OGH 4Ob193/22v

OGH4Ob193/22v20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka, Dr. Annerl und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*,Deutschland, vertreten durch Dr. Sascha Salomonowitz, M.B.L.-HSG, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, wegen Unterlassung, Rechnungslegung und Zahlung sowie Urteilsveröffentlichung (Streitwert: 35.000 EUR sA; im Provisorialverfahren: 31.000 EUR) über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2022, GZ 2 R 101/22w‑32, und den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht GZ 2 R 102/22t‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00193.22V.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin produziert und vertreibt ua Leuchten als Großhändlerin an gewerbliche Wiederverkäufer in Österreich und im inner- und außereuropäischen Ausland.

[2] Für die Klägerin ist zu Nr 001194039-0001 folgendes Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Design‑Klasse „Hanging lamps“ angemeldet:

 

 

[3] Die Beklagte ist die Muttergesellschaft in einer Konzernstruktur, deren Tochtergesellschaften in mehreren Staaten inner- und außerhalb der Europäischen Union situiert sind. Die Beklagte führte die im folgenden ersichtliche Hängelampe mit dem Produktnamen „Almeida“ in die Europäische Union ein, führt diese in andere Staaten aus, lagerte diese, bewarb und verkaufte sie in Österreich.

 

 

[4] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren– soweit es auf einen Eingriff in das Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützt ist – mit Teilurteil teilweise statt und verpflichteten die Beklagte, es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der EU, allerdings mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich, ein Produkt in einer, keinen anderen Gesamteindruck hervorrufender Ausführung wie jener des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr 001194039-0001 herzustellen, zu bewerben, anzubieten, in Verkehr zu bringen, einzuführen, auszuführen, zu gebrauchen oder zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen, insbesondere eine Hängeleuchte,

1) die an der Unterseite der waagrecht abgehängten Stange fünf schwarze Metallrundrohrstangen unterschiedlicher Länge in gleichmäßigen Abständen voneinander vertikal angebracht hat und

2) die an den Pkt 1) vorbeschriebenen vertikalen Metallrundrohrstangen ihrerseits fünf kegel- und zylinderförmige Lampenschirme angebracht sind, welche jeweils im Verhältnis zu den anderen Lampenschirmen eine unterschiedliche Höhe und einen unterschiedlichen Durchmesser aufweisen, wobei die Hängeleuchte der Beklagten beispielhaft abgebildet wurde.

[5] Sie erkannten die Beklagte weiters für schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen schriftlich (näher definiert) Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die gegen das Unterlassungsgebot gemäß Punkt I. verstoßenden Gegenstände und die gegen die in Punkt I. formulierte Unterlassungspflicht verstoßenden Gegenstände auf ihre Kosten zu vernichten.

[6] Im Sicherungsverfahren verpflichteten die Vorinstanzen die Beklagte zu der oben angeführten Unterlassung.

[7] Das Mehrbegehren, die Beklagte zu verpflichten, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr in der Europäischen Union zu unterlassen, ein Produkt in identischer Ausführung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr 001194039-0001 herzustellen, zu bewerben, anzubieten, in Verkehr zu bringen, einzuführen, auszuführen oder zu gebrauchen oder zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen, wiesen die Vorinstanzen sowohl im Haupt- als auch im Sicherungsverfahren rechtskräftig ab.

[8] Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin weise gegenüber dem festgestellten vorbekannten Formenschatz ua durch die Anordnung der Lampenschirme in unterschiedlichen Höhen und Größen deutliche Abweichungen auf. Diese spezielle Ausgestaltung übernehme die Leuchte der Beklagten und vermittle damit insgesamt keinen anderen Gesamteindruck als das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

[9] In ihren außerordentlichen Rechtsmitteln zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[10] 1. Bei Beurteilung der Frage, ob ein anderes Geschmacksmuster in den Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters fällt, ist der jeweilige Gesamteindruck zu ermitteln und zu vergleichen. Es kommt nicht auf einen mosaikartig aufgespaltenen Vergleich von Einzelheiten an. Maßgeblich ist vielmehr die Würdigung des Gesamteindrucks unter dem Blickwinkel, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt (RS0120720). Dies ist danach zu beurteilen, ob beim informierten Benutzer ein anderer Gesamteindruck erweckt wird (RS0120720). Dieser Benutzer unterscheidet sich durch ein gewisses Maß an Kenntnissen und Aufgeschlossenheit für Designfragen vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“, wenn auch nicht Wissen und Fähigkeiten eines Fachmanns anzulegen sind (RS0122068). Ein hohes Maß an Eigenart gibt dabei Raum für einen großen Schutzumfang, umgekehrt führt geringe Eigenart auch nur zu einem kleinen Schutzumfang (RS0122071). Ist der informierte Benutzer des Geschmacksmusters bereit, trotz geringer Unterschiede zwischen Formenschatz und Geschmacksmuster die Eigenart zu bejahen, muss er gleichermaßen im Verletzungsstreit bei derartigen Unterschieden zwischen dem Geschmacksmuster und der angegriffenen Ausführungsform die Verletzung verneinen (RS0120720 [T4]; 4 Ob 17/18f mwN). Ob ein informierter Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck gewinnt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0120720 [T1]) und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf (4 Ob 72/21y mwN).

