OGH 7Ob41/22p

OGH7Ob41/22p28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* e.U., *, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*‑Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Andreas Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13.795,29 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. November 2021, GZ 1 R 233/21t‑31, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. August 2021, GZ 20 C 313/20f‑25, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00041.22P.0428.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin enthalten 156,54 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2008 der A*‑AG) (in Hinkunft ARB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Gemeinsame Bestimmungen

Art 1

Was ist Gegenstand der Versicherung?

Der Versicherer sorgt für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten.

...

Art 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Bestätigung des Versicherungsschutzes entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

...

6. Der Versicherer zahlt ausschließlich

6.1 Die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts bis zur Höhe des österreichischen Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der österreichischen autonomen Honorarkriterien.

...

7. Der Versicherer hat die Leistungen nach Punkt 6. zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erbringen.

Die Leistung gemäß Punkt 6.1 ist fällig, sobald der Rechtsvertreter die Angelegenheit endgültig außergerichtlich erledigt hat oder das Verfahren rechtskräftig beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote schriftlich gelegt wurde.

...“

[2] Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[4] 2.1 Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 143/20k). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Kostentragung (Art 1 ARB; 7 Ob 143/20k mwN, RS0081895 [T1]; § 158j Abs 1 VersVG) im Umfang der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts (7 Ob 123/20v mwN).

[5] 2.2 Beim aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Anspruch handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (zunächst) um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch (7 Ob 143/20k mwN).

[6] 3. Erst jüngst hat der Oberste Gerichtshof in der eben genannten Entscheidung 7 Ob 143/20k unter Darstellung von Lehre und Rechtsprechung zu den hier relevanten Rechtsfragen dahin Stellung genommen:

[7] Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer entweder diese nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt. In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat. Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt; dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen. Lehnt somit der Versicherer den Ausgleich aller oder – wie hier – eines Teils der verzeichneten Kosten ab, so besteht der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren hat; ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären.

[8] 4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, das vom Kläger erhobene Hauptbegehren (Zahlung an den Klagevertreter) und das Eventualbegehren (Zahlung an sich) seien mangels Zahlung des strittigen Betrags durch den Kläger und vor dem Hintergrund, dass für eine Zahlungsverpflichtung des Versicherers an den Kostengläubiger das Gesetz und die ARB keine Grundlage bieten, unberechtigt (vgl 7 Ob 143/20k), entspricht daher der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, gegen die der Kläger keine stichhaltigen Argumente zu bringen vermag:

[9] 4.1.1 In Art 6 ARB werden die Rechtskosten aufgezählt, die ihrer Art nach unter den Versicherungsschutz fallen, das heißt die der Versicherer trägt. Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers ist damit darauf gerichtet, von den dort festgelegten Rechtskosten entlastet (befreit) zu werden.

[10] 4.1.2 Der Kläger geht selbst davon aus, dass durch Art 6.7 ARB die Fälligkeit ausgestaltet wird (vgl auch 7 Ob 190/14p zum insoweit identen Art 6.6.9 ARB 2010). Eine Umwandlung des Befreiungsanspruchs in einen Geldanspruch sieht der insoweit völlig klare Wortlaut des Art 6.7 ARB nicht vor. Erst wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt hat, verwandelt sich der ursprüngliche Befreiungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer (vgl 7 Ob 143/20k mwN).

[11] 4.2 Dass der aus der Rechtsschutzversicherung primär resultierende Befreiungsanspruch in den ARB der Beklagten keine Umwandlung in einen Geldanspruch erfährt, ist weder ungewöhnlich nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB, bedeutet dies doch gerade keine Abweichung von dem gewöhnlich vorausgesetzten Standard einer Rechtsschutzversicherung.

[12] 4.3.1 Für eine Zahlungsverpflichtung des Versicherers an den Kostengläubiger bieten das Gesetz und auch die ARB 2008 keine Grundlage.

[13] 4.3.2 In der vom Kläger herangezogenen Entscheidung 7 Ob 15/15dließ der Oberste Gerichtshof die Frage der Umstellung auf Zahlung an einen Dritten (Klagevertreter) in der Rechtsschutzversicherung offen. Der allgemeine Verweis zum möglichen Begehren auf Zahlung des Versicherers an einen Dritten (RS0065814) betrifft die Haftpflichtversicherung. Diese in der Haftpflichtversicherung gegebene Möglichkeit folgt aber aus der entsprechenden Rechtslage (§§ 154, 156 Abs 2 VersVG; vgl 7 Ob 84/08s).

[14] 4.4 Mit der Verweigerung der Zahlung eines Teils der vom Klagevertreter verzeichneten Kosten wählte die Beklagte die Deckung für die Abwehr des von ihr als unberechtigt erachteten Anspruchs. Das vom Kläger vermisste ausdrückliche Anbot der Beklagten zur Abwehrdeckung führt entgegen seiner Ansicht nicht zur Umwandlung in einen Geldanspruch.

[15] 4.5 Die Frage, ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist – wie ausgeführt – verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären. Die aufgrund besonderer Dispositionen – auchaus standesrechtlichen Erwägungen – getroffene Entscheidung des Kostengläubigers, gerichtlich nicht gegen den Versicherungsnehmer vorzugehen, ändert nichts an der sich nach dem Versicherungsvertrag mit dem Versicherungsnehmer zu beurteilenden Deckungspflicht des Versicherers.

[16] 4.6 Abgesehen davon, dass der Kläger einen Schadenersatzanspruch im erstgerichtlichen Verfahren nicht geltend machte, berief sich die Beklagte auch nicht unvertretbar auf die Unzulässigkeit seines Geldanspruchs. Im Übrigen bleibt ohnedies völlig offen, wie die vom Kläger als unrichtig angesehenen Rechtsstandpunkte der Beklagten eine Schadenersatzforderung in Höhe der Vertretungskosten des Klagevertreters begründen sollten.

[17] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[18] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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