OGH 4Ob210/22v

OGH4Ob210/22v28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, s.r.o., *, Slowakei, vertreten durch Dr. Ľubica Stelzer Páleníková, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei T*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 363.000 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2022, GZ 1 R 38/22y‑76, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 3. Jänner 2022, GZ 59 Cg 49/20a‑67, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00210.22V.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unionsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Die Revision sowie der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 267 AEUV werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.079,80 EUR (darin 513,30 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 7. 4. 2020 verkaufte die Beklagte der Klägerin zum von dieser beabsichtigten Weiterverkauf in der EU 150.000 Schutzmasken, für die tatsächlich kein Konformitätsbewertungsverfahren unter Beteiligung einer notifizierten Konformitätsbewertungsstelle im Sinne der VO (EU) 2016/425 über persönliche Schutzausrüstungen (in der Folge: „PSA‑VO“) durchgeführt worden war.

[2] Kaufgegenstand waren laut der Rubrik „Product Description“ des in englischer Sprache abgefassten Vertrags, in dem die Anwendung österreichischen Rechts vereinbart wurde, „FFP2/KN95 ‑ protective masks“ und der „Standard CE (EN 149:2001+A1:2009)“; in derselben Vertragsrubrik waren zudem Fotos abgebildet, die der Klägerin im Zuge der Vertragsverhandlungen von der Beklagten gezeigt worden waren. Auf diesen waren Masken mit dem Zeichen „CE“, der Bezeichnung „KN95“, der Prüfnorm „EN149:2001“ und der Bezeichnung „FFP2 NR“ sowie ein Foto der Vorderseite der Verpackung abgebildet, die lediglich den Aufdruck „KN95 Disposable Face Mask“, jedoch nicht „FFP2“, und auf der Rückseite das Zeichen „CE“ (ohne vierstellige Kennnummer) aufwies. Im Vertrag war auch ein Zertifikat einer chinesischen Prüfstelle abgelichtet, wonach die Masken nach dem Standard EN149:2001+A1:2009 getestet worden seien, mit der Verordnung „(EU) 2016/425 Personal protective equipment“ übereinstimmten und daher das Zeichen „CE“ tragen dürften.

[3] Die am 27. 4. 2020 tatsächlich gelieferten Masken hatten entgegen der im Vertrag enthaltenen Abbildung lediglich die Bezeichnung „KN95“ eingestanzt, trugen jedoch selbst weder das CE‑Zeichen noch die Prüfnorm „EN149:2001“ oder die Abkürzung „FFP2 NR“. Die Verpackung dieser gelieferten Masken war aber ident mit den Abbildungen im Vertrag und wies auf der Rückseite das Zeichen „CE“ ohne vierstellige Kennnummer auf. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die gelieferten Masken nicht der Norm EN149:2001+A1:2009 entsprachen.

[4] Der vereinbarte und von der Klägerin gezahlte Kaufpreis betrug netto 2,42 EUR pro Stück, einschließlich der von der Beklagten zu tragenden Lieferkosten.

[5] Nach den Feststellungen wurden Atemschutzmasken ohne CE‑Kennzeichnung im Sinne der PSA‑VO im Frühjahr 2020 verkauft; der Wert solcher Masken lag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses jedenfalls bei zumindest netto 1,21 EUR/Stück.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Abweisung des allein noch verfahrensgegenständlichen Klagebegehrens auf Rückzahlung des Kaufpreises für die Atemschutzmasken von 363.000 EUR; es ließ die ordentliche Revision zu der „über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage der Verkehrsfähigkeit von KN95‑Masken ohne CE-Zertifizierung iSd [PSA‑VO] in Österreich im Frühjahr 2020“ zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, zumal die Revisionswerberin, welche die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage als unerheblich ansieht, auch sonst das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht aufzeigt (RS0080388). Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[8] 1. Die Vorinstanzen verneinten laesio enormis und Arglist sowie Nichtigkeit des Vertrags nach § 879 Abs 1 ABGB wegen Verstoßes gegen die PSA‑VO und erachteten Mängelrügen der Klägerin gemäß dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf, BGBl 1988/96 (in der Folge: „CISG“), ebenso wie nach § 377 UGB als verspätet, sodass ihre Einwände der Vertragswidrigkeit der Leistung sowie eines von der Beklagten veranlassten Irrtums verfristet seien und ihr Rücktritt daher nicht berechtigt gewesen wäre.

