OGH 3Ob141/22i

OGH3Ob141/22i29.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Raffaseder Haider Rechtsanwälte OG in Freistadt, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Offenlegung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 11. April 2022, GZ 21 R 243/21z‑10, in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 22. Juni 2022, GZ 21 R 243/21z‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Haag vom 25. Oktober 2021, GZ 201 C 229/21f‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00141.22I.0929.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (hierin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Mutter der Klägerin war am 6. Mai 2021 mit dem Pkw der Klägerin unterwegs, als von einem ihr entgegenkommenden Lkw mit der Beschriftung „H*“ ein Stein herunter fiel. Dadurch wurde die Windschutzscheibe des Fahrzeugs der Klägerin beschädigt.

[2] Die Klägerin begehrt mit der Behauptung, sie könne mangels Kenntnis des Kennzeichens des schädigenden Lkws ihren Ersatzanspruch nicht direkt gegen die Beklagte geltend machen, ohne sich dem Einwand der (angeblich) mangelnden Passivlegitimation auszusetzen, die Erteilung von Auskunft darüber, welcher Lkw der Beklagten oder allfälliger verbundener Gesellschaften zum Zeitpunkt des Unfalls an der Unfallstelle gefahren sei.

[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ließ die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass es sich im Zusammenhang mit der infolge eines Verkehrsunfalls geforderten Auskunft vom vermutlichen Fahrzeuginhaber möglicherweise auch damit auseinandersetzen hätte müssen, inwieweit bei Bestehen eines Schadenersatzanspruchs dem Grunde nach bei Informationsdefiziten eine Interessenabwägung vorzunehmen und daher ein Auskunftsanspruch der Klägerin zu bejahen sein könnte.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[6] 1. Wer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ein Vermögen oder Schulden anzugeben verpflichtet ist, oder wer von der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens vermutlich Kenntnis hat, kann gemäß Art XLII Abs 1 EGZPO mittels Urteils dazu verhalten werden, allenfalls unter Vorlage eines Verzeichnisses des Vermögens oder der Schulden anzugeben, was ihm von diesem Vermögen, von den Schulden oder von der Verschweigung oder Verheimlichung des Vermögens bekannt ist, und einen Eid dahin zu leisten, dass seine Angaben richtig und vollständig sind.

[7] 2.1. Der nach der Rechtsprechung nicht ausdehnend auszulegende erste Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO schafft keine eigene zivilrechtliche Verpflichtung, sondern setzt vielmehr eine solche neben dem privatrechtlichen Interesse an der Ermittlung des Vermögens für die Befugnis zur Klage voraus (vgl RS0034986). Der Anspruch steht also (nur) demjenigen zu, der gegen einen ihm aus materiell‑rechtlichen Gründen zur Auskunftserteilung Verpflichteten ein bestimmtes Klagebegehren auf Leistung nur mit erheblichen Schwierigkeiten, die durch eine solche Abrechnung beseitigt werden können, zu erheben vermag, wenn dem Verpflichteten die Auskunftserteilung nach redlicher Verkehrsübung zumutbar ist (vgl RS0106851).

[8] 2.2. Dass die Vorinstanzen eine materiell‑rechtliche Grundlage für die von der Klägerin behauptete Auskunftspflicht verneinten, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[9] 2.2.1. Fehlen einem Kläger prozesswichtige Informationen, liegt das Beschaffungsrisiko jedenfalls dann bei ihm, wenn das für eine erfolgreiche Prozessführung nötige Wissen bloß bei einem Dritten vorhanden ist (3 Ob 197/13m mwN). Dieser Fall liegt hier vor, geht die Klägerin doch, wie sie in ihrer Revision hervorhebt, ausdrücklich davon aus, dass der in den Unfall verwickelte Lkw nicht auf die Beklagte zugelassen war.

[10] 2.2.2. Ausgehend davon scheidet aber auch die von der Klägerin in erster Instanz ins Treffen geführte Bestimmung des § 4 Abs 1 StVO als Grundlage einer Auskunftspflicht schon deshalb von vornherein aus, weil die Beklagte unter diesen Umständen gerade nicht als „Unfallbeteiligte“ angesehen werden kann.

[11] 2.2.3. Besteht aber keine materiell‑rechtliche Auskunftspflicht der Beklagten, kann die Auskunftsverweigerung keinen Rechtsmissbrauch darstellen, den die Klägerin (aufgrund eines Zirkelschlusses) als Anspruchsgrundlage behauptet. Es kann auch keine Rede davon sein, dass, wovon das Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung ausging, ein Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte „dem Grunde nach“ erwiesen sei.

[12] 3. Anders als der erste Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO schafft dessen zweiter Fall einen eigenen privatrechtlichen Anspruch auf Vermögensangabe (vgl RS0034834). Es handelt sich dabei also um eine Vorschrift des materiellen Rechts, die bei Erfüllung deren Voraussetzungen auch ohne eine sonstige Rechtspflicht die Vermögensangabe anordnet, wenn der Kläger durch die Verheimlichung oder Verschweigung eines Vermögens in seinen aus dem Gesetz oder einer Vereinbarung abgeleiteten privatrechtlichen Interessen beeinträchtigt wird. In einem rein passiven Verhalten durch Auskunftsverweigerung, wie es die Beklagte hier praktiziert, liegt aber noch keine Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens (1 Ob 2370/96b mwN).

[13] 4. Die Rechtsansicht der Klägerin, eine Auskunftspflicht sei ohne weitere Voraussetzungen bereits dann zu bejahen, wenn eine Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausfalle, findet in den von ihr zitierten Entscheidungen (1 Ob 2370/96d, 10 Ob 47/07w und 3 Ob 197/13m) in Wahrheit keine Deckung.

[14] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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