilungsantrag nicht wirksam – mit verfahrensbeendender Wirkung – von einem Ehegatten zurückgezogen werden kann (RS0057603). Das muss gleichermaßen für eine Einschränkung des Aufteilungsanspruchs „auf Kosten“ gelten (vgl auch G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 [2019] § 11 AußStrG Rz 74 mwN: „Antragseinschränkung als partielle Antragsrückziehung“). Warum diese – ursprünglich zum AußStrG 1854 ergangene – Judikatur auf Basis der aktuellen Rechtslage des § 11 Abs 1 AußStrG 2005 nicht mehr anzuwenden wäre, legt die Revisionsrekurswerberin nicht näher dar. Sie setzt sich insbesondere nicht mit den für diese Rechtsprechung maßgeblichen – von der allgemeinen Bestimmung des § 11 Abs 1 AußStrG über die Antragsrückziehung unberührt gebliebenen – Besonderheiten des nachehelichen Aufteilungsverfahrens auseinander und zeigt damit schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[11] 5. Entgegen der Behauptung der Rechtsmittelwerberin beruht die Judikatur zur eingeschränkten Möglichkeit einer Antragsrückziehung im Aufteilungsverfahren auch nicht bloß auf der Gesetzeslage vor Inkrafttreten des § 11 Abs 1 AußStrG 2005. Vielmehr ging der Fachsenat zu 1 Ob 112/18d sowie 1 Ob 235/19v auch zur aktuellen Rechtslage davon aus, dass der Aufteilungsantrag – als gemeinschaftlicher Antrag beider Ehegatten (6 Ob 34/10h mit ausdrücklichem Hinweis auf RS0057603) – nicht einseitig mit verfahrensbeendender Wirkung zurückgezogen werden könne.

[12] 6. Soweit sich die Revisionsrekurswerberin auf die Ansicht von Gitschthaler (Aufteilungsrecht³ [2022] Rz [richtig] 576) stützt, wonach fraglich sei, ob die zum AußStrG 1854 ergangene Rechtsprechung weiter aufrecht erhalten werden könne, ist sie zunächst darauf hinzuweisen, dass es noch keine Zulässigkeit eines Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof begründet, wenn dessen Judikatur von einer Lehrmeinung abgelehnt wird (RS0042985). Die Rechtsmittelwerberin übersieht im Übrigen, dass auch Gitschthaler es als sinnvoll erachtet, die wirksame Zurückziehung eines Aufteilungsantrags nach wie vor nur im Einvernehmen beider Parteien zuzulassen. Dies entspricht auch – was die Frau ebenfalls übergeht – der herrschenden Ansicht in der (sonstigen) rechtswissenschaftlichen Literatur (etwa G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 [2019] § 11 AußStrG Rz 44; Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht2 [2021] § 85 EheG Rz 3 und § 95 EheG Rz 7; Stabentheiner/Pierer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 85 EheG Rz 9 mwN; Garber in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2021] § 85 EheG Rz 126 ff).

[13] 7. Der auch in dritter Instanz behauptete Eingriff in eine im ersten Rechtsgang – hinsichtlich der Zuweisung des Hauses samt konnexer Schulden – eingetretene Teilrechtskraft kann schon aufgrund der gänzlichen Aufhebung der Rekursentscheidung nicht erfolgt sein.

[14] 8. Auf die weiteren Rechtsmittelausführungen muss nicht eingegangen werden, weil diese auf der unzutreffenden Annahme beruhen, die Vorinstanzen hätten aufgrund der Antragseinschränkung auf (restliche) Kosten zu Unrecht eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen.

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