[9] 2.1. Nach § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Auch unmittelbar anwendbares EU‑Recht ist als Gesetz im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB zu qualifizieren. Ebenso können privatrechtliche Regelungen, die gegen das Primärrecht der EU verstoßen, einen Gesetzesverstoß im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB bilden. Jedoch führt nicht jeder Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit. Diese Rechtsfolge muss entweder in der Verbotsnorm ausdrücklich angeordnet sein oder vom Verbotszweck notwendig verlangt werden. Der Zweck des Verbots entscheidet auch darüber, ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit bzw absolute oder relative Unwirksamkeit vorliegt. Richtet sich ein Verbot nur gegen einen Vertragspartner und sind andere Rechtsfolgen (zB Strafen) vorgesehen, so wird das Geschäft in der Regel gültig sein (10 Ob 70/14p mwN).

[10] So sind nach ständiger Rechtsprechung etwa Geschäfte, die gegen gewerberechtliche Vorschriften verstoßen, nicht nichtig; Zweck der in der GewO enthaltenen Strafbestimmungen ist die Vermeidung solcher Tätigkeiten an sich, doch kann daraus die Nichtigkeit des einzelnen Geschäfts nicht abgeleitet werden (8 Ob 16/10a mwN).

[11] 2.2. Die PSA‑VO enthält Anforderungen an Entwurf und Herstellung persönlicher Schutzausrüstungen (in der Folge: „PSA“), die auf dem Markt bereitgestellt werden sollen, um den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Nutzer zu gewährleisten, sowie Regelungen für den freien Verkehr von PSA in der Union (Art 1); sie sieht grundsätzlich vor, dass PSA nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen, wenn sie bei angemessener Wartung und bestimmungsgemäßer Verwendung der PSA‑VO entsprechen und nicht die Gesundheit oder Sicherheit von Personen, Haustieren oder Eigentum gefährden, und dass PSA die auf sie anwendbaren grundlegenden Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen erfüllen müssen (Art 4 f).

[12] PSA müssen nach der PSA‑VO zusammengefasst vom Hersteller einem je nach Risikokategorie unterschiedlich gestalteten Konformitätsbewertungsverfahren unterworfen und – bei PSA der Kategorie III (Risiken, die zu sehr schwerwiegenden Folgen wie Tod oder irreversiblen Gesundheitsschäden im Zusammenhang unter anderem mit gesundheitsgefährdenden Stoffen und Gemischen oder schädlichen biologischen Wirkstoffen führen können) – nach einem Konformitätsbewertungsverfahren durch notifizierte Konformitätsbewertungsstellen und Ausstellung einer EU‑Konformitätserklärung des Herstellers mit einer CE‑Kennzeichnung und der Kennnummer der notifizierten Konformitätsbewertungsstelle versehen sein (Art 8 f PSA‑VO).

[13] Einführer bringen nur konforme PSA in Verkehr und gewährleisten davor insbesondere, dass das einschlägige, Konformitätsbewertungsverfahren vom Hersteller durchgeführt wurde (Art 10 PSA‑VO).

[14] Händler berücksichtigen die Anforderungen der PSA‑VO mit der gebührenden Sorgfalt, wenn sie PSA auf dem Markt bereitstellen, und überprüfen davor insbesondere, ob sie mit der CE‑Kennzeichnung versehen und ob ihr die erforderlichen Unterlagen und Informationen beigefügt sind. Ist ein Händler der Auffassung oder hat er Grund zu der Annahme, dass eine PSA nicht mit den anwendbaren grundlegenden Gesundheitsschutz‑ und Sicherheitsanforderungen übereinstimmt, stellt er diese erst auf dem Markt bereit, wenn ihre Konformität hergestellt ist (Art 11 PSA‑VO).

