OGH 15Os91/22d

OGH15Os91/22d3.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Privatbeteiligten * M* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 14. Juni 2022, GZ 25 Hv 35/22v‑44a, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00091.22D.1103.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 sowie das darauf beruhende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I./, demnach auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang an das Geschworenengericht des Landesgerichts für Strafsachen Graz zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Über die Berufung des Privatbeteiligten * M* hat das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens des Mordes nach §§ 1575 StGB (I./) und des Vergehens der „grob fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 erster Fall, Abs 4 zweiter Satz StGB“ (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 22. Dezember 2021 in S*

I./ * Sc* zu töten versucht, indem er versuchte, ihm mit einem ca 35 Zentimeter langen Fleischermesser in den Rücken zu stechen, wobei es lediglich deshalb beim Versuch blieb, weil * M* den Angriff im letzten Moment abwehren konnte, indem er ihm entgegentrat und mit beiden Händen einen Stoß versetzte, sodass er zurücktaumelte;

II./ * M* dadurch grob fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte, dass er mit einem Fleischermesser vor * M* gestikulierte und in einem darauf folgenden Kampfgeschehen dem Genannten einen Stich in den Bauch versetzte, wodurch dieser eine drei bis vier Zentimeter lange und fünf bis sieben Zentimeter tiefe Stichwunde im Oberbauch sowie eine zehn bis 15 Zentimeter lange Kratzspur vom linken Rippenbogen bis zum Brustbein erlitt.

 

[3] Die Geschworenen hatten die jeweils gestellten Hauptfragen (Nr 1 und 3) nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 1575 StGB zu I./ bejaht und zu II./ verneint.

[4] Die zu I./ für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 (Nr 1) gestellte Eventualfrage 1 (Nr 2) nach dem Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB blieb demgemäß unbeantwortet.

[5] Für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 2 zu II./ gestellte Eventualfragen nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (Eventualfrage 1; Nr 4) und nach „dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 StGB“ (Eventualfrage 2; Nr 5) wurden verneint, jene nach dem Vergehen der „grob fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 erster Fall und Abs 4 zweiter Satz StGB“ (Eventualfrage 3; Nr 6) hingegen bejaht. Eine Eventualfrage 4 zur Hauptfrage 2 (Nr 7) nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 Abs 1, Abs 4 StGB) blieb demzufolge unbeantwortet. Eine Eventualfrage 5 (Nr 8) nach dem Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB – gestellt für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 2 (Nr 3) und Bejahung/Verneinung der Eventualfragen 1 bis 4 zur Hauptfrage 2 (Nr 4–7) – wurde verneint.

Rechtliche Beurteilung

 

[6] Die aus § 345 Abs 1 Z 6 und 10a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten richtet sich ausschließlich gegen den Schuldspruch zu I./.

[7] Die Fragenrüge (Z 6) moniert das Unterbleiben von Eventualfragen nach den Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 StGB) und der schweren Körperverletzung „nach §§ 1583 Abs 1, 84 Abs 4 und 5 Z 1 StGB“ (auch) zur Hauptfrage 1 (Nr 1).

[8] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen und eines die begehrten Eventualfragen indizierenden Tatsachensubstrats (RIS‑Justiz RS0117447).

