OGH 20Ds5/22y

OGH20Ds5/22y29.11.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 29. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Rechtsanwälte Dr. Angermaier und Mag. Eigner als Anwaltsrichter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Kastner als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. November 2021, GZ D 97/21‑24, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Janda, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und des Verteidigers des Beschuldigten Mag. Polster zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0200DS00005.22Y.1129.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auch einen unbekämpften Freispruch des Berufungswerbers enthaltenden Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass er

1./ im September 2020 in einem Prostitutions-lokal in Wien vor einem Kamerateam des Senders ATV, bekleidet in Leibwäsche und einem Bademantel, die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nahm bzw vorgab, dies tun zu wollen, sie dabei an Brust und Oberschenkeln berührte, mit ihr posierte, als wolle er mit ihr den Beischlaf oder diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen vornehmen und dabei äußerte, dass sich anlässlich seiner Besuche in dem Lokal kürzere Beziehungen entwickeln würden, was ihm sehr gefalle, wobei diese Aufnahmen durch den Sender ATV am 22. April 2021 in der Sendung „Geil – so treibt's Österreich“ ausgestrahlt wurden;

2./ in einem kurz nach dem 22. April 2021 mit einem Journalisten der Tageszeitung Heute geführten Telefonat äußerte, dass er Frauen aus dem ehemaligen Ostblock bevorzugen würde, weshalb für ihn eine Teilnahme an der ATV-Sendung „Das Geschäft mit der Liebe“ durchaus vorstellbar sei, die Teilnehmer an dieser Sendung jedoch sehr derb und dort dementsprechend auch keine „Klassefrauen mit an Bord“ wären, wobei diese Äußerungen am 28. April 2021 in einem Artikel der Online-Ausgabe der Tageszeitung Heute veröffentlicht wurden.

[2] Über den Beschuldigten wurde die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von 4.000 Euro verhängt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 9 lit a StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung wegen Schuld und Strafe des Disziplinarbeschuldigten.

[4] Die das Fehlen von Feststellungen zu den für die „Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes vorgesehenen [objektiven und subjektiven] tatbestandlichen Voraussetzungen“ behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich nicht an den dazu getroffenen – teils sogar in der Berufungsschrift wiedergegebenen – Konstatierungen des Disziplinarrats (ES 4 bis 7; zur Frage der Ehrenhaftigkeit [vgl RIS‑Justiz RS0056396] der Vor- bzw Inanspruchnahme von Prostitution vgl RIS‑Justiz RS0129290; Rami in WK2 § 111 Rz 11 Punkt 5 mwN) und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

[5] Der Disziplinarrat hat im Übrigen – unter klarer Abgrenzung zur Gestaltung des Privatlebens (ES 11 f) und mit eingehenden grundrechtlichen Erwägungen (ES 12 ff) – deutlich gemacht, das disziplinär beachtliche Verhalten einer Schädigung des Standesansehens in der (eingangs dargestellten) öffentlichen Werbung für oft mit menschlichem Leid verbundene Prostitution gerade durch einen Rechtsanwalt zu erblicken (ES 6).

[6] Da dem Beschuldigten zu 1./ – schon mangels Berufsausübung im Etablissement seines langjährigen Klienten – eine Berufspflichtenverletzung nicht angelastet wurde (ES 2, 10 und 15 f), kann die Frage, ob sein Verhalten dem Schutz des Mandanten diente (§ 9 Abs 1 erster Satz RAO; vgl im Übrigen ES 6 erster Absatz), dahin gestellt bleiben (RIS‑Justiz RS0118449; Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 9 RAO Rz 4).

[7] Weshalb angesichts der Ausstrahlung des Beitrags durch den Fernsehsender ATV und der damit verbundenen Kenntnis einer – Berufskollegen, Mitglieder anderer juristischer Berufe und Klienten umfassenden (ES 5 dritter Absatz) – breiten Öffentlichkeit vom Verhalten des Berufungswerbers (der völlig unverdeckt, somit gut erkennbar vor der Kamera agierte) und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Ansehens des Anwaltsstandes bei vielen Menschen (ES 6 vorletzter Absatz) von einer fehlenden Publizitätswirkung des Fehlverhaltens des Berufungswerbers (siehe dazu RIS‑Justiz R50054876, RS0055086, RS0055093; Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 1 DSt Rz 12 ff) auszugehen wäre, bleibt unerfindlich.

[8] Mit der Behauptung, die Aufnahmen hätten der eigenen Werbung des Beschuldigten – und nicht bloß der seines Klienten – gedient, hält das Vorbringen einmal mehr nicht an den Konstatierungen des Disziplinarrats fest (ES 6 erster Absatz). Im Übrigen wird unter dem Aspekt des § 48 RL‑BA 2015 verkannt, dass der Berufungswerber durch seine Mitwirkung an den Dreharbeiten (ES 4 f) das (auch) der Werbung dienende Verhalten des Medienunternehmens veranlasst und gefördert hat (RIS‑Justiz RS0056249; Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 48 RL‑BA 2015 Rz 4).

[9] Mit den zu 2./ angestellten eigenständigen Erwägungen zum Bedeutungsinhalt des Begriffs „Klassefrauen“ entfernt sich das Vorbringen einmal mehr von den Konstatierungen des Disziplinarrats, welcher in der inkriminierten Äußerung des Berufungswerbers eine auf das äußere Erscheinungsbild der an der ATV‑Sendung „Geschäft mit der Liebe“ mitwirkenden Frauen bezogene diskriminierende Herabsetzung ersah (ES 7 vierter und fünfter Absatz; vgl RIS‑Justiz RS0092437 [T1]), und verfehlt damit die gesetzmäßige Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.