[11] 2. Die Vorinstanzen sind zum Ergebnis gelangt, dass ein informierter Benutzer bei einem Vergleich des geschützten Geschmacksmusters mit dem Eingriffsgegenstand keinen unterschiedlichen Gesamteindruck gewinnt. Diese Beurteilung im Einzelfall überschreitet den den Vorinstanzen in dieser Frage eingeräumten Ermessensspielraum nicht.

[12] 2.1. Die Vorinstanzen haben berücksichtigt, dass das prägende Element des hier vorliegenden Gemeinschaftsgeschmacksmusters die Anordnung der Schirme in unterschiedlichen Höhen und Größen ist, weil diese spezielle Anordnung einen spielerischen, unregelmäßigen Eindruck erweckt und die Leuchte der Beklagten – ohne, dass dafür eine technische Notwendigkeit bestünde – genau diese prägenden Merkmale übernimmt.

[13] 2.2. Die Revision argumentiert mit der unterschiedlichen Farbgestaltung der Lampe der Beklagten. Das Merkmal der Farbe kann nur dann herangezogen werden, wenn die Wiedergabe als farbige Wiedergabe erkennbar ist (RS0126202). Erscheinungsmerkmale, die in der Wiedergabe nicht zweifelsfrei erkennbar sind, können zur Abgrenzung nicht herangezogen werden. Damit ist hier – wie es im Ergebnis auch das Berufungsgericht macht – von einer zumindest untergeordneten Bedeutung der Farbgestaltung auszugehen, die den Gesamteindruck nicht entscheidend beeinflusst, weil der spezielle Gesamteindruck durch die helleren und dunkleren Lampenschirme geprägt wird. Diese Gestaltung prägt sowohl das Gemeinschaftsgeschmacksmuster als auch den Eingriffsgegenstand.

[14] 2.3. Auch ausgehend von einem geringen Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters der Klägerin aufgrund eines geringen Grads an Eigenheit liegt ein Eingriff der Beklagten vor. Die Eigenheit besteht in der unregelmäßigen Anordnung der Lampenschirme an einer horizontalen Stange, an der linear mithilfe von kurzen, vertikalen Stangen in verschiedenen Höhen fünf Lampenschirme angebracht sind, die die Form von Kegelsegmenten mit sehr unterschiedlichen Grundflächen aufweisen und deren unterschiedlicher Abstand zur horizontalen Stange den speziellen, unruhigen und spielerischen Eindruck erzeugt und damit das Auge des Betrachters auf diesen Teil lenkt. Die vermeintliche Beliebigkeit der Kombination verschiedener und auf den ersten Blick nicht zueinander passender Lampenschirme erzeugt für den informierten Benutzer den Eindruck einer improvisierten Gestaltung. All das ist keinen technischen Notwendigkeiten geschuldet. Demgegenüber haben die Vorinstanzen die Abspannung von der Decke als technische Notwendigkeit und die Endungen der Horizontalstange, deren Unterschied viel weniger augenfällig ist, ebenso wie die von der Beklagten verwendeten zwei zylindrischen Lampenschirme als in den Hintergrund tretend beurteilt

[15] Das hält sich im Rahmen der zu Punkt 1. dargestellten Rechtsprechung.

[16] 2.4. Auf die in der Revision thematisierten Ergebnisse von Nichtigkeitsverfahren der Parteien im Bezug auf andere Geschmacksmuster der Klägerin kommt es für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht an. Das Argument der Beklagten in ihrer Revision, es liege jedenfalls keine der Beklagten zurechenbare Verletzungshandlung vor, ist im Lichte der erstgerichtlichen Feststellungen, dass mehrere Vertragshändler der Beklagten noch am 4. November 2021 die Lampe über deren Webshops anboten und der Beklagten im Konzern die Entscheidung zukomme, welche Lampen produziert und vertrieben werden, die Beklagte die Lampe in Staaten der Europäischen Union vertreibe und ein Lichtbild der Lampe zur Bebilderung einer Unterwebseite der Beklagten diente, nicht nachvollziehbar.

[17] 3. Der Senat hat unlängst (4 Ob 166/19v [4 Ob 187/19g] Pkt 2.3 mwN) die ständige Rechtsprechung zu Unterlassungsbegehren dahin zusammengefasst, dass diesen eine allgemeinere Fassung gegeben werden kann, um Umgehungen zu vermeiden (RS0037733; RS0037607; 4 Ob 162/18d). Das verbotene Verhalten muss aber so deutlich umschrieben sein, dass es dem Beklagten als Richtschnur für sein künftiges Verhalten dienen kann. Es muss in einer für das Gericht und die Parteien unverwechselbaren Weise feststehen, was geschuldet wird (RS0119807 [insb T1]; 4 Ob 24/19m). Dementsprechend ist es zulässig, die konkrete Verletzungshandlung zu nennen und das Verbot auf ähnliche Eingriffe zu erstrecken (RS0037607 [T18]; 4 Ob 147/18y), oder das unzulässige Verhalten verallgemeinernd zu umschreiben und durch „insbesondere“ aufgezählte Einzelverbote zu verdeutlichen (4 Ob 88/10k, vgl auch 4 Ob 25/20k). Damit hält sich das hier erlassene Begehren im Rahmen der Rechtsprechung.

[18] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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