OGH 7Ob174/22x

OGH7Ob174/22x25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin E* G*, vertreten durch Dr. Herbert Hubinger, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen die Antragsgegnerin N* GmbH, *, vertreten durch die Onz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Teilbeschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 23. August 2022, GZ 1 R 47/22w‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00174.22X.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin ist als Verteilernetzbetreiberin für die Aufrechterhaltung der Versorgung mit elektrischer Energie im Land Oberösterreich verantwortlich. Mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 19. Oktober 2012 wurde ihr im Rahmen des Projekts „110 kV‑Leitung V*“ die Bau‑ und Betriebsbewilligung für diese elektrische Leitungsanlage erteilt. Das Projekt erstreckt sich unter anderem auf die Grundstücke Nr * je der EZ *, GB * M* (in der Folge Liegenschaft).

[2] Mit Bescheid des Amts der Oberösterreichischen Landesregierung vom 31. Oktober 2019 wurde der Antragsgegnerin sowie deren Rechtsnachfolgern zu Lasten der im bücherlichen Eigentum von Ing. K* D*, Ing. H* D*, W* D*, DI W* D* (in der Folge weitere Miteigentümer) und der Antragstellerin befindlichen Liegenschaft im Enteignungsweg eine Dienstbarkeit eingeräumt. Die für die Einräumung dieser Dienstbarkeit zu leistende Gesamtentschädigung wurde mit einem Pauschalbetrag von 13.178,37 EUR (inklusive USt) zur Zahlung an die fünf Miteigentümer festgesetzt.

[3] Mit notarieller Vereinbarung vom 18. September 2019 (in der Folge Realteilungsvertrag) übertrugen die weiteren Miteigentümer ihre jeweiligen Fünftelanteile im Wege einer Realteilung an die Antragstellerin. Die Übergabe und Übernahme der gesamten Realteilungsobjekte erfolgte mit Vertragsunterfertigung. Im Realteilungsvertrag ist unter anderem festgehalten, dass für die Antragstellerin zu TZ * im Rang TZ * das Eigentumsrecht an den übrigen Anteilen vorgemerkt ist (Rangordnung für die Veräußerung bis 17. April 2020). Die Antragstellerin und die weiteren Miteigentümer sind (nach wie vor) je zu einem Fünftel als Miteigentümer der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen. Am 31. Jänner 2020 begehrte die Antragstellerin beim Erstgericht, gestützt auf ihr außerbücherliches Eigentum an der Gesamtliegenschaft, die Entschädigung mit dem Pauschalbetrag von 93.178,37 EUR festzusetzen.

[4] Mit Zustimmungserklärung vom 8. Juni 2021 erklärten die weiteren Miteigentümer ihre Zustimmung, dass die Antragstellerin als „außerbücherliche Alleineigentümerin“ der Liegenschaft in diesem Verfahren die Zuerkennung und Auszahlung der Enteignungsentschädigung ausschließlich an sich begehrt und die Zahlung der festzustellenden Enteignungsentschädigung mit schuldbefreiender Wirkung an die Antragstellerin erfolgen kann.

[5] Das Erstgericht setzte die Gesamtentschädigung mit 25.000 EUR fest und verpflichtete die Antragsgegnerin zur Zahlung des auf den Miteigentumsanteil der Antragstellerin entfallenden Betrags von 5.000 EUR. Das Mehrbegehren wies es ab.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin teilweise Folge. Es bestätigte den Zuspruch von 5.000 EUR und die Abweisung von 79.298,37 EUR. Im Umfang von 8.880 EUR hob es den angefochtenen Beschluss auf und ordnete eine Verfahrensergänzung zur Frage an, inwieweit die auf der Liegenschaft befindliche Schotterentnahmestelle enteignungsbedingt nicht mehr verwendbar ist.

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin.

[8] 1. § 19 Abs 1 des Oberösterreichischen Starkstromwegegesetzes 1970 (OöStWG) normiert die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des Eisenbahn‑Enteignungsentschädigungsgesetzes, BGBl Nr 71/1954, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 111/2010 auf das Enteignungsverfahren und die behördliche Ermittlung der Entschädigung. Lit a bis g des § 19 Abs 1 OöStWG sehen bestimmte – für die Revisionsentscheidung nicht relevante – Abweichungen zu den Bestimmungen des EisbEG vor.

[9] 1.1. Soweit die Antragstellerin ihre Ansprüche auf ihr „außerbücherliches Eigentum“ stützt, ist das Rekursgericht dem frei von Rechtsirrtum nicht gefolgt, weil ein Fall der ausnahmsweisen Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes des § 431 ABGB (vgl dazu Eccher/Rissk in KBB6 § 431 ABGB Rz 2) hier nicht vorliegt und außerhalb dieses Bereichs kein Platz für sogenanntes außerbücherliches Eigentum besteht. Soweit der Eintragungsgrundsatz herrscht, bewirkt die bloße Übergabe einer Liegenschaft nicht den Übergang des Eigentums (RS0011111).