[15] Die Art 37 ff PSA‑VO sehen auf einzelstaatlicher wie auf Unionsebene Maßnahmen zur Überwachung des Markts der Union und zur Kontrolle der auf ihn gelangenden PSA vor. Art 41 PSA‑VO („Formale Nichtkonformität“) sieht dabei vor, dass ein Mitgliedstaat einen Wirtschaftsakteur dazu aufzufordern hat, eine Nichtkonformität zu beenden, falls er zusammengefasst feststellt, dass CE‑Kennzeichnung oder Kennnummer der notifizierten Stelle nicht oder nicht VO‑konform angebracht wurde, die EU‑Konformitätserklärung nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgestellt wurde, oder eine andere Verwaltungsanforderung nach Art 8 oder 10 PSA‑VO nicht erfüllt wurde. Art 45 PSA‑VO überlässt es den Mitgliedstaaten, Regelungen für wirksame, verhältnismäßige und abschreckende (bei schweren Verstößen auch strafrechtliche) Sanktionen festzulegen, die bei Verstößen von Wirtschaftsakteuren gegen die Bestimmungen der PSA‑VO Anwendung finden.

[16] 2.3. Die PSA‑VO sowie die gemäß ihrem Art 37 anwendbaren Art 15 Abs 3 und 16 bis 29 VO (EG) 765/2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten (in der Folge: „Akk‑VO“) wurden national durch das Maschinen‑Inverkehrbringungs- und NotifizierungsG – MING, BGBl I 2015/77, umgesetzt (vgl Art 45 PSA‑VO), das in seinem § 12 Z 1 für die Verletzung von Bestimmungen der PSA‑VO Verwaltungsstrafen vorsieht.

[17] 2.4. Nach der Empfehlung (EU) 2020/403 der Europäischen Kommission (EK) vom 13. 3. 2020 über Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der COVID-19-Bedrohung (in der Folge: „Empfehlung“) ging die EK im Kontext des weltweiten COVID-19-Ausbruchs sowie der rasanten Ausbreitung des Virus in der EU davon aus, dass die globalen Lieferketten die exponentiell zugenommene Nachfrage nach PSA nicht ausreichend decken könne. Sie empfahl daher, dass sich die zuständigen Marktüberwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten vorrangig auf nichtkonforme PSA oder Medizinprodukte konzentrieren sollten, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Benutzers ausgingen. Würden die Marktüberwachungsbehörden feststellen, dass (unter anderem) PSA im Einklang mit den in der PSA‑VO festgelegten grundlegenden Anforderungen ein angemessenes Gesundheits- und Sicherheitsniveau gewährleisteten, obwohl die Konformitätsbewertungsverfahren einschließlich der Anbringung der CE‑Kennzeichnung „nicht vollständig im Einklang mit den harmonisierten Normen“ erfolgt wären, könnten sie die Bereitstellung dieser Produkte auf dem Unionsmarkt für einen begrenzten Zeitraum und während der Durchführung der notwendigen Verfahren genehmigen. PSA ohne CE‑Kennzeichnung könnten ebenfalls bewertet und in einen von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten organisierten Beschaffungsvorgang einbezogen werden, sofern sichergestellt sei, dass diese Produkte nur medizinischen Fachkräften und nur für die Dauer der damals aktuellen Gesundheitsbedrohung zur Verfügung stünden und dass sie nicht in die normalen Vertriebskanäle gelangen und anderen Verwendern zugänglich gemacht würden.

[18] 2.5. In einem Erlass der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort vom 2. 4. 2020 „über die Durchführung eines verkürzten Bewertungsverfahrens für Corona SARS-Cov-2 Pandemie Atemschutzmasken“ (GZ 2020‑0.198.830) wurden die Landeshauptleute unter Hinweis auf die Empfehlung der EK (oben Pkt 2.4.) dahin angewiesen, dass bei Einhaltung eines verkürzten Bewertungsverfahrens eine Atemschutzmaske nach positivem Prüfergebnis ohne angebrachte CE‑Kennzeichnung ausschließlich medizinischen Fachkräften für die Dauer der derzeitigen Gesundheitsbedrohung zugänglich gemacht werden könne. Im Wege dieses vereinfachten Verfahrens für die notwendige Beschaffung würden technisch taugliche Atemschutzmasken ausnahmsweise von den Marktüberwachungsbehörden hinsichtlich der Bereitstellung am österreichischen Markt akzeptiert und verfügbar gemacht, welche bislang nicht den vollständigen Prozess des gemäß PSA‑VO erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahrens durchlaufen hätten. Sofern bei Atemschutzmasken die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen nicht auf Basis der EU‑Konformitätserklärung und CE‑Kennzeichnung nachgewiesen würden, könne die Marktüberwachungsbehörde hierfür auch das Bewertungsschreiben des Herstellers oder des Importeurs über das Gesamtergebnis der Prüfung im vereinfachten Verfahren als Grundlage heranziehen. Atemschutzmasken sowohl aus dem europäischen Raum als auch aus Drittstaaten wie zB aus China oder Korea könnten auf Basis des verkürzten Bewertungsverfahrens entsprechend geprüft und eingesetzt werden. Allerdings gestatte die Erfüllung des verkürzten Bewertungsverfahrens in Österreich nicht die weitere Bereitstellung entsprechender Atemschutzmasken auf dem Unionsmarkt.

