European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00078.22G.1018.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen deren mit 66.358,98 EUR (darin 11.059,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Schadenersatzklage des Insolvenzverwalters einer Bau GmbH gegen deren Abschlussprüferin in Höhe von rund 25 Mio EUR. Das beklagte Wirtschaftsprüfungsunternehmen habe die Prüfungen sorgfaltswidrig durchgeführt und zu Unrecht uneingeschränkte Bestätigungsvermerke bezüglich der Jahresabschlüsse erteilt. Das Erstgericht bestellte einen Sachverständigen zur Frage, ob die Jahresabschlüsse unter anderem bezogen auf Forderungen gegen Tochtergesellschaften der nunmehrigen Insolvenzschuldnerin objektiv fehlerhaft waren. Dieser kam in seinem Gutachten unter anderem zum Ergebnis, dass die vorgelegten Urkunden und Nachweise nicht ausreichend seien, um zu einer abschließenden Beantwortung der an ihn gestellten Frage zu kommen. Ein Antrag des Klägers, der Beklagten die Vorlage wesentlicher Unterlagen aus den Prüfungsakten aufzutragen, wurde rechtskräftig als zu unbestimmt abgewiesen.
[2] Sodann beantragte der Kläger gemäß § 184 ZPO, an die Geschäftsführer der Beklagten 15 Fragen zum Vorhandensein von Urkunden zum Thema der Bilanzierung der Forderungen der Insolvenzschuldnerin gegen ihre polnische Tochtergesellschaft und deren Werthaltigkeit zu stellen. Dabei handelte es sich um Fragen über die Anforderung, den Erhalt, die Kenntnis und die Erstellung von Urkunden seitens der Beklagten. Der Kläger selbst verfüge nur über jene Unterlagen, die im Zeitraum seiner Tätigkeit gesichert worden seien.
[3] Die Beklagte sprach sich gegen die Zulässigkeit der Fragen aus, da sie sowohl bei einer Gesamtbetrachtung, als auch bei isolierter Betrachtung unzulässig seien und der Antrag schon mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 184 ZPO untauglich und unzulässig sei. Es seien sämtliche bezughabenden Unterlagen, die für die Prüfung der streitgegenständlichen Jahresabschlüsse notwendig gewesen seien, bei der Insolvenzschuldnerin oder deren Konzerngesellschaften und damit in der Sphäre des Klägers vorhanden (gewesen). Es könne daher keine Beweisnot des Klägers geben. Es sei nicht denkbar, dass sich solche Unterlagen in der Sphäre der Beklagten befänden. Eine Urkundenvorlagepflicht der Beklagten bestehe nicht. Die Fragen des Klägers entsprächen nicht dem Telos des § 184 ZPO, sondern zielten in erster Linie darauf ab, die dem Kläger obliegende Beweislast auf die Beklagte abzuwälzen. Sie berief sich zu allen Fragen auf ihr Verweigerungsrecht nach § 321 Abs 1 Z 1 und 3 ZPO wegen eines (mittlerweile eingestellten) strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und auf Verschwiegenheitspflichten gegenüber dem „component auditor“ und gegenüber der polnischen Tochtergesellschaft der Insolvenzschuldnerin.
[4] Die Beklagte selbst stellte ihrerseits acht Fragen an den Kläger.
