OGH 7Ob179/22g

OGH7Ob179/22g23.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Faber und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch die Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen 150.922,69 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. August 2022, GZ 4 R 43/22f‑24, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00179.22G.1123.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Auf eine Verletzung der Anzeigepflicht gemäß Art 1 ABS 1995 oder eine wesentliche Gefahrerhöhung nach Art 2 ABS 1995 hat sich die Beklagte in der Berufung nicht gestützt. Eine in einem selbständig beurteilbaren Teilbereich in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge kann aber in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T33]; vgl RS0043480 [T22]), weshalb sich eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Argumenten erübrigt.

[2] 2.1. Im Versicherungsvertragsrecht ist grobe Fahrlässigkeit dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RS0030331; RS0080371); es muss die Schadenswahrscheinlichkeit offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalls ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RS0030318). Bei der Beurteilung müssen die Umstände des einzelnen Falls und die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden. Bei Zumutbarkeit von Maßnahmen ist auf jenen Personenkreis abzustellen, dem der Versicherungsnehmer angehört (RS0080387).

[3] 2.2. Ob eine Fehlhandlung wegen ihres besonderen Gewichts oder einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufigkeit die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigen, ist bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0044262 [T46, T48, T50]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (RS0087606 [T22]). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

[4] 2.3. Die Klägerin veranlasste anlässlich der Eröffnung des Geschäftslokals die Durchführung der notwendigen Reparaturen am Schloss der Schaufenstertür über einen Fachbetrieb. Die von der Hausverwaltung der Vermieterin beigezogene Schlosserei montierte nach Reparatur des Türschlosses zusätzlich vier Sperr‑/Schubriegel. Dieses Fachunternehmen unterließ es, Vorhangschlösser für die von ihm montierten Riegel beizustellen. Ein eindeutiger Hinweis, Vorhangschlösser zu montieren, wurde der Klägerin nicht erteilt. Die Hausverwaltung teilte ihr mit, sie sei von der Schlosserei informiert worden, „dass die Türe wieder funktioniert und sperrbar ist“. Die Schaufenstertür war nach den Arbeiten des Schlossers wieder mittels Zylinderschloss versperrbar und zum Zeitpunkt des Einbruchs auch versperrt. Die Sperrriegel‑Eintauchtiefe konnte nicht festgestellt werden.

[5] Das Berufungsgericht maß dem schriftlichen Hinweis der Schlosserei, dass vier Schubriegel montiert und „sperrbar gerichtet“ wurden, nur die Aussagekraft zu, dass damit bloß die Feinjustierung der Riegel gemeint gewesen sei. Von der Schlosserei wäre zu erwarten gewesen, dass sie im Bedarfsfall die Vorhangschlösser selbst zur Verfügung stellt oder die Klägerin darauf aufmerksam macht, dass diese sie beizustellen habe. Zwar seien Gefahren eines Öffnens der Riegel von außen keineswegs völlig fern, nach erfolgter Beiziehung eines Fachbetriebs aber nicht so nahe gelegen, dass von einer gleichgültigen Haltung der Klägerin und ihrer Mitarbeiter oder von einer Außerachtlassung von für jedermann einsichtigen Sicherungsmaßnahmen auszugehen wäre. Die Klägerin habe aus eigenem Antrieb entsprechende Maßnahmen durch Fachleute veranlasst. In der Gesamtschau ihres Verhaltens sowie des Ablaufs und der Umstände der Reparatur sei von leichter Fahrlässigkeit auszugehen. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.

[6] Wenn die Revisionswerberin nach den durchgeführten Reparaturarbeiten der Schlosserei von einer „nicht funktionsfähigen bzw nicht sperrbaren Schaufenstereingangstüre“ spricht und von einer „zu geringen Eintauchtiefe des Türschlossriegels“ ausgeht, entfernt sie sich von den getroffenen Feststellungen. Ihre Behauptung, die Klägerin hätte die Sperrbarkeit der Schaufenstertür nach deren Sanierung (durchgehend) überprüfen müssen, belegt kein grob fahrlässiges Verhalten. Aufgrund der Reparatur durch den beigezogenen Fachbetrieb konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass die Schaufenstertür auch ohne Anbringung von Vorhangschlössern an den Schubriegeln ordnungsgemäß sperrt. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach das Unterlassen weiterer Kontrollen nicht auf eine grobe Fahrlässigkeit der Klägerin hinweist, liegt im Rahmen des Ermessensspielraums und ist nicht zu beanstanden.

[7] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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