OGH 2Ob192/22g

OGH2Ob192/22g25.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf, Dr. Rainer Kappacher, MBL, DI MMag. Dr. Michael Kössler, Rechtsanwälte in Landeck, wider die beklagte Partei V*, vertreten durch Mag. Jasmin Oberlohr, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 14.576,79 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. April 2022,  GZ 2 R 221/21w‑37, mit dem einer Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 16. Juli 2021, GZ 7 C 659/19w‑31, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00192.22G.1025.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund eines vom Unfallgegner allein verschuldeten Verkehrsunfalls vom 4. 12. 2015 Schmerzengeld und Verdienstentgang für den Zeitraum Jänner 2018 bis Juni 2019.

[2] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil Schmerzengeld bereits in einem Vorverfahren global bemessen und zuerkannt worden sei. Auch der geltend gemachte Verdienstentgang stehe nicht zu. Der Kläger könne zwar seine Tätigkeit als Trockenbauer nicht mehr ausüben. Allerdings hätte er einer Beschäftigung als Verpacker oder Adjustierer nachgehen und so einen entsprechenden Verdienst erzielen können. Die ab 2018 bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei nicht auf den Unfall, sondern auf eine bereits zuvor begründete und auch aus Geschehnissen nach dem Unfall herrührende psychische Beeinträchtigung zurückzuführen.

[3] Das Berufungsgericht gab einer Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts zur Globalbemessung des Schmerzengeldes und führte zum Verdienstentgang aus, der Kläger habe im Rahmen der konkreten Schadensberechnung zu beweisen, dass er im maßgeblichen Zeitraum ohne den Unfall Einkünfte in entsprechender Höhe erzielt hätte. Allerdings stehe fest, dass er aus nicht unfallkausalen, psychischen Gründen ohnehin nicht in der Lage gewesen sei, irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Ob der Kläger im Rahmen seiner Schadensminderungsobliegenheit gehalten sei, eine ihm physisch mögliche Tätigkeit als Verpacker oder Adjustierer auszuüben, könne daher dahinstehen. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht über Antrag des Klägers zur Frage zu, wie „in Sachen Haftungsteilung (und auch Behauptungs‑ und Beweislast) vorzugehen ist, wenn nach womöglich rein unfallbedingtem Arbeitsplatzverlust und– unter Umständen – unfallbedingt (verletzungsbedingt) grundsätzlich erwartbarem Verdienstentgang aus unfallunabhängigen Gründen überhaupt keine Erwerbstätigkeit mehr wiederaufgenommen werden konnte“.

[4] Die sich ausschließlich mit dem Verdienstentgang auseinandersetzende Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Soweit der Kläger eine Aktenwidrigkeit darin erblickt, dass das Berufungsgericht aus den Feststellungen des Erstgerichts zu Unrecht seine Arbeitsunfähigkeit aus psychiatrischen, nicht auf den Unfall zurückzuführenden Gründen abgeleitet hat, wirft er diesem inhaltlich eine unrichtige rechtliche Beurteilung aufgrund Fehlinterpretation der Feststellungen vor. In einem solchen Fall ist bei Behandlung der Rechtsrüge von den (richtig interpretierten) Feststellungen des Erstgerichts auszugehen (RS0116014 [T4]).

[6] 2. Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger aufgrund des Unfalls (physisch) nicht mehr in der Lage war, die von ihm zuvor ausgeübte Tätigkeit als Trockenbauer oder eine vergleichbare Tätigkeit in der Branche, sondern lediglich die eines Verpackers, Adjustierers oder Portiers auszuüben. Es ging aber – wie auch aus der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung klar hervorkommt und vom Berufungsgericht zutreffend angenommen wurde – überdies davon aus, eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfalls aus psychiatrischer Sicht sei nicht gegeben; diese [die Arbeitsunfähigkeit] sei nicht auf den Unfall, sondern auf eine beim Kläger bereits vorbestehende und auch aus Geschehnissen danach resultierende psychische Beeinträchtigung zurückzuführen.