[10] 1.2. Steht aber der Enteignungsgegenstand weiter im Miteigentum mehrerer Personen, ist jeder Miteigentümer nur hinsichtlich seines Anteils Enteigneter und nur in Ansehung des auf ihn entfallenden quotenmäßigen Anteils der Entschädigung berechtigt, die gerichtliche Neufestsetzung der Entschädigung zu beantragen (vgl 1 Ob 30/94 mwN = RS0035631 [T1]; 5 Ob 193/01w). Die Entschädigung kann somit für mehrere Miteigentümer jeweils verschieden hoch sein, wenn etwa nicht alle Miteigentümer das Gericht anrufen und die gerichtliche Entschädigungsfestsetzung, die sich eben nur auf den Anteil des Antragstellers beziehen kann, von der verwaltungsbehördlichen, die für die übrigen Miteigentümer infolge Unterlassung der Anrufung des Gerichts rechtswirksam geblieben ist, abweicht (vgl 7 Ob 19/02y).

[11] Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist daher durch ihre alleinige Anrufung des Gerichts die mit Bescheid der Verwaltungsbehörde festgesetzte Entschädigung nicht zur Gänze, sondern nur ihr gegenüber und nur im Ausmaß ihres Eigentumsanteils außer Kraft getreten, auch wenn dort die Entschädigung für alle Miteigentümer pauschal festgesetzt wurde (vgl 7 Ob 19/02y).

[12] 2.1. Letztlich steht auch die Ansicht des Rekursgerichts, dass das im Realteilungsvertrag eingeräumte Gebrauchsrecht der Antragstellerin keinen Entschäd‑igungsanspruch gegen die Antragsgegnerin verschafft, im Einklang mit der Rechtsprechung:

[13] Gemäß § 4 Abs 2 EisbEG ist als Enteigneter jeder anzusehen, dem der Gegenstand der Enteignung gehört, oder dem an einem Gegenstand der Enteignung ein mit dem Eigentum eines anderen Gegenstands verbundenes dingliches Recht zusteht.

[14] Der noch nicht im Grundbuch eingetragene Erwerber einer Liegenschaft, dem die tatsächliche Verfügungsmacht über die Liegenschaft vor Rechtskraft des Enteignungsbescheids eingeräumt war, ist nicht Enteigneter im Sinn von § 4 Abs 2 EisbEG, er ist nach der Rechtsprechung vielmehrNebenberechtigter im Sinn von § 5 EisbEG (2 Ob 561/79 = RS0057992 [dort allerdings missverständlich als „außerbücherlicher Eigentümer“ bezeichnet; in dem Sinnschon VwGH 93/05/0186]).

2.2. Nur der dinglich Berechtigte im Sinn des § 4 Abs 2 EisbEG ist im verwaltungsbehördlichen Enteignungsverfahren zur Geltendmachung der den Gebrauchs‑ und Nutzungsberechtigten verursachten Nachteile legitimiert. Die Schadloshaltung der Nebenberechtigten (§ 5 EisbEG) obliegt dagegen dem Enteigneten, der die materiell den Enteigner treffende und nach den Enteignungsgesetzen zu bemessende Sonderentschädigung dieser Nebenberechtigten gegen den Enteigner geltend zu machen und sie sodann den Nebenberechtigten zu überlassen hat (RS0057988 [T2]; RS0057994).

[15] Im gerichtlichen Entschädigungsverfahren räumt die Rechtsprechung den Nebenberechtigten zwar ein Teilnahmerecht ab dem Zeitpunkt der Möglichkeit des Enteignungsvollzugs ein (RS0057994 [T3]; vgl auch 7 Ob 39/13f und Winner in Rummel/Lukas 4 § 365 ABGB Rz 53), dies ändert jedoch nichts daran, dass der Enteignete Ersatz für jene vermögensrechtlichen Nachteile zu begehren hat, die als Folgeschäden des Entzugs der enteigneten Sache Personen erwachsen, welchen obligatorische Nutzungsrechte an der enteigneten Sache zustehen (5 Ob 577/81). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Antragstellerin müsse sich zur Vergütung jener Nachteile, die sich aus ihrem Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an den weiteren vier Fünftel und dem damit verbundenen obligatorischen Nutzungsrecht ergeben, an die weiteren Miteigentümer der Liegenschaft wenden und könne diese nicht unmittelbar gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen, steht somit im Einklang mit der Rechtsprechung. Dass die Zustimmungserklärung der weiteren Miteigentümer für die Frage der Sachlegitimation keine Relevanz hat, führt die Revisionsrekurswerberin selbst aus.

[16] 3. Einer weitergehenden Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[17] 4. Die von der Antragsgegnerin ohne Freistellung gemäß § 71 Abs 2 AußStrG durch den Obersten Gerichtshof erstattete Rechtsmittelbeantwortung ist nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig und damit auch nicht zu honorieren (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO analog; RS0124792 [T3]).

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