OGH 9ObA58/22b

OGH9ObA58/22b28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * H*, vertreten durch Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 20.000 EUR), in eventu Unwirksamerklärung einer Entlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2022, GZ 8 Ra 71/21a-78, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00058.22B.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten seit 12. 4. 2005 als angestellter Facharzt teilzeitbeschäftigt und in deren Landesstelle Burgenland zuletzt im Ausmaß von 24 Stunden pro Woche als Gutachter tätig. Sein Dienstverhältnis unterlag der Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs. Seit dem Jahr 2000 betreibt er auch eine Privatordination. Der Kläger befand sich vom 1. 12. 2016 bis 5. 1. 2017 infolge eines Infekts im Krankenstand. Über sein Ersuchen wurde ein Vertretungsarzt in seiner Ordination tätig. Von 22. 12. 2016 bis 5. 1. 2017 war die Ordination geschlossen. Der Kläger hat im Dezember 2016 mehrere Patienten selbst behandelt. Am 18. 1. 2017 wurde er entlassen.

[2] Für die Zeit vom 1. 3. 2014 bis 28. 2. 2015 wurde der Kläger in der Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 mit „wenig entsprechend“ beschrieben. Ein dagegen erhobener Einspruch des Klägers wurde nach einstimmiger Empfehlung der betrieblichen Schlichtungskommission der Beklagten abgelehnt, dies wurde dem Kläger mit Schreiben vom 30. 3. 2015 mitgeteilt.

[3] Außer Streit steht, dass bei Unbeachtlichkeit dieser Dienstbeschreibung der Kläger zum Zeitpunkt der Vollendung des 10. Dienstjahres (12. 4. 2015) seit zwei Jahren über eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung verfügt.

[4] Für die Zeit vom 1. 1. 2016 bis 30. 11. 2016 wurde der Kläger wiederum mit „wenig entsprechend“ beurteilt.

[5] Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses über den 18. 1. 2017 hinaus; in eventu, die Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Er habe keinen Entlassungsgrund gesetzt. Seine Vorgesetzte habe ihn aus privaten wie wirtschaftlichen Motiven von seinem Arbeitsplatz drängen wollen. Er sei (näher dargelegt) einem immer stärker werdenden Mobbing ausgesetzt gewesen und aus sachfremden Motiven schlecht bewertet worden. Gegen die ihm am 24. 2. 2015 übergebene negative Dienstbeschreibung habe er Einspruch erhoben, sie sei aus unerklärlichen Gründen negativ geblieben. Auch gegen seine negative Dienstbeschreibung für das Jahr 2016, die ihm eine Woche vor seiner Entlassung mitgeteilt worden sei, habe er Einspruch erhoben, das Verfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Aufgrund der mehr als 10‑jährigen Dauer seines Dienstverhältnisses komme ihm gemäß § 22 DO.B der erhöhte Kündigungsschutz zu. Eine Aberkennung des erhöhten Kündigungsschutzes sei nicht erfolgt. Er habe auch keinen Kündigungsgrund gesetzt. Für den Fall, dass ihm kein erhöhter Kündigungsschutz zukommen solle, fechte er die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an. Die Entlassung sei auch verspätet erfolgt und verfristet.

[6] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte zusammengefasst ein, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 22 DO.B für die Erlangung des erhöhten Kündigungsschutzes aufgrund der auf „wenig entsprechend“ lautenden Gesamtbeurteilungen für die Zeiträume 1. 3. 2014 bis 28. 2. 2015 und 1. 1. 2016 bis 30. 11. 2016 nicht. Der Kläger sei wiederholt durch mangelnde gutachterliche Kompetenz, Missachtung von dienstlichen Anordnungen, eine mangelhafte Arbeitsleistung und respektlosen Umgang mit Vorgesetzten aufgefallen, sei wiederholt unentschuldigt von dienstlichen Ärztebesprechungen ferngeblieben und habe vorzeitig Urlaube angetreten und den Dienst verlassen, ohne seine Vorgesetzten zu verständigen. Ein Vorfall aus 2010 habe zu seiner Verwarnung geführt. Zuletzt habe er während seines Krankenstandes eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt. Sein Verhalten sei geeignet gewesen, seinen Genesungsprozess zu verzögern. Es liege der Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG wie auch iSd § 31 Abs 1 Z 2 DO.B vor. Eine Sozialwidrigkeit der Beendigung des Dienstverhältnisses werde bestritten.

