European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00154.22F.1123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Konsumentenschutz und Produkthaftung, Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.831,68 EUR (darin enthalten 305,28 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist ein klageberechtigter Verein im Sinn des § 29 Abs 1 KSchG.
[2] Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen und bietet ihre Leistungen im gesamten österreichischen Bundesgebiet an. Sie tritt in ihrer geschäftlichen Tätigkeit laufend mit Verbrauchern im Sinn des § 1 KSchG in rechtsgeschäftlichen Kontakt und schließt mit diesen Verträge. Dabei verwendet sie in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern, die sie den von ihr mit Verbrauchern geschlossenen Verträgen zugrunde legt, folgende Klausel: [Anmerkung: Der vom Kläger beanstandete Teil der Klausel ist kursiv geschrieben]
„R10 – Laufzeitvorteil
Im Hinblick auf die erstmals oder neuerlich vereinbarte Vertragslaufzeit entstehen kalkulatorische Kostenvorteile, welche in der vereinbarten Prämie bereits berücksichtigt sind.
Bei vorzeitiger Vertragsauflösung innerhalb von 9 Jahren ab Vertragsbeginn oder -verlängerung entfällt die Grundlage für diese Prämienberechnung. Der Versicherungsnehmer ist daher zur Zahlung einer Nachschussprämie gemäß nachstehender Berechnung verpflichtet: Vor Vollendung eines Jahres ab Vertragsbeginn oder -verlängerung beträgt die Nachschussprämie 90 % einer Jahresprämie. Nach Vollendung eines Jahres ab Vertragsbeginn oder -verlängerung beträgt die Nachschussprämie 80 % einer Jahresprämie. Mit Vollendung jeden weiteren Jahres verringert sich dieser Prozentsatz jeweils um 10 %, sodass die Nachschussprämie nach Vollendung des zweiten Jahres 70 % und nach Vollendung des dritten Jahres 60 % einer Jahresprämie beträgt u.s.w. Als Berechnungsgrundlage wird immer die zum Auflösungszeitpunkt nach Maßgabe des Vertrages aktuelle Jahresprämie herangezogen.
[3] Bei Kündigung durch den Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls wird keine Nachschussprämie verrechnet.“
[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel oder einer sinngleichen Klausel zu unterlassen, sowie es zu unterlassen, sich auf die genannte oder sinngleiche Klausel zu berufen. Weiters stellte der Kläger ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Die Klausel sei gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB, weil sie dazu führe, dass der Versicherungsnehmer – im Falle einer Vertragsbeendigung in den ersten beiden Jahren – mehr nachzahlen müsse, als er für diesen Zeitraum an Vorteil erhalten habe. Dadurch, dass die Klausel auch bloße Vertragsverlängerungen erfasse, benachteilige sie die Konsumenten gröblich, weil sich in diesen Fällen die kalkulatorischen Kosten des Erstabschlusses längst amortisiert hätten. Zudem enthalte die Klausel keine Einschränkung, dass die Nachschussprämie nicht zu zahlen sei, wenn der Vertrag aus einem vom Versicherer gesetzten wichtigen Grund vorzeitig aufgelöst werde. Die Klausel sei zudem intransparent, weil es dem Versicherer mangels einer Festlegung frei stehe, die Höhe des Laufzeitvorteils zu bestimmen; der Vorteil könne bei kundenfeindlichster Auslegung auch unter 20 % der Jahresprämie liegen. Intransparenz liege auch vor, weil bei der Nachforderungsberechnung auf die zum Auflösungszeitpunkt aktuelle Jahresprämie abgestellt werde, die der Höhe nach noch ungewiss sei.
[5] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Laufzeitvorteilsklausel, die nicht eine Dauerrabattrückforderung vorschreibe, sondern eine Prämiennachschussverpflichtung, sehe einen Aufschlag für nicht amortisierte einkalkulierte Kostenvorteile vor, der nur und erst im Falle einer vorzeitigen Vertragsauflösung als Nachschussprämie zu bezahlen sei. Dem Versicherungsnehmer sei die vereinbarte Prämie und der Prozentsatz für die Berechnung der Nachschussprämie bekannt, sodass die Klausel verständlich und transparent sei. Bei einer Vertragsverlängerung handle es sich um eine neue Vereinbarung mit neuer Laufzeit, bei der neuerlich Kosten anfallen würden, sodass auch eine entsprechende Nachverrechnung zulässig sei. Die Klausel enthalte auch eine Einschränkung der Nachschussprämienverrechnung, nehme sie doch die Kündigung des Vertrags nach Eintritt des Versicherungsfalls aus. Daraus folge, dass die Verrechnung der Nachschussprämie bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgeschlossen sei.
