OGH 8ObA13/22b

OGH8ObA13/22b23.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* L*, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A* R*, vertreten durch SWS Scheed Wöss Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 867,41 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. November 2021, GZ 12 Ra 101/21s‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 7. September 2021, GZ 6 Cga 22/21i‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00013.22B.0223.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war von 4. 7. 2019 bis 15. 11. 2020 bei der Beklagten als Tankstellenmitarbeiterin beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Arbeitnehmer der Garagen‑, Tankstellen‑ und Servicestationsunternehmungen Österreichs (kurz: Tankstellen‑KV). Das Arbeitsverhältnis endete durch unberechtigten Austritt der Klägerin.

[2] Die Beklagte hat der Klägerin den Lohn für November 2020 nicht ausgezahlt, sondern dagegen einen Rückforderungsanspruch außergerichtlich aufgerechnet.

[3] Die Klägerin begehrt die Zahlung des Klagsbetrags, bestehend aus Lohn und anteiligen Sonderzahlungen für die Zeit vom 1.–15. 11. 2020. Der Anspruch auf aliquote Sonderzahlungen bestehe ungeachtet der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten sei in diesem Zusammenhang nicht sachlich gerechtfertigt.

[4] Die Beklagte wandte ein, die Klägerin habe im laufenden Jahr 2020 bereits Sonderzahlungen in den Klagsbetrag übersteigender Höhe ausbezahlt erhalten. Der kollektivvertragliche Anspruch auf Sonderzahlungen entfalle bei unberechtigtem Austritt zur Gänze, weshalb der Rückforderungsanspruch zu Recht bestehe.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren aufgrund der Regelung des § 20 Z 5 Tankstellen‑KV ab.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung unter ausführlicher Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung und der – teilweise divergierende Auffassungen vertretenden – Literatur.

[7] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine klärende Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zu der maßgeblichen Rechtsfrage geboten erscheine.

[8] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn an, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts in Ermangelung einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[10] Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach (zu den gleichartigen Regeln der KollV für das Güterbeförderungsgewerbe und für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe) ausgesprochen, dass es den Kollektivvertragsparteien unbenommen ist, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Entfällt nach den Bestimmungen eines Kollektivvertrags der Anspruch auf eine aliquote Sonderzahlung, wenn das Dienstverhältnis durch vorzeitigen Austritt ohne wichtigen Grund gelöst wird oder wenn berechtigt entlassen wird, bedeutet dies (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 16 AngG), dass dieser Anspruch bei einer solchen Beendigung gar nicht erworben wird und eine bereits erhaltene Sonderzahlung auch ohne ausdrückliche Rückzahlungsverpflichtung zurückzuzahlen ist (8 ObA 99/21y; 9 ObA 6/15w DRdA 2016/13 [Drs] ua; RIS‑Justiz RS0048332).

[11] Der erkennende Senat hat sich erst jüngst in der Entscheidung 8 ObA 99/21y mit den Stimmen in der Literatur sowie Teilen der zweitinstanzlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt, die sich auch in diesen Fällen für eine analoge Anwendung des § 16 AngG aussprechen (ua Löschnigg, Arbeitsrecht13, [2017] 6/174; Preiss in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3, § 16 AngG Rz 9 mwN), und eine Analogie in Ermangelung einer planwidrigen Lücke verneint.

[12] Die in den letzten Jahren erfolgte (nur) schrittweise Annäherung der gesetzlichen Regelungen für Angestellte und Arbeiter zeigt, dass der Gesetzgeber die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern noch nicht generell aufgehoben hat. Wenn in verschiedenen Materien eine Gleichstellung erfolgt ist, kann dies nicht ohne Weiteres auf alle Bereiche übertragen werden, in denen unterschiedliche Regelungen weiterhin existieren. Nach wie vor besteht keine gesetzliche Regelung zu Sonderzahlungen für alle Arbeitnehmer. Damit bleibt es den Kollektivvertragsparteien aber unbenommen, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (8 ObA 99/21y; RS0048332 [T1]).

[13] Gegenteiliges ist auch der Entscheidung 9 ObA 82/13v (Privatkrankenanstalten‑KV) nicht zu entnehmen, die sich auf einen Sonderzahlungsanspruch im Anwendungsbereich des § 16 AngG bezieht.

[14] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Beklagte berechtigt war, die bereits ausbezahlte Sonderzahlung mit der Endabrechnung gegenzuverrechnen, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[15] Neue Aspekte, die Anlass für ein Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung bieten könnten, zeigt die Revision nicht auf. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der kollektivvertragliche Sonderzahlungsanspruch weder mit einer Leistungsprämie vergleichbar ist, noch das Recht auf reguläre Kündigung berührt wird. Ebensowenig wird dargelegt, inwieweit eine (rechtmäßige) Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV durch die vorliegende Regelung behindert werden könnte.

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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