[19] 2.6. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass weder aus dem Unionsrecht noch aus den nationalen Umsetzungsbestimmungen eine ausdrückliche oder aus dem Verbotszweck ableitbare Nichtigkeit ersichtlich ist, steht im Einklang mit der oben (Pkt 2.1.) dargelegten Rechtsprechung und ist im Einzelfall vertretbar. Die Revision zeigt diesbezüglich keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.

[20] Die auf die einzigartige Situation im Frühjahr 2020 abstellende Zulassungsfrage des Berufungsgerichts begründet hier keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0114669), auch zumal schon unter „normalen“ Bedingungen die Nichtigkeit eines Kaufvertrags über nicht der PSA‑VO oder der Akk‑VO entsprechende PSA vertretbar als nicht aus den genannten Bestimmungen ableitbar angesehen werden konnte.

[21] 3.1. Gemäß Art 38 Abs 1 CISG, das hier von den Vorinstanzen zu Recht als zufolge Rechtswahl anwendbar angesehen wurde (vgl RS0115967), hat der Käufer die Ware innerhalb einer so kurzen Frist zu untersuchen oder untersuchen zu lassen, wie es die Umstände erlauben. Der Käufer verliert gemäß Art 39 Abs 1 CISG das Recht, sich auf eine Vertragswidrigkeit der Ware zu berufen, wenn er sie dem Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt, in dem er sie festgestellt hat oder hätte feststellen müssen, anzeigt und dabei die Art der Vertragswidrigkeit genau bezeichnet.

[22] Nach § 377 Abs 1 UGB hat bei einem – hier vorliegenden – beiderseitigen unternehmensbezogenen Geschäft der Käufer dem Verkäufer Mängel der Ware, die er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang nach Ablieferung durch Untersuchung festgestellt hat oder feststellen hätte müssen, binnen angemessener Frist anzuzeigen; unterlässt der Käufer die Anzeige, so kann er nach Abs 2 leg cit Ansprüche auf Gewährleistung (§§ 922 ff ABGB), auf Schadenersatz wegen des Mangels selbst (§ 933a Abs 2 ABGB) sowie aus einem Irrtum über die Mangelfreiheit der Sache (§§ 871 f ABGB) nicht mehr geltend machen.

[23] 3.2. Als relevante Umstände für die Angemessenheit der Frist für die Untersuchung kommen insbesondere die Größe des Unternehmens des Käufers, die Art der zu untersuchenden Ware, ihre Komplexität oder Verderblichkeit oder ihr Charakter als Saisonware, die Art der in Frage kommenden Mängel, die Aufwändigkeit der Untersuchung und dergleichen in Betracht; es sind die objektiven und subjektiven Umstände des konkreten Falls, wie die betrieblichen und persönlichen Verhältnisse des Käufers, Eigenarten der Ware, Umfang der Warenlieferung oder die Art des gewählten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen (vgl RS0111000; RS0110999).

[24] Auch die Untersuchungsanforderungen nach § 377 UGB sind wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Natur der Ware, den Branchengepflogenheiten, vom Gewicht möglicher Mangelfolgen und von Auffälligkeiten der Ware abhängig (RS0112467 [T1]).

[25] 3.3. Die Dauer der Untersuchungsfrist hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; wenn keine besonderen Umstände für eine Verkürzung oder Verlängerung der Frist sprechen, beträgt sie sowohl nach CISG als auch nach § 377 UGB im Zweifel 14 Tage (vgl RS0111001, RS0122080).

[26] 3.4. Hier hat die klagende Käuferin zwischen Lieferung und Rüge, dass für die Masken kein Konformitätsbewertungsverfahren unter Beteiligung einer notifizierten Konformitätsbewertungsstelle im Sinne der PSA‑VO vorlag, mehrere Monate verstreichen lassen.

[27] Die Ansicht der Vorinstanzen, dass aus CISG oder § 377 UGB und dem Umstand abgeleitete Ansprüche, dass die Masken selbst nur mit „KN95“ – und nicht auch mit weiteren vertragsgemäßen Angaben – versehen sowie keinem Konformitätsbewertungsverfahren nach PSA‑VO unterworfen worden waren, jedenfalls verfristet sind, hält sich im Einzelfall im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung.

[28] 3.5. Wie aus den Feststellungen zu Verhandlung und Abschluss des Vertrags ein die Berufung auf die Rügeobliegenheit im Sinne des Art 40 CISG ausschließendes Verhalten der Beklagten ableitbar sein sollte, zeigt die Revision nicht auf.

[29] 4.1. Nach ständiger Rechtsprechung bestimmen zwar grundsätzlich die Standards im Lande des Verkäufers über die Eignung für gewöhnliche Zwecke. Dies schließt aber nicht ein, dass die Ware den Sicherheits‑, Kennzeichnungs‑ oder Zusammensetzungsvorschriften des Importlands genügen muss; es kann nämlich vom Verkäufer nicht erwartet werden, dass er die besonderen Vorschriften im Käufer‑ oder Verwendungsstaat kennt. Es ist daher Sache des Käufers, sich um die besonderen öffentlich‑rechtlichen Normen im Verwendungsstaat zu kümmern und sie zum Gegenstand des Vertrags zu machen; auf bestimmte Vorgaben im Land des Käufers ist daher nur dann abzustellen, wenn sie ebenso im Verkäuferstaat bestehen oder wenn sie vereinbart bzw dem Verkäufer bei Vertragsabschluss zur Kenntnis gebracht wurden (vgl 2 Ob 100/00w mwN). Es besteht nämlich keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entscheidung einen Einfluss haben können. Eine Aufklärungspflicht besteht in der Regel nur dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte. Die Aufklärungspflicht endet an der Grenze objektiver Voraussehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Gegners. Die Berücksichtigung und Abwägung dieser Umstände ist eine Frage des Einzelfalls und wirft keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0016390 [insb T9]; vgl RS0048335 [T2, T3]).

[30] 4.2. Nach den Feststellungen ermöglichte die Empfehlung der EK (oben Pkt 2.4.) den Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten, PSA ohne jede CE‑Kennzeichnung zu bewerten und in einen von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten organisierten Beschaffungsvorgang zur Verwendung von medizinischen Fachkräften einzubeziehen; solche Masken wurden im Frühjahr 2020 tatsächlich um zumindest 1,21 EUR/Stück gehandelt.

[31] 4.3. Die Vorinstanzen vertraten die Ansicht, die verkauften Masken seien nach der Empfehlung der EK zumindest auf dem staatlichen Beschaffungsmarkt verkäuflich gewesen, sodass eine weitergehende Aufklärungspflicht der Beklagten mangels weitergehender konkreter vertraglicher Anforderungen der Klägerin nicht geboten war. Dies hält sich im Einzelfall ebenso im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung wie die Folgerung der Vorinstanzen, dass sich eine Händlerin von Atemschutzmasken mit den einschlägigen Bestimmungen vertraut machen hätte müssen und keine über den Hinweis, dass die fraglichen Masken nur aufgrund einer Ausnahme importiert werden dürften, hinausgehende Aufklärung durch die Beklagte erforderlich war. Auf eine im Einzelnen allenfalls erlassmäßig anders vorgesehene österreichische Praxis kommt es nicht an. Es steht gerade nicht fest, dass die verkauften und gelieferten Masken den im Vertrag vereinbarten Standard‑Normanforderungen nicht entsprochen hätten.

[32] 4.4. Aus dem Gesagten folgt auch, dass die Ansicht der Vorinstanzen, die Voraussetzungen für laesio enormis lägen nicht vor, im Lichte der Feststellungen zum Umstand, dass derartige Masken um einen mindestens der Hälfte des hier vereinbarten Kaufpreises entsprechenden Preis gehandelt wurden, nicht zu beanstanden ist.

