OGH 9ObA119/22y

OGH9ObA119/22y24.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassnersowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * R*, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* GmbH, *, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.767,14 EUR sA (Revisionsinteresse: 250,80 EUR netto sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. August 2022, GZ 8 Ra 9/22k-147, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Endurteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Dezember 2021, GZ 9 Cga 235/14b-142, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00119.22Y.0124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 210,84 EUR (darin 35,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden als LKW-Fahrer beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe 2014 (idF: KV), Punkt C. dessen Lohn‑ und Zulagenordnung lautet:

C. Tages- und Nächtigungsgelder

Als Abgeltung für den erhöhten Lebensaufwand bei Fahrtätigkeit oder Dienstleistungen außerhalb des Dienstortes (Betriebsstätte, Werksgelände, Lager, usw.) werden Tages- und Nächtigungsgelder gewährt. Als Dienstort (Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw.) gilt jener Ort (Anschrift), an dem der Dienstnehmer zur Sozialversicherung gemeldet ist.

1. Tages- und Nächtigungsgelder im Inland

Das Tagesgeld beträgt € 26,40 pro Kalendertag. Dauert die Fahrtätigkeit oder die Abwesenheit vom Dienstort mehr als drei Stunden, gebührt für jede angefangene Stunde 1/12 des Tagesgeldes; bis drei Stunden Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort gebührt kein Tagesgeld. Im Fall einer Nächtigung …

[2] Soweit noch revisionsgegenständlich, begehrt der Kläger die Zahlung von 250,80 EUR netto an Tagesgeldern, die ihm entgegen der Ansicht der Beklagten nicht erst ab der vierten Stunde, sondern auch für die ersten drei Stunden Fahrtätigkeit pro Tag gebührten.

[3] Die Beklagte bestritt diese Auslegung und beantragte Klagsabweisung.

[4] Das Erstgericht gab diesem Klagebegehren statt.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten keine Folge.

[6] In rechtlicher Hinsicht gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB auszulegen sei (RS0008807). In erster Linie sei daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – maßgeblich und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Das Tagesgeld werde als Abgeltung für den erhöhten Lebensaufwand bei Fahrtätigkeit oder Dienstleistungen außerhalb des Dienstortes gewährt, es sei damit pauschalierter Aufwandersatz (vgl 9 ObA 29/09v). Der erste Halbsatz des zweiten Satzes in Punkt C.1. sei eindeutig so zu verstehen, dass bei mehr als drei Stunden dauernder Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort, für jede angefangene Stunde (also auch für die ersten drei Stunden) 1/12 des Tagesgeldes gebühre. Der zweite Halbsatz („bis drei Stunden Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort gebührt kein Tagesgeld“)lasse nicht erkennen, dass damit der nach dem ersten Halbsatz bestehende Anspruch eingeschränkt werden solle. Wäre dies gewollt gewesen, müsste die Regelung lauten: „Für die ersten drei Stunden Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort gebührt kein Tagesgeld“.Insgesamt sei die Regelung so zu verstehen, dass Tagesgeld nur für solche Fahrtätigkeiten oder Abwesenheiten vom Dienstort zustehe, die länger als drei Stunden dauerten, dann aber bereits ab der ersten Stunde.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Auslegung der Bestimmung zu.

[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist im Hinblick auf die Auslegung von Punkt C. des Kollektivvertrags zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[11] Die Beklagte bringt vor, Tagesgelder „auch für die ersten drei Stunden“ seien gerade nicht normiert. Wäre mit Punkt C.1. zweiter Satz erster Halbsatz schon alles über den gesamten Arbeitstag ausgesagt, wäre der zweite Halbsatz („bis drei Stunden Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort gebührt kein Tagesgeld“) obsolet und ohne jeden normativen Gehalt.

[12] Der Oberste Gerichtshof teilt entgegen dieser Auffassung die Auslegung der Vorinstanzen, sodass sowohl methodisch als auch im Ergebnis darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Hervorzuheben ist, dass die Regelung des Punktes C.1. zweiter Satz in den beiden Halbsätzen zwei Tatbestände anspricht – einerseits eine Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort von mehr als drei Stunden, andererseits eine Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort von bis zu drei Stunden – und dafür jeweils Rechtsfolgen anordnet. Die Anordnung im ersten Halbsatz „für jede angefangenen Stunde 1/12 des Tagesgeldes“ ist dabei schon nach ihrem Wortlaut auf jede Stunde der Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort zu beziehen, wenn die Voraussetzung einer Fahrtätigkeit oder Abwesenheit vom Dienstort von mehr als drei Stunden erfüllt ist. Das entspricht auch dem Zweck der Bestimmung, weil sich ein erhöhter Lebensaufwand, der mit dem Tagesgeld pauschal abgegolten werden soll, typischerweise aus der Gesamtdauer der Abwesenheit vom Dienstort ergibt, das heißt aus der Zeitspanne ab dem Verlassen des Dienstortes ohne Rückkehr innerhalb von drei Stunden. Dass das Tagesgeld dabei nicht nur für reine Fahr-, sondern auch für Pausenzeiten gebührt („Abwesenheit vom Dienstort“), stellt die Revision nicht mehr in Frage. Schließlich steht dem auch der zweite Halbsatz nicht entgegen, weil mit diesem klargestellt wird, dass eine Abwesenheit von nicht längerer als dreistündiger Dauer nicht aufwandersatzbegründend ist. Die Beurteilung der Vorinstanzen ist danach nicht korrekturbedürftig.

[13] Da die Revision der Beklagten damit nicht berechtigt ist, ist ihr keine Folge zu geben.

[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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