[7] Das Erstgericht wies (auch) im dritten Rechtsgang sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. Aufgrund der festgestellten Behandlung mehrerer Patienten während des Krankenstands und dem Verheimlichen seiner Tätigkeit während des Krankenstands habe er die Entlassungsgründe nach § 31 Z 2 und 3 DO.B erfüllt. Eine weitere Prüfung der Kündigungsgründe nach § 105 Abs 3 ArbVG sei nicht erforderlich.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinn einer Klagsstattgabe ab. Das Verfahren sei im dritten Rechtsgang auf die Frage, ob dem Kläger erhöhter Kündigungsschutz zukomme, beschränkt gewesen. Die anderen Tatsachenkomplexe und die Frage, ob der Kläger einen Entlassungsgrund gesetzt habe, seien in der Berufungsentscheidung vom 30. 7. 2020 bereits bindend im Sinn einer Verneinung des Vorliegens eines Entlassungsgrundes entschieden worden. Für die Frage, ob der Kläger erhöhten Kündigungsschutz nach § 22 DO.B erworben habe, sei die Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 unbeachtlich, weil der dagegen gerichtete Einspruch des Klägers begründungslos abgelehnt und damit im Hinblick auf 4 Ob 147/82 nicht zur Gänze erledigt worden sei. Im Aufhebungsbeschluss sei dem Erstgericht die Erörterung aufgetragen worden, ob der Kläger unter Außerachtlassung der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 zum Zeitpunkt der Vollendung des 10. Dienstjahres am 12. 4. 2015 seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung habe. Sei dies der Fall, habe er den erhöhten Kündigungsschutz erworben. Im dritten Rechtsgang hätten die Parteien außer Streit gestellt, dass es hinsichtlich des Klägers unter Außerachtlassung der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 zum Zeitpunkt der Vollendung des 10. Dienstjahres am 12. 4. 2015 seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung gegeben habe, womit der Kläger den erhöhten Kündigungsschutz erworben habe. Da der Kläger zu Unrecht entlassen worden sei, sei dem Hauptbegehren stattzugeben. Auf die Tatsachenrügen (Behandlung von Patienten während des Krankenstands; Beruhen der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 auf sachlichen Erwägungen) sei daher nicht einzugehen.

[9] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Bestätigung des Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt in der ihm am 18. 7. 2022 freigestellten und von ihm am 31. 8. 2022 eingebrachten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags der Beklagten berechtigt.

[12] Die Beklagte macht zusammengefasst geltend, dem Kläger sei kein erhöhter Kündigungsschutz zugekommen. Noch vor Zurücklegung von 10 Dienstjahren sei für den Kläger eine auf „wenig entsprechende“ Dienstbeschreibung erstellt worden, der Einspruch des Klägers sei mit Schreiben vom 30. 3. 2015 gemäß § 24 Abs 6 DO.B abgelehnt worden. Eine Begründungspflicht für die Ablehnung des Einspruchs sei aus der DO.B nicht abzuleiten, die Begründung würde sich in der Wiederholung der Begründung der Dienstbeschreibung erschöpfen. Die Entscheidung 4 Ob 147/82 (Abänderung der Gesamtbeurteilung) sei nicht einschlägig. Auch sei ein Entlassungsgrund zu bejahen. Das Verhalten des Klägers im Krankenstand sei geeignet gewesen, den Heilungsverlauf zu verzögern.

Dazu war zu erwägen:

[13] 1. Die auf das Dienstverhältnis des Klägers anzuwendende Dienstordnung für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B) regelt die Beendigung von Dienstverhältnissen auszugsweise wie folgt:

§ 22 Erhöhter Kündigungsschutz

(1) Für Ärzte, die in einem unbefristeten Dienstverhältnis stehen, besteht ein erhöhter Kündigungsschutz, wenn der Arzt

1. die österreichische Staatsbürgerschaft oder die Unionsbürgerschaft besitzt,

2. seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung hat,

3. zehn Dienstjahre gemäß § 16 zurückgelegt hat.

(5) Ein Arzt, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, kann gekündigt werden, wenn ein Entlassungsgrund im Sinne des § 31 vorliegt (…).

...

§ 31 Entlassung

(1) Ein Arzt, für den ein erhöhter Kündigungsschutz besteht, kann entlassen werden, wenn

2. er sich einer besonders schweren Pflichtverletzung oder Handlung oder Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Versicherungsträgers unwürdig erscheinen lässt, insbesondere wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte oder Mitbedienstete zuschulden kommen lässt oder wenn er sich für seine Dienstleistungen oder im Zusammenhang damit von dritten Personen Vorteile zuwenden oder zusichern lässt, weiters wenn der Arzt seine Dienstpflichten in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt oder ohne einen wichtigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlässt.