[10] Die Mängelrüge (nominell Z 5 erster und zweiter Fall) orientiert sich nicht an den Entscheidungsgründen, welchen zu entnehmen ist, dass das zu 1./ gegenständliche Verhalten des Beschuldigten einer Mehrzahl von Berufskollegen, Mitgliedern anderer juristischer Berufe, Klienten und Medienkonsumenten bekannt wurde (ES 5 dritter Absatz), und übersieht zudem, dass Kenntnisnahme durch „die Öffentlichkeit schlechthin“ keine entscheidende Tatsache betrifft.

[11] Das weitere Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) verkennt, dass notorische Tatsachen – wie hier der Gegenstand medialer Berichterstattung oder der Inhalt von Fernsehsendungen (ES 5, 7 und 9) – weder eines Beweisverfahrens noch einer Begründung, sondern bloß ihrer Feststellung bedürfen (RIS‑Justiz RS0098570 [T12, T14, T20]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 463). Eine dem Beschuldigten unbekannte – dementsprechend in der Disziplinarverhandlung zu erörternde – Gerichtsnotorietät (RIS‑Justiz RS0119094) wird damit indes nicht angesprochen.

[12] Das auf § 281 Abs 1 Z 8 StPO gestützte Vorbringen übersieht grundsätzlich, dass der Einleitungsbeschluss (§ 28 DSt) – anders als die Anklageschrift (§ 211 StPO) – den Prozessgegenstand nicht auch rechtlich zu bewerten (vgl § 211 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), sondern bloß auf der Sachverhaltsebene abzugrenzen hat. Unter dem Aspekt des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes folgt daraus, dass im Regelungsbereich des DSt eine Informationspflicht im Sinne des § 262 StPO begrifflich ausscheidet, weil der in Verfolgung gezogene Sachverhalt im Einleitungsbeschluss gar nicht zu subsumieren ist (RIS‑Justiz RS0132413).

[13] Das auf „77 Abs 3 DSt iVm Art 13, 8 MRK“ gestützte Vorbringen (dSn Z 9 lit a) verkennt, dass dem Berufungswerber (zu 1./) nicht der „Besuch eines Gastronomiebetriebes“ (und dort verwirklichtes privates Sexualleben – dazu RIS‑Justiz RS0122148) angelastet wurde, sondern seine oben wiedergegebenen Äußerungen und Posen im Rahmen der Aufzeichnung der für eine breite Öffentlichkeit intendierten Sendung „Geil – so treibt's Österreich“, die durch den Sender ATV am 22. April 2021 ausgestrahlt wurde (ES 4 bis 6). Mit einem solcherart an die Öffentlichkeit adressierten Verhalten wird aber der – durch Art 8 MRK geschützte – höchstpersönliche Lebensbereich (hier bewusst und gewollt [ES 5 f]) verlassen (RIS‑Justiz RS0125179 [T2]). Die in diesem Zusammenhang wiederholte Forderung nach der Feststellung von (innerhalb der öffentlichen Wahrnehmung bestehenden) „(Teil‑)Öffentlichkeitsbereichen“ entbehrt methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565).

[14] Bleibt unter dem Aspekt des Art 10 Abs 2 MRK anzumerken, dass Rechtsanwälte aufgrund ihrer Funktion im Rechtsstaat auch weitergehende Beschränkungen bei Meinungsäußerungen hinzunehmen haben (vgl dazu RIS‑Justiz RS0107101; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 23 Rz 30 und 32 jeweils mwN).

[15] Wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte, musste die Berufung wegen Nichtigkeit erfolglos bleiben.

[16] Die Berufung wegen Schuld vermag mit der Kritik an der erfolgten Bezugnahme auf notorische Tatsachen (ES 9) keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat zu erwecken. Indem der Berufungswerber die in diesem Zusammenhang verwendeten Quellen (ES 5 dritter Absatz und ES 7 letzter Absatz iVm ES 8 f) als „reichlich fragil“ erachtet, zeigt er keine aufzugreifenden Mängel der Beweiswürdigung durch den Disziplinarrat auf.

[17] Der Berufung wegen Schuld war daher nicht Folge zu geben.

[18] Der Disziplinarrat wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen und das vorsätzliche Handeln im Fall des Schuldspruchs zu 1 (zu 2 wurde lediglich Fahrlässigkeit angenommen – ES 15), als mildernd den standesrechtlich bisher ordentlichen Wandel (ES 17).

[19] Die Verhängung einer Geldbuße knapp über dem monatlichen Nettoverdienst (ES 3) ist nicht überhöht.

[20] Wenn der Beschuldigte in seiner Strafberufung moniert, das „mediale Aufsehen“ sei von „dritter Seite“ verstärkt worden, lässt er außer Acht, dass er dazu den Grundstein gelegt hat.

[21] Der Strafberufung war somit nicht näher zu treten.

[22] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Oberster Gerichtshofals Disziplinargericht für Rechtsanwälteund RechtsanwaltsanwärterWien, am 29. November 2022Dr. S c h w a bFür die Richtigkeit der Ausfertigungdie Leiterin der Geschäftsabteilung:

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