[9] Zutreffend weist der Beschwerdeführer zunächst darauf hin, dass die vom Zeugen F* bekundete, angeblich kurze Zeit vor dem Zukommen auf Sc* mit einem eigens herbeigeholten Messer geäußerte verbale Aggression des Angeklagten „Den stech ich jetzt ab!“ (ON 38a S 20; vgl auch ON 2, 3 iVm ON 44 S 16) nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht nur einen Tötungsvorsatz, sondern auch einen Vorsatz auf („bloß“) schwere Verletzung des Bezeichneten zum Ausdruck bringen kann (vgl etwa 13 Os 136/16y; 15 Os 103/15h). Er selbst hatte sich zwar bloß in Richtung (schwerer) Nötigung verantwortet (vgl dazu die Eventualfrage 1; Nr 2) und sowohl einen Tötungs- als auch einen Verletzungsvorsatz bestritten (ON 38a S 4, 7 f, 12). Allerdings soll er nach Angaben des Zeugen M* unmittelbar vor dessen Einschreiten mit einem „eigenen Blick“ (auch: „hasserfüllten Blick“, „Psychoblick“, „starren Blick“) und nach unten gestrecktem Arm „zügigen Schrittes“ bis auf einen Meter auf den ihm denRücken zukehrenden Sc* „zugegangen“ (im Ermittlungsverfahren auch: „geschossen“) sein, wobei die Messerspitze nach vorne (auch: „die Klinge nach oben“) gezeigt habe (ON 38a S 26; ON 23.9,4 iVm ON 44 S 16; ON 30 S 25 f iVm ON 38a S 28). Der Zeuge sei deshalb davon ausgegangen, dass „etwas passieren“, also der Angeklagte Sc* „attackieren“ (auch: diesem „etwas antun“) und auf diesen „zustechen“ werde (ON 38a S 26; ON 30 S 27 iVm ON 38a S 28), weshalb er „dazwischen gehüpft“ sei (auch: „einen Ausfallschritt“ gemacht habe) und den Angeklagten mit ca einer Armlänge Abstand weggestoßen habe (ON 38a S 26 ff). Der Angeklagte habe dabei das Messer in einer Stichbewegung von unten nach oben „bewusst“ (auch: „zielgerichtet“) gegen ihn (M*) geführt und ihn dabei im Bereich des Oberbauchs „angestochen“ (ON 38a S 27; ON 23.9,4 iVm ON 44 S 16; ON 30 S 27, 31 f iVm ON 38a S 28). Zu einer konkreten Stichführung gegen Sc* ist es (jedenfalls wegen des Einschreitens von M*) nicht gekommen.

[10] Die Beschwerde zeigt somit zu I./ Beweisergebnisse zum äußeren Geschehensverlauf auf, welche in subjektiver Hinsicht (auch) einen aus diesem Geschehen ableitbaren Vorsatz in Richtung (bloß) einer (schweren) Verletzung des Sc* ernsthaft indiziert erscheinen lassen (vgl etwa 13 Os 148/10s; 12 Os 140/19h; 11 Os 64/18y; 15 Os 82/19a), zumal im konkreten Fall der gerichtsmedizinische Sachverständige zur Frage der Massivität der (letztlich) tatsächlich erfolgten Einwirkung mit dem Messer (dann auf M*) als eine aus medizinischer Sicht denkmögliche Erklärung (von mehreren) für das nur begrenzte Eindringen desselben (mit 5 bis 7 cm und damit weniger als der Hälfte der Klingenlänge von 25 cm) dargelegt hatte, dass der Angeklagte (eben) nicht mit einer erheblichen oder gar maximalen Wucht zugestochen habe (ON 27.2,19 iVm ON 44 S 8).

[11] Weil nicht auszuschließen ist, dass die gerügte Formverletzung einen dem Angeklagten zu I./ nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben konnte (vgl § 345 Abs 3 StPO), waren der Wahrspruch der Geschworenen und das Urteil wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§§ 285e, 344 zweiter Satz StPO).

[12] Ein Eingehen auf das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 10a) erübrigte sich daher.

[13] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung (auch) des Strafausspruchs zu verweisen.

[14] Über die Berufung des Privatbeteiligten M* (zu II./) wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

[15] Bleibt mit Blick auf den zweiten Rechtsgang anzumerken, dass § 84 Abs 4 StGB idgF eine selbständige Qualifikation des § 83 Abs 1 StGB normiert (13 Os 136/16y), während § 84 Abs 5 StGB idgF (angesichts des ausdrücklichen Verweises auf die Tatbestände des § 83 StGB als Grundtatbestände) eine unselbständige Qualifikation des § 83 Abs 1 StGB darstellt (13 Os 85/18a; vgl auch 13 Os 111/18z zu § 84 Abs 2 StGB; 11 Os 160/18s zu § 83 Abs 1 und 3 StGB). Eine Tat, die beide Tatbestände erfüllt, wäre zufolge echter Idealkonkurrenz der in Rede stehenden strafbaren Handlungen (RIS‑Justiz RS0132358) bei gleichzeitigem Fehlen einer § 29 StGB vergleichbaren Bestimmung nicht zu „einem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 4 und 5 Z 1 StGB“ (vgl Frage Nr 5) zusammenzufassen, sondern jeweils einem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB und einem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB zu subsumieren, gegebenenfalls jeweils in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verblieben. Im Geschworenenverfahren erfordert dies zudem eine jeweils gesonderte Fragestellung (RIS‑Justiz RS0100788; Lässig, WK‑StPO § 314 Rz 1; 13 Os 85/18a).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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