[33] 5.1. Aktenwidrigkeit im Sinne eines entscheidungswesentlichen Widerspruchs zwischen dem Akteninhalt und den der Entscheidung des Berufungsgerichts tragend zugrunde gelegten Tatsachen liegt nicht vor; die in der Revision relevierte Frage, ob die chinesische Prüfstelle, die ein CE‑Zertifikat ausstellte, selbst „zugelassen“ bzw „autorisiert“ – so das Berufungsgericht – gewesen wäre, ist im Hinblick auf den Umstand irrelevant, dass sie unstrittig und offenkundig jedenfalls keine im Sinne der PSA‑VO notifizierte Konformitätsbewertungsstelle war, womit die kritisierten Zuschreibungen die Entscheidungsgrundlagen des Berufungsgerichts nicht verändert haben (RS0043271; vgl auch RS0043265).

[34] 5.2. Soweit die Klägerin in der Revision mit der Behauptung des Vorliegens rechtlicher Feststellungsmängel in Wahrheit Sachverhaltsfeststellungen bekämpft und stattdessen weitwendig Ersatzfeststellungen anstrebt, ist sie darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist und Fragen der Beweiswürdigung nicht revisibel sind (vgl RS0043371; RS0042903 [T2, T10]; RS0069246 [T1, T2]; RS0123663).

[35] Im Übrigen liegen von der Klägerin in diesem Zusammenhang gerügte sekundäre Feststellungsmängel nicht vor, weil in dem Umfang, in dem – wie hier – zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen getroffen wurden, mögen diese auch den Vorstellungen der Rechtsmittelwerberin zuwiderlaufen, der Vorwurf eines Feststellungsmangels nicht mehr erfolgreich erhoben werden kann (vgl RS0043320 [T18]; RS0043480 [T15, T19]; RS0053317 [T1]).

[36] 5.3. Rechtliche Feststellungsmängel im Hinblick auf Irrtum liegen nicht vor. Die vermissten Feststellungen wären zum Einen mit den unbekämpften Feststellungen zum Aussehen der Masken und Verpackungen, zu den Beschriftungen und zur Übergabe eines chinesischen Testzertifikats nicht vereinbar, und zum Anderen erschließt sich nicht, was daraus gegen die dargelegte Verfristung der Mängelrügen abgeleitet werden sollte, wie schon das Berufungsgericht aufgezeigt hat. Zudem kann die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht unterbleiben, wenn der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt und der davon abweichende von der Beweisrüge angestrebte Sachverhalt zum gleichen rechtlichen Ergebnis führen (vgl RS0042386). Warum die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die in der Berufung begehrten Ersatzfeststellungen würden an der Verfristung der Mängelrüge der Klägerin nichts ändern, unzutreffend sein sollte, zeigt die Revision nicht auf. Sie führt keine erhebliche Rechtsfrage ins Treffen.

[37] 5.4. Soweit in der Revision „aus Gründen der Vorsicht“ die soeben erörterten Umstände auch als Mängel des Berufungsverfahrens angesprochen werden, liegen solche nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[38] 6. Auf Arglist kommt die Revision nicht mehr zurück.

[39] 7. Eine Prozesspartei hat nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union durch das Gericht zu beantragen, sodass auch der entsprechende Antrag der Klägerin zurückzuweisen war (RS0058452). Inhaltlich war ein Vorabentscheidungsersuchen mangels Präjudizialität unionsrechtlicher Fragen auch nicht angezeigt.

[40] 8. Dass Entscheidungen der zweiten Instanz im Kostenpunkt unanfechtbar sind (vgl § 528 Abs 2 Z 3 ZPO), erkennt die Klägerin selbst, zumal sie mit ihrer in der Revision zum Ausdruck gebrachten Erwartung, es wäre entgegen der zweitinstanzlichen Auffassung dennoch „eine wie immer geartete Klarstellung seitens des OGH […] für die Zukunft“ geboten, keinen Antrag an den Obersten Gerichtshof folgen lässt, über den – wie auch immer – abgesprochen werden könnte. Auf die in der Revision aufgeworfene Frage der Kosten der Vorinstanzen ist daher nicht näher einzugehen.

[41] 9. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T20]).

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