[7] Den Feststellungen ist daher zusammengefasst zu entnehmen, dass der Kläger aufgrund der Unfallfolgen (physisch) nicht mehr seiner beruflichen Tätigkeit als Trockenbauer nachgehen konnte, er aber aufgrund einer bestehenden (psychischen) Vorerkrankung unabhängig vom Unfall und dessen Folgen im selben Zeitraum ohnehin nicht arbeitsfähig war. Die so zu verstehenden Feststellungen sind der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen.

[8] 3. Ausgehend davon liegt ein sogenannter „Anlagefall“ vor, weil im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereits eine dem Geschädigten innewohnende (konstitutionelle) Schadensanlage bestand, die später allein zum gleichen (hier: sogar noch größeren) Schaden geführt hätte (vgl 2 Ob 164/17g Pkt 4.1.).

[9] 3.1 Zwar hat die Rechtsprechung die Aufhebung der Haftung infolge überholender Kausalität grundsätzlich abgelehnt (RS0022634) und auch ausgesprochen dass dann, wenn zwei Umstände, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung und eine Veranlagung des Verletzten zusammen (summierte Einwirkungen) die Schwere des Verletzungserfolgs bedingen, der Schädiger für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich bleibt (RS0022684). Der Umstand, dass ein Schaden mehr oder weniger wahrscheinlich auch ohne die schadensbringende Handlung eingetreten wäre, vermag die Schadenersatzpflicht des Schädigers nicht aufzuheben (RS0022629).

[10] Anders liegt die Sache aber dann, wenn der Erfolg auch ohne die Verletzung wegen der besonderen Veranlagung des Geschädigten (Anlageschaden) ungefähr zur gleichen Zeit in gleicher Weise und im gleichen Umfang eingetreten wäre (RS0022684). Steht fest, dass der gleiche Erfolg auch ohne das (reale) Schadensereignis (zu einem bestimmten Zeitpunkt) eingetreten wäre, ist dies zu berücksichtigen (RS0022609 [T8]). Der Schädiger kann einwenden, dass die Folgen der realen schädigenden Handlung ident seien mit denen anderer hypothetischer Ursachen. Ihn trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast (RS0022647). Auch der maßgebende Zeitpunkt muss mit einiger Sicherheit bestimmt werden können (RS0022653 [T2]). Gelingt dem Schädiger dieser Beweis, ist seine Ersatzpflicht auf den sogenannten Verfrühungs‑ oder Verschlimmerungsschaden eingeschränkt (RS0022609 [T7]).

[11] 3.2 Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kläger in den Jahren 2018 und 2019 (allein) aufgrund seiner nicht auf das schädigende Ereignis zurückzuführenden, sondern bereits zuvor bestehenden psychischen Beeinträchtigung nicht in der Lage war, auch nur irgendeiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der geltend gemachte Schaden (Verdienstentgang) wäre daher auch ohne die Verletzung wegen der besonderen Veranlagung des Klägers zur gleichen Zeit in gleicher Weise und in gleichem bzw sogar noch größerem Umfang eingetreten. Wenn das Berufungsgericht in einer derartigen Konstellation die Haftung der Beklagten verneint, entspricht dies der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und wirft keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[12] 3.3 Soweit der Kläger als sekundären Feststellungsmangel das Fehlen einer Negativfeststellung dahingehend rügt, es könne nicht festgestellt werden, ob er im Zeitraum 1. 1. 2018 bis 30. 6. 2019 aus psychiatrischer Sicht arbeitsunfähig gewesen sei, übergeht er erneut die gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts. Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

[13] 4. Die vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidungen (1 Ob 40/83 und 4 Ob 539/89) betrafen keinen „Anlageschaden“ und sind daher schon deshalb nicht einschlägig.

[14] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

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