[5] Das Erstgericht ließ die Fragen 2–15 des Klägers an die Beklagte gemäß § 184 ZPO zu; die Frage 1 des Klägers ließ es nicht zu, ebenso ließ es die Frage 1 der Beklagten an den Kläger nicht zu. Beim Kläger liege eine für die Anwendung des § 184 ZPO erforderliche Beweisnot vor. Auch wenn sämtliche für die Erstellung der Bilanzen erforderlichen Unterlagen zum damaligen Zeitpunkt bei der Insolvenzschuldnerin vorhanden gewesen sein müssten, lasse sich nicht darauf schließen, dass diese auch weiterhin verfügbar seien. Der Vorwurf eines Versuchs des Klägers, seine Beweislast abzuwälzen, könne nicht nachvollzogen werden. Wenn zu erwarten sei, dass relevante Urkunden in der Verfügungsmacht der Beklagten seien und es ihr zumutbar sei, über das Vorhandensein dieser Unterlagen Auskunft zu erteilen, sei § 184 ZPO anzuwenden. Die Beklagte habe nicht substanziiert begründet, warum ihr – trotz Vorliegens eines elektronischen Prüfungsakts – unzumutbar sein sollte, die Unterlagen zu finden bzw die Fragen zu beantworten. Sie habe sich bislang nur pauschal darauf berufen, eine Mitwirkung sei nicht zumutbar, verstieße gegen Verschwiegenheitspflichten oder würde sie der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen. Eine individuelle Begründung sei sie schuldig geblieben. Es bestehe auch eine Mitwirkungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei. Sämtliche Unterlagen, auf die sich die Fragen 2–15 bezögen, beträfen entweder die Qualität und das Zustandekommen der vom Sachverständigen für bedeutsam eingestuften Rechtsanwaltsschreiben oder Unterlagen zur Beurteilung der von der Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Auftraggeberin, der polnischen Straßenbauverwaltung, geltend gemachten Klageforderung und seien somit geeignet, zum Prozessstandpunkt des Klägers, die Prozessaussichten des polnischen Prozesses hätten eine Bilanzierung in der erfolgten Höhe nicht gerechtfertigt, beizutragen. Da die Beklagte vom Kläger und die polnische Prüfgesellschaft von der Masseverwalterin der polnischen Tochtergesellschaft von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden worden seien, bestünde keine weitere Verschwiegenheitspflicht, die eine Weigerung der Beklagten rechtfertigen könnte. Zudem würde diese nur den Inhalt der Urkunden betreffen und wäre allein durch die Beantwortung von Fragen nach deren Vorhandensein nicht verletzt. Aus demselben Grund sei nicht nachvollziehbar, inwiefern sich die Beklagte oder deren Geschäftsführer allein durch die Beantwortung dieser Fragen selbst belasten könnten. Das Vorhandensein bestimmter Urkunden lasse keinen Rückschluss auf deren Inhalt zu. Auch § 321 ZPO biete daher keinen rechtfertigenden Grund, die Beantwortung der Fragen zu verweigern. Die beiden ersten Fragen (jene des Klägers und jene der Beklagten) seien hingegen derart offen formuliert, dass daraus weder geschlossen werden könne, um welche Urkunden es sich überhaupt handeln solle, noch darauf, ob diese für die Prozessführung überhaupt dienlich sein könnten, sodass diese beiden Fragen nicht zuzulassen seien.
[6] Das – von der Beklagten gleichzeitig mit einem Rechtsmittel gegen einen späteren Beschluss des Erstgerichts (§ 186 Abs 2 ZPO) angerufene – Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass auch die Fragen 2–15 des Klägers nicht zugelassen wurden. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Fragerechts der beweisbelasteten Partei nach § 184 ZPO rar sei. Nach Ansicht des Rekurssenats sei eine einschränkende Auslegung des § 184 ZPO angebracht, um eine Uferlosigkeit dessen Anwendung hintanzuhalten, und daher sei ein Abstellen auf den Grund des Informationsdefizits der fragenden Partei erforderlich. Es komme nach der anzustellenden Sphärenabgrenzung für die Fragezulassung nach § 184 ZPO darauf an, in welcher Sphäre das konkrete Informationsdefizit der fragenden Partei gelegen sei. Falle es in ihre eigene Sphäre, etwa weil es ihr selbst zuzurechnen sei, dass sie Umstände nicht entsprechend dokumentiert oder Urkunden nicht aufbewahrt habe, die sie nun zur Prozessführung benötige, könne sie dies nicht durch eine Frage an den Prozessgegner nach § 184 ZPO substituieren. Entscheidend sei auch, warum die primär beweisbelastete Partei nicht in der Lage sei, die Umstände herauszufinden oder die Urkunden vorzulegen, auf die sich ihre Fragen bezögen. Im vorliegenden Fall beträfen sämtliche Fragestellungen die Bilanzierung der Forderungen der Insolvenzschuldnerin gegen ihre polnische Tochtergesellschaft. Es sei davon auszugehen, dass sämtliche für die Bilanzerstellung erforderlichen Unterlagen damals bei der Insolvenzschuldnerin vorhanden gewesen sein müssten. Nach den Angaben des Klägers lägen ihm die erfragten Unterlagen nicht vor, diese seien weder bei der Suche eines damit Beauftragten, noch bei jener des Sachverständigen aufgefallen. Es sei dem Kläger auch nicht möglich, kilometerlange Urkundensammelordner der Insolvenzschuldnerin danach zu durchsuchen. Zudem seien relevante E-Mails vor Insolvenzeröffnung vollständig gelöscht worden. Der Umstand, dessentwegen der Kläger die Fragen 2–15 an die Beklagte stelle, liege daher in seiner Sphäre. Es handle sich nach seinem Vorbringen gerade nicht um Umstände bzw Unterlagen, die er als Prozesspartei nicht kennen könne, sondern um solche, die bloß bei der Beklagten leichter aufzufinden sein sollen als in den Urkundensammelordnern der Gemeinschuldnerin. Dieses Informationsdefizit sei aber der Sphäre der Gemeinschuldnerin und damit des Klägers zuzurechnen. Wenngleich dem Kläger als Insolvenzverwalter selbst kein Verschulden am nunmehrigen Informationsdefizit zukomme und ihm diesbezüglich auch ein Fehlverhalten von Mitarbeitern der Insolvenzschuldnerin nicht zuzurechnen sei, liege es dennoch in der von ihm zu vertretenden Sphäre, dass er in das hier vorliegende Informationsdefizit geraten sei. Die Zulassung der Fragen würde dem Telos des § 184 ZPO und damit der ausgewogenen Verteilung des Informationsrisikos unter den Prozessparteien widersprechen. Die Interessenabwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der fragenden Partei an Informationsgewinnung und den schutzwürdigen Interessen der Gegenpartei, nicht uneingeschränkt Informationen über Umstände, die zwar in ihrer Sphäre, aber nicht in ihrer Beweislast lägen, liefern zu müssen, schlage hier zugunsten der nicht beweisbelasteten Beklagten aus. Die Zulassung der Fragen würde die allgemeine Prozessförderungs- und Aufklärungsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Beklagten überspannen; sie würde zwar vielleicht die Erforschung der Wahrheit fördern, dies aber zu Lasten der allgemeinen Beweislastregeln der ZPO.
[7] Gegen die Nichtzulassung der Fragen 2–15 richtet sich der – von der Beklagten beantwortete – Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
[9] 1.1. Nach § 184 Abs 1 ZPO kann jede Partei zur Aufklärung des Sachverhalts über alle den Gegenstand des Rechtsstreits oder der mündlichen Verhandlung betreffenden, für die Prozessführung erheblichen Umstände und insbesondere auch über das Vorhandensein und die Beschaffenheit der zur Prozessführung dienlichen Urkunden, Auskunftssachen und Augenscheinsgegenstände an die anwesende Gegenpartei oder deren Vertreter Fragen durch den Vorsitzenden stellen lassen oder mit dessen Zustimmung unmittelbar selbst stellen (Abs 1). Wird eine Frage vom Vorsitzenden als unangemessen zurückgewiesen oder die Zulässigkeit einer Frage vom Gegner bestritten, so kann die Partei darüber die Entscheidung des Senats begehren (Abs 2).
[10] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass es sich bei der Obliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei, über dem Prozessgegner unbekannte Vorgänge in ihrer Sphäre Auskunft zu geben, um eine aus allgemeinen Bestimmungen der ZPO abgeleitete prozessuale Mitwirkungspflicht zur Erforschung der Wahrheit handle (9 Ob 12/05p; vgl 7 Ob 216/10f; 7 Ob 186/10v sowie 1 Ob 128/10w). Ähnlich statuiert auch die Entscheidung 6 Ob 44/09b die grundsätzliche Obliegenheit zur Offenlegung prozessrelevanter, dem Gegner sonst nicht zugänglicher Umstände; dies unter Hinweis, dass vor der Aufklärung durch den Prozessgegner eine vollständige und detaillierte Substanziierung nicht verlangt werden könne, sodass es in der Regel genüge, den (allenfalls nur mit ausreichendem Grund vermuteten) Sachverhalt in einer solchen Weise zu behaupten, dass kein unschlüssiges Vorbringen vorliege und eine ausreichende Basis für darauf aufbauende Fragen an den Gegner gegeben sei.
[11] 1.3.1. Rassi (in Fasching/Konecny 3 II/3 § 184 ZPO Rz 12; ders, Beweisschwierigkeiten im Schadenersatzrecht, RZ 2021, 179 [185]) leitet aus der Bestimmung des § 184 ZPO iVm § 178 Abs 1, § 377 ZPO eine „allgemeine Aufklärungspflicht“ der Parteien ab. Es bestehe grundsätzlich eine Obliegenheit zur Offenlegung prozessrelevanter, dem Gegner sonst nicht zugänglicher Umstände.
[12] 1.3.2. In diesem Sinne betonte auch schon Klicka (Aufklärungspflichten der Prozessparteien im österreichischen Zivilprozessrecht, JBl 1992, 231), dass § 184 Abs 1 ZPO den Parteien ein Fragerecht an die Gegenpartei über alle für den Prozess erheblichen Umstände und insbesondere auch über das Vorhandensein von weiteren Beweismitteln zugestehe. Die Grenze der Zulässigkeit von Erkundungsbeweisen ziehe nur eine gewisse Plausibilitätsprüfung durch das Gericht, wonach eine Partei nicht völlig ohne Anhaltspunkte Beweise beantragen bzw Fragen stellen dürfe.
[13] 1.4. Aus der oben wiedergegebenen Rechtsprechung und Literatur lässt sich die vom Rekursgericht angenommene einschränkende Auslegung des § 184 ZPO nicht ableiten. Sie ist auch nicht mit dem Wortlaut dieser Bestimmung in Einklang zu bringen. Nach dem Wortlaut des § 184 Abs 1 ZPO kann nämlich jede Partei zur Aufklärung des Sachverhalts über alle den Gegenstand des Rechtsstreits … betreffenden, für die Prozessführung erheblichen Umstände … Fragen stellen.
[14] 1.5. Die prozessuale Mitwirkungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei zur Erforschung der Wahrheit erfasst daher auch Auskünfte über Tatsachen, die nicht ausschließlich in der eigenen Sphäre liegen. Die Mitwirkungspflicht besteht keineswegs nur hinsichtlich jener Umstände, bei denen eine Unmöglichkeit der anderweitigen Kenntnis von Tatsachen (etwa der Existenz von Urkunden) vorliegt. Vielmehr besteht die Mitwirkungspflicht jedenfalls in all jenen Fällen, in denen nicht leicht zu überwindende Beweisschwierigkeiten bzw Informationsdefizite des Prozessgegners gegeben sind.
[15] 2.1. Im vorliegenden Fall ist ein Informationsdefizit des Klägers zu bejahen, zumal nicht feststeht, dass die vom Kläger nachgefragten Informationen bzw Tatsachen tatsächlich bei der Insolvenzschuldnerin vorhanden gewesen und dem Kläger verfügbar sind. Demgegenüber ist es unerheblich, dass gewisse Unterlagen bei der Insolvenzschuldnerin vorhanden gewesen sein „müssten“, verweist doch der Kläger darauf, dass deren elektronische Daten (oder zumindest Teile davon) vor Insolvenzeröffnung gelöscht worden seien. Außerdem geht es bei einem Großteil der Fragen nicht nur darum, ob die Beklagte über Urkunden (die auch bei der Insolvenzschuldnerin vorhanden sein mussten) verfügt, sondern ob die Beklagte konkrete Urkunden angefragt, erhalten und/oder eingesehen hat. Diese Themen liegen daher durchaus in der Sphäre der Beklagten.
[16] 2.2. Im Übrigen ist die Beklagte auch nach materiellem Recht verpflichtet, Aufklärung zu geben. Schließlich lag ein Abschlussprüfungsvertrag zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten vor. Aus diesem Vertragsverhältnis resultiert im Zusammenhang mit den allgemeinen auftragsrechtlichen Regeln (§§ 1002 ff ABGB, insbesondere §§ 1009, 1012) die Verpflichtung der Beklagten, die im Zuge der Auftragsdurchführung gesammelten Informationen herauszugeben. Diese Aufklärungspflicht ist auch nicht durch die generelle Verschwiegenheitspflicht des Abschlussprüfers (§ 275 Abs 1 UGB) begrenzt, weil die Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Vorstand, den Geschäftsführern und dem Aufsichtsrat der geprüften Gesellschaft (vgl Völkl in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 § 275 Rz 12), und somit auch gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht besteht.
[17] 2.3. Soweit die Beklagte ihre unterlassene Mitwirkung bzw die Verweigerung der Beantwortung der Fragen mit ihren gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten rechtfertigt (§ 321 Abs 1 Z 3 ZPO), ist sie auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts zu verweisen, wonach gemäß § 80 Abs 4 Z 2 WTBG die Verschwiegenheitspflicht des Wirtschaftstreuhänders entfällt, wenn er vom Auftraggeber ausdrücklich von dieser Pflicht entbunden wurde. Hier wurde die Beklagte vom Kläger und die Tochtergesellschaft der Insolvenzschuldnerin, somit die Auftraggeberin des component auditor (lokaler Wirtschaftsprüfer in Polen), von deren Masseverwalterin ausdrücklich von der Verschwiegenheit entbunden. Es bestehen somit keine (aufrechten) Verschwiegenheitspflichten, die die Verweigerung der Auskunftspflicht der Beklagten rechtfertigen würden.
[18] 2.4. Dasselbe gilt für die von der Beklagten behauptete drohende Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung. Sämtliche Strafverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenzschuldnerin wurden eingestellt. Das Erstgericht führte dazu aus, dass im Hinblick auf die erfolgte Einstellungsbegründung, wonach die Bilanzen gesetzmäßig erstellt worden seien, nicht nachvollziehbar sei, inwiefern die Beklagte oder deren Geschäftsführer sich allein durch die Beantwortung der Fragen des Klägers, ob bestimmte Unterlagen im Zusammenhang mit der Erstellung der Bilanzen und deren Prüfung in der Verfügungsgewalt der Beklagten seien, selbst belasten können sollten. Der Beklagten ist es auch im Rechtsmittelverfahren nicht gelungen, nachvollziehbar darzulegen, warum die Beantwortung der Fragen des Klägers Anlass für die Strafverfolgungsbehörden sein könnte, neuerlich Ermittlungen einzuleiten. Somit wurde kein begründeter Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung dargetan. Dieser wäre aber Voraussetzung für das Vorliegen einer Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung (Frauenberger in Fasching/Konecny 3 § 321 ZPO Rz 11).
[19] 2.5. Es ergibt sich somit in Gesamtbetrachtung, dass keine gerechtfertigten Gründe bestehen, die Beantwortung der Fragen des Klägers zu verweigern. Zum selben Ergebnis führte auch eine isolierte Betrachtungsweise der einzelnen Fragen, die – wie eingangs ausgeführt – samt und sonders die Anforderung, den Erhalt, die Kenntnis und die Erstellung von Urkunden seitens der Beklagten zu – laut schlüssigem Klagsvorbringen – verfahrensrelevanten Themen betreffen.
[20] 3.1. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Fragerecht nach § 184 ZPO nicht so einschränkend auszulegen ist, dass es auf Tatsachen beschränkt wäre, die in der ausschließlichen Sphäre der befragten Partei liegen. Deren Mitwirkungspflicht ist jedenfalls in all jenen Fällen zu bejahen, in denen die Gegenpartei mit nicht leicht zu überwindenden Beweisschwierigkeiten bzw Informationsdefiziten konfrontiert ist. Voraussetzung für das Auskunftsrecht iSv § 184 ZPO ist allerdings ein schlüssiges Vorbringen, auf das die Fragen an den Gegner aufgebaut werden können. Das Auskunftsrecht bzw die Auskunftspflicht kann sich auch aus dem materiellen Recht ergeben.
[21] 3.2. Dem Revisionsrekurs des Klägers war somit Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird
[22] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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