[6] Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren unter Bestimmung einer Leistungsfrist von vier Monaten sowie dem Veröffentlichungsbegehrenstatt. Die Klausel sei gröblich benachteiligend, weil die vom Versicherungsnehmer rückforderbaren Rabatte (Nachschüsse) nicht streng degressiv gestaltet seien.
[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge. Die Rechtsfolge, die mit dieser Klausel für den Versicherungsnehmer verbunden sei, unterscheide sich nicht von den in der Judikatur bereits behandelten „Dauerrabattklauseln“. Die Klausel entspreche zwar auf den ersten Blick dem strengen Degressionsgebot, allerdings führe sie im Fall von Vertragsverlängerungen – bei kundenfeindlichster Auslegung – dazu, dass der Prozentsatz der Nachschussprämie immer wieder bei 90 % der aktuellen Jahresprämie beginne, auch dann, wenn kein Neuvertrag im Sinn einer Novation vorliege. Darüber hinaus sehe die Klausel keine Einschränkung der Nachschussprämienpflicht für den Fall vor, dass der Versicherungsnehmer den Vertrag aus einem vom Versicherer gesetzten wichtigen Grund vorzeitig auflöse. Die Klausel sei daher gröblich benachteiligend im Sinn von § 879 Abs 3 ABGB.
[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.
[9] Der Kläger begehrt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[10] Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1.1. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das durch § 879 Abs 3 ABGB geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914); beide Elemente zusammen ergeben in Kombination das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit (RS0016914 [T7]). Die Beurteilung, ob eine Klausel den Vertragspartner gröblich benachteiligt, orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall dient (RS0014676). Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn sie unangemessen ist (RS0016914; RS0014676 [T21]). Maßgeblich ist, ob es für die Abweichung eine sachliche Rechtfertigung gibt (vgl RS0016914 [T2, T3]; RS0014676 [T21]). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in auffallendem Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0014676 [T21]; RS0016914 [T4]).
[12] 1.2. Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205 [insb T20]).
[13] 1.3. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die vorliegende Klausel („Laufzeitvorteil“ mit „Nachschussprämie“) mit den in der Judikatur behandelten, üblicherweise als „Dauerrabattklauseln“ bezeichneten Vertragsbestandteilen (vgl RS0126072) vergleichbar: Der Versicherungsnehmer ist hier bei vorzeitiger Vertragsauflösung innerhalb von neun Jahren ab Vertragsbeginn oder -verlängerung zur Zahlung einer Nachschussprämie verpflichtet und verliert dadurch in der Prämie enthaltene Kostenvorteile. Wie die Dauerrabattklauseln verpflichtet somit auch diese Klausel den Versicherungsnehmer zum Ersatz von (monetären) Vorteilen, die ihm wegen einer vorgesehenen längeren Laufzeit des Vertrags (hier 10 Jahre) gewährt wurden. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, dass die zu den Dauerrabattklauseln ergangene Judikatur auf die vorliegende Klausel übertragbar ist.
[14] 1.4. Eine Dauerrabattklausel ist zunächst nur unter der Voraussetzung zulässig, dassder Rückforderungsanspruch des Versicherers an eine vorzeitige Auflösung des Vertrags durch den Versicherungsnehmer geknüpft ist. Außerdem ist eine Rückforderung nicht zulässig, wenn der Versicherungsnehmer einen wichtigen Grund für die Vertragsauflösung hat (Perner, Privatversicherungsrecht Rz 5.39; Riedler in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 8 VersVG Rz 45 f; vgl auch 7 Ob 156/20x [Klausel 9, Rz 90 f]). Gleiches muss auch für eine „Laufzeitvorteilsklausel“ gelten, gibt es doch keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass bei Kündigung durch den Versicherer oder Vertragsauflösung wegen eines vom Versicherer gesetztenwichtigen Grundes der Versicherungsnehmer dennoch zur Nachzahlung verpflichtet wäre. Genau dies sieht die Klausel aber bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung vor: Es wird nämlich nur der Fall von der Nachschussprämienzahlungspflicht des Versicherungsnehmers ausgenommen, dass der Versicherer den Vertrag nach Eintritt des Versicherungsfalls kündigt. Hingegen wird etwa die Kündigung des Versicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer bei Vorliegen eines vom Versicherer gesetzten wichtigen Grundes nicht von der Verrechnung der Nachschussprämie ausgenommen, weshalb die Klausel schon aus diesem Grund gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB ist. Die weiteren Argumente der Revision bedürfen daher im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung.
[15] 2. Gegen das Veröffentlichungsbegehren wendet sich die Beklagte nicht.
[16] 3. Die Revision der Beklagten ist somit erfolglos.
[17] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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