(1a) Für Ärzte, die noch nicht dem erhöhten Kündigungsschutz unterliegen, gilt ausschließlich das AngG.

[14] 2.  Das Berufungsgericht sah den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im zweiten Aufhebungsbeschluss (ON 66) nicht als erwiesen an. Rechtskräftige Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichts binden nur die Gerichte erster und zweiter Instanz, nicht jedoch den Obersten Gerichtshof (RIS‑Justiz RS0119442). Diesbezüglich besteht hier jedoch nach der Lage des Falls kein ausreichender Grund, von der Beurteilung des Berufungsgerichts abzuweichen, zumal im Fall des erhöhten Kündigungsschutzes (§ 31 Abs 1 Z 2 DO.B) eine Entlassung eine besonders schwere Pflichtverletzung oder Handlung oder Unterlassung, die den Arzt des Vertrauens des Versicherungsträgers unwürdig erscheinen lässt, erfordert, hier aber nicht feststeht, dass der Kläger überhaupt in einem nennenswerten Umfang tätig wurde (vgl RS0029337 [T3]). An seinen üblichen Ordinationstagen und zwei weiteren Tagen wurde er durchgehend vom Vertretungsarzt vertreten. Auch steht nach Maßgabe des Sachverhalts, soweit er vom Berufungsgerichts übernommen wurde (Berufungsurteil S 13), nicht fest, dass der Kläger den Heilungsverlauf erheblich gefährdet hätte. Im Detail ist auf die weiteren Erwägungen des Berufungsgerichts (Berufungsurteil S 15 ff unter Verweis auf ON 66 S 19 bis 22) zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Entlassungsgrund wurde vom Kläger mit dem festgestellten Verhalten im Krankenstand daher nicht verwirklicht.

[15] 3.1. Die Wirksamkeit der Kündigung hängt damit davon ab, ob dem Kläger ein erhöhter Kündigungsschutz iSd § 22 Abs 1 DO.B zukam, wofür es auf die (Un-)Wirksamkeit der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 ankommt. Eine auf die zehnjährige Frist anrechenbare Dienstzeit iSd § 16 Abs 1 DO.B liegt beim Kläger schon nach seinem Vorbringen nicht vor (kein dem Dienstverhältnis zur Beklagten vorangegangenes Anstellungsverhältnis zu österreichischen Sozialversicherungsträgern).

[16] 3.2. Nach der Rechtsprechung ist eine Dienstbeschreibung nach § 24 DO.A eine vom Dienstgeber nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmende Beurteilung des Verwendungserfolgs bzw der Leistung des Angestellten. Es handelt sich dabei um eine auf der Grundlage der DO.A vorzunehmende Rechtshandlung des Dienstgebers. „Sittenwidrige (§ 879 ABGB), denkgesetzwidrige oder unschlüssige Begründungen einer Gesamtbeschreibung“ unterliegen der gerichtlichen Überprüfung und führen „zu einer entsprechenden Berücksichtigung bei der Beurteilung eines davon berührten Anspruchs“. Eine Anfechtung oder Bekämpfung einer Dienstbeschreibung losgelöst von der Geltendmachung eines hievon berührten Anspruchs kommt jedoch nicht in Betracht (RS0109205).

[17] 3.3. Für die Frage, ob der Wirksamkeit der Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 die ohne Sachbegründung ergangene Entscheidung über den Einspruch des Klägers entgegensteht, ist § 24 DO.B beachtlich. Dieser enthält in den Abs 1 bis 4 Bestimmungen über den notwendigen Inhalt einer Dienstbeschreibung nach einem vom Dachverband der Sozialversicherungsträger aufzulegenden Muster (Abs 1, 1a), das Erfordernis einer Genehmigung durch den leitenden Angestellten oder von diesem betrauten Angestellten des (bereichs-)leitenden Dienstes (Abs 2), die mögliche Gesamtbeurteilung mit einer Begründungspflicht (Abs 3), die Erweiterbarkeit der Kriterien für das Beurteilungskalkül durch Betriebsvereinbarung (Abs 3a) und das Einsichtnahmerecht des Arztes (Abs 4). Abs 3 lautet im Besonderen:

(3) Die Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung hat zu lauten: „sehr gut“ (1), „gut“ (2), „befriedigend“ (3), „wenig entsprechend“ (4) oder „nicht entsprechend“ (5) und ist zu begründen. Insbesondere folgende Komponenten haben bei der Dienstbeschreibung Berücksichtigung zu finden:

1. der fachliche Bereich (z. B: Qualität der Arbeitsleistung, Quantitative Arbeitsziele, Kompetenz und Arbeitsmethodik, Umsetzungsfähigkeit);

2. der persönliche Bereich (Grundhaltungen zB: Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Bereitschaft zur Weiterbildung);

3. die Kundenorientierung (zB: Umgang mit internen/ externen KundInnen);

4. der Führungsbereich, soweit es sich um Führungskräfte handelt (zB: ethisch verantwortliches Handeln/Fairness, MitarbeiterInnen Aufmerksamkeit schenken, Zielorientierung, Mitarbeiterförderung, Entscheidungsfähigkeit, Qualitätsmanagement).

Die Einspruchsmöglichkeit ist in den Abs 5 und 6 wie folgt geregelt:

(5) Jeder Arzt hat das Recht, gegen die Gesamtbeurteilung (Abs 3) bzw ihre Begründung Einspruch zu erheben. Der Einspruch muss innerhalb von 4 Wochen nach Einsichtnahme in die Dienstbeschreibung unter Angabe der Gründe schriftlich eingebracht werden. Bei nachgewiesener Verhinderung verlängert sich diese Frist um die Dauer der Verhinderung.

(6) Über den Einspruch gemäß Abs 5 hat der Verwaltungsrat (Konferenz) – nach allfälliger vorhergehender Behandlung im Personalausschuss – oder im Falle einer Delegation das zuständige Organ, innerhalb von drei Monaten zu entscheiden; hierbei können folgende Beschlüsse gefasst werden:

1. Abänderung der Gesamtbeurteilung bzw ihrer Begründung zugunsten des Arztes;

2. Ablehnung des Einspruchs.

[18] 4.1. Der normative Teil eines Kollektivvertrags wie der DO.B ist nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (RS0008807; RS0010088). In erster Linie ist daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089 [T37]). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0031382; RS0010089 [T38]). Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen ist zudem davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RS0008828; RS0008897).

[19] 4.2. Nach dem Wortlaut des § 24 Abs 6 DO.B ist die Dienstbeschreibung als solche umfänglich zu begründen, nicht aber die Ablehnung des Einspruchs.

[20] 4.3. Demgegenüber erfordert § 24 Abs 5 S 2 DO.B, dass der Einspruch vom angestellten Arzt „unter Angabe der Gründe“ schriftlich einzubringen ist. Damit wird offenkundig der Zweck verfolgt, für das adressierte Organ erkennbar zu machen, welche Ausführungen der Dienstbeschreibung einer Überprüfung zu unterziehen sind. Das alleine spricht allerdings noch nicht für eine Begründungspflicht bezüglich der ablehnenden Entscheidung über den Einspruch, weil mit dieser zunächst zum Ausdruck gebracht wird, dass die vorgebrachten Gründe für eine Abänderung nicht ausreichten.

[21] 4.4. Der Gefahr eines Missbrauchs haben die Kollektivvertragsparteien dadurch vorgebeugt, dass in Verfahren über Einsprüche gegen die Dienstbeschreibung die betriebliche Schlichtungskommission davon in Kenntnis zu setzen ist (§ 25a Abs 3 DO.B), der sodann die Möglichkeit zukommt, Empfehlungen bzw Stellungnahmen abzugeben (§ 25a Abs 2 Z 1 DO.B), und dass über den Einspruch ein weiteres Gremium, nämlich der Verwaltungsrat (Konferenz)– nach allfälliger vorhergehender Behandlung im Personalausschuss – oder im Falle einer Delegation das zuständige Organ, darüber zu entscheiden hat (§ 24 Abs 6 DO.B). Das war auch vorliegend der Fall. Die Beklagte hat dem Kläger auch mitgeteilt, dass nach einstimmiger Empfehlung der betrieblichen Schlichtungskommission sein Einspruch gegen die Gesamtbeurteilung abgelehnt wurde.

[22] 4.5. Eine Rechtsgrundlage dafür, dass an ein innerbetriebliches Dienstbeschreibungsverfahren die gleichen Anforderungen an die Überprüfbarkeit einer Entscheidung zu stellen wären wie an jene eines gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens, ist nicht ersichtlich. Da überdies auch (ua) in der ZPO sowohl für das Berufungs- als auch das Revisionsverfahren Begründungserleichterungen vorgesehen sind (zB §§ 500a, