OGH 5Ob210/22a

OGH5Ob210/22a12.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers I*, vertreten durch Dr. Franz Kienesberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin E*, vertreten durch Winkler Reich‑Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, wegen § 8 Abs 2, § 37 Abs 3 Z 20 MRG iVm § 20 Abs 1 Z 1 WGG (hier: einstweiliger Verfügung) über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Oktober 2022, GZ 38 R 200/22a‑60, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00210.22A.1212.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 22 Abs 4 WGGiVm § 37 Abs 3 Z 20 MRG, §§ 78, 402 Abs 4 EO, § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO und § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin plant die thermische Sanierung des Hauses, in dem der Antragsteller eine Wohnung gemietet hat. Im Rahmen des von ihm eingeleiteten wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens betreffend diese – nach seiner Auffassung nicht zu duldenden – Erhaltungsarbeiten iSd § 8 Abs 2 MRG beantragte er die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wegen der durch die Sanierungsmaßnahmen drohenden erheblichen Gesundheitsgefahr für ihn und seine Familie, die das Erstgericht erließ. Es untersagte der Antragsgegnerin bis zur Klärung der Frage durch den Sachverständigen, ob im Zug von Sanierungsarbeiten durch Austausch von Baumaterialien, die bei der Errichtung der Wohnhausanlage verwendet wurden, für die Bewohner gefährliche Stoffe freigesetzt werden könnten, die für die Wohnhausanlage geplante thermische Sanierung laut dem – näher bezeichneten – Sanierungsprojekt zu beginnen, insbesondere das Dach abzureißen und die sich am Dach befindliche Mineralwolle sowie das Wärmedämm‑Verbundsystem herab‑ bzw herauszureißen.

[2] Über Widerspruch der Antragsgegnerin hob das Erstgericht diesen Beschluss auf und wies den Antrag auf Verlängerung der Wirksamkeitsdauer der einstweiligen Verfügung ab. Eine konkrete Gefährdung des Antragstellers liege nicht vor.

[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1.1. (Auch) Im Provisorialverfahren ist der Oberste Gerichtshof nur Rechts-, nicht jedoch Tatsacheninstanz. Er ist also an den von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt gebunden, weshalb ihm die Überprüfung der Beweiswürdigung entzogen ist (RIS‑Justiz RS0002192 [T17; T27]; 7 Ob 132/14h mwN).

[6] 1.2. Über weite Strecken sind die Argumente des Revisionsrekurswerbers als (unzulässiger) Versuch zu werten, den von den Vorinstanzen als bescheinigt (oder eben nicht bescheinigt) festgestellten Sachverhalt in Zweifel zu ziehen. Das Erstgericht stellte fest, dass in allen Proben der untersuchten Dachschindeln, des Fassadenputzes und Fassadenklebers kein Asbest nachgewiesen werden konnte und der Anteil an Schadstoffen im Fassadenkleber und Verputz so gering war, dass dies für den Menschen ungefährlich ist. In den Proben war kein Brom enthalten. FCKW und HBCD seien in erster Linie umweltschädlich und deshalb als gefährlicher Abfall eingestuft. Ihr Vorkommen in den Dämmstoffplatten sei so gering, dass dies für den Menschen nicht gesundheitsgefährdend ist. Schadstoffe in alter Mineralwolle sind ausreichend untersucht und behandelt worden, auch hier ist eine Gefährdung auszuschließen. Das Rekursgericht hat diese Feststellungen als unbedenklich übernommen und ergänzend auf die zahlreichen (öffentlich-rechtlichen) Normen für die Planung und Umsetzung der Sanierung verwiesen. Die Richtigkeit dieser Sachverhaltsfeststellungen unterliegt nicht der Überprüfung des Obersten Gerichtshofs.

[7] 2.1. § 381 Z 2 zweiter Fall EO, der gemäß § 22 Abs 4 WGG iVm § 37 Abs 3 Z 20 MRG auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren anwendbar ist, ermöglicht es zur Sicherung anderer Ansprüche (als Geld) einstweilige Verfügungen zu erlassen, wenn sie zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen. Unwiederbringlich ist ein Schaden nach der Rechtsprechung dann, wenn die Rückversetzung in den vorigen Stand nicht tunlich ist und Geldersatz entweder nicht geleistet werden kann oder die Leistung des Geldersatzes dem angerichteten Schaden nicht völlig adäquat ist (RS0005270), wie dies etwa bei immateriellen Schäden und Gesundheitsschäden der Fall wäre (RS0005319). Die ständige Rechtsprechung verlangt die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung im Sinn dieser Gesetzesstelle, die bloß abstrakte oder theoretische Möglichkeit der im § 381 EO erwähnten Erschwerung, Vereitlung, Gewaltanwendung oder des unwiederbringlichen Schadens reicht nicht aus (vgl RS0005118 [T4]; 6 Ob 155/99h mwN). Bei dieser Beurteilung kommt es immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an (RS0005118). Die Auffassung der Vorinstanzen, aufgrund der – aufgrund des Widerspruchsverfahrens – getroffenen Festellungen sei die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung nicht gelungen, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden.

[8] 2.2. Die Hinweise des Revisionsrekurswerbers auf die in Art 2 (Recht auf Leben) und Art 3 (Verbot der Folter) EMRK geregelten Grundrechte können daran nichts ändern. Weshalb die beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen das Recht des Antragstellers auf Leben beeinträchtigen sollten, ist dem festgestellten Sachverhalt ebensowenig zu entnehmen, wie warum dies einer Folter gleichzusetzen wäre. Auch die Berufung auf § 19 SPG über die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht der Sicherheitsbehörden bei gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Gefährdung, den Straftatbestand der fahrlässigen Gemeingefährdung in § 177 StGB sowie die Ziele und Grundsätze der Abfallwirtschaft in § 1 Abs 3 AWGgeht ins Leere. Die allen Bestimmungen zugrundeliegende Gefährdungslage stellten die Vorinstanzen gerade nicht fest. Die bloße Befürchtung des Revisionsrekurswerbers, durch bevorstehende Sanierungsmaßnahmen aufgrund der Schädlichkeit verschiedener Baustoffe gesundheitlich geschädigt zu werden, als bloß abstrakt-theoretisch und somit nicht als ausreichende Bescheinigung einer konkreten Gefährdung iSd § 381 Z 2 zweiter Fall EO zu werten, begegnet keinen Bedenken im Einzelfall. Ein konkreter Anlass für die Annahme, die Antragsgegnerin und/oder die von ihr beauftragten Professionisten würden sich an die im öffentlichen Recht vorgesehenen Vorgaben für die Sanierung (wie § 1 Abs 3 AWG) nicht halten, wurde weder behauptet noch festgestellt.

[9] 3. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor. Eine angeblich falsche Aussage eines Sachverständigen kann keine Aktenwidrigkeit sein. Worin sie sonst liegen sollte, ist aus den Ausführungen des Rechtsmittels nicht ableitbar.

[10] 4. Die mangelnde Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zum Thema „HBCD“ – durch das Erstgericht – hat der Revisionsrekurswerber im Rekurs nicht gerügt. Im Revisionsrekursverfahren kann er dies nicht nachtragen (vgl RS0043111).

[11] 5. Damit war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO, §§ 78, 402 Abs 1 EO).

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