OGH 7Ob122/22z

OGH7Ob122/22z28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich,  Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*T*, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei D* AG *, vertreten durch Themmer Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 14.999 EUR sA, in eventu Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2022, GZ 3 R 243/21p‑48, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 23. Juli 2021, GZ 30 C 469/19f‑44, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00122.22Z.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der klagende Versicherungsnehmer hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen. Die vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2016) lauten auszugsweise:

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die Kosten gem. Pkt. 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

[…]

6. Der Versicherer zahlt:

6.1. die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Allgemeinen Honorarkriterien.

[…]

6.9. Der Versicherer hat die Leistungen nach Pkt. 6.1. bis Pkt. 6.8. zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erbringen. Die Leistung gem. Pkt. 6.1. ist fällig, sobald der Rechtsvertreter die Angelegenheit endgültig außergerichtlich erledigt hat oder das Verfahren rechtskräftig beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote schriftlich gelegt wurde.[…]

[2] 1. Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer bestimmten Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage (RS0102181). Lassen sich – wie im vorliegenden Fall – die vom Revisionswerber für erheblich erachteten Rechtsfragen durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung in Verbindung mit den Gesetzen der Logik klären, dann liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0118640).

[3] 2. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 50/22m). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Tragung der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (§ 158j Abs 1 VersVG; RS0081895 [T1]; 7 Ob 50/22m mwN).

[4] 2.1 Art 6.6.9 ARB regelt die Fälligkeit des Leistungsanspruchs. Bei dem aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Leistungsanspruch handelt es sich (zunächst) nur um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch. Nurwenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt hat, verwandelt sich sein Befreiungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer (vgl RS0129063; 7 Ob 41/22p mwN; 7 Ob 50/22m).

[5] 2.2 Art 6.6.9 ARB regelt in diesem Sinn vor Bezahlung der Kostenschuld die Fälligkeit des Befreiungsanspruchs (Freistellungsanspruchs) und nach deren Bezahlung die Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs (7 Ob 50/22m mwN).

[6] 2.3 Vor Fälligkeit des Leistungsanspruchs kann nur auf Feststellung geklagt dahin werden, dass der Versicherer verpflichtet ist, Rechtsschutzdeckung in bestimmten Angelegenheiten zu gewähren. Nach Eintritt der Fälligkeit ist die Frage der Deckungspflicht sodann Vorfrage für den Leistungsanspruch.

[7] 3.1 Der dann gegebene Freistellungsanspruch geht auf Befreiung von den bei der Wahrnehmung des versicherten rechtlichen Interesses entstehenden Kosten. Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer entweder diese nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt (RS0127808 [T1]). In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat. Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt; dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen (7 Ob 50/22m).

[8] 3.2 Dieser Freistellungsanspruch ist einem Geld‑/Zahlungsanspruch nicht gleichgestellt. Vielmehr verwandelt sich der Freistellungsanspruch – wie ausgeführt – erst dann in einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt, er den Kostenanspruch seines Rechtsanwalts somit erfüllt hat.

[9] 4.1 Im vorliegenden Fall hat der Kläger seinen Rechtsanwalt unstrittig nicht bezahlt.

[10] 4.2 Durch den in § 433 ZPO geregelten prätorischen Vergleich wird ermöglicht, einen Anspruch bereits vor Einbringung einer Klage mit Vergleich zu erledigen. Das Berufungsgericht vertritt, durch den Abschluss eines solchen prätorischen Vergleichs habe der Kläger sich zwar – ohne Überprüfung der materiellen Berechtigung – zur Zahlung des Kostenanspruchs des Rechtsanwalts verpflichtet, diesen aber nicht erfüllt, weshalb sein Freistellungsanspruch noch nicht in einen Geldanspruch umgewandelt worden und das Begehren auf Zahlung an den Klagevertreter abzuweisen sei. Diese Beurteilung steht mit der bereits bestehenden oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtsschutzversicherung in Einklang (vgl 7 Ob 41/22p mwN).

Der Verweis des Klägers auf die Umwandlung eines Befreiungsanspruchs in einen Zahlungsanspruch auch dann, wenn der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden sei, betrifft die Haftpflichtversicherung. Diese in der Haftpflichtversicherung gegebene Möglichkeit folgt aber aus der entsprechenden Rechtslage (§ 154 Abs 1 VersVG, vgl 7 Ob 84/08s).

[11] 5.1 Der Kläger erhob im dritten Rechtsgang neuerlich – nunmehr hilfsweise – seine bereits wegen Eintritt der Fälligkeit des Leistungsanspruchs fallengelassenen Begehren auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die konkret bezeichneten Verwaltungsstrafverfahren.

[12] 5.2 Jede Feststellungsklage erfordert nach § 228 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts. Regelmäßig verneint wird das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger seinen Anspruch zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen kann (RS0038817). Die Möglichkeit der Leistungsklage verdrängt daher nach ständiger Rechtsprechung bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage (RS0038849, RS0039021). Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines rechtlichen Interesses, wenn dieses nicht offensichtlich oder erwiesen ist, liegt bei der die Feststellung begehrenden Partei (RS0039058 [T2]).

[13] 5.3 Wie ausgeführt bestand für den Kläger ab Eintritt der Fälligkeit bereits die Möglichkeit der Geltendmachung seines auf Freistellung gerichteten Leistungsanspruchs. Ein besonderes rechtliches Interesse an den Feststellungsbegehren trotz bereits eingetretener Fälligkeit des Leistungsanspruchs wurde vom Kläger nicht dargelegt (vgl 7 Ob 123/20v [Bejahung des Feststellungsinteresses vor Eintritt der Fälligkeit]).

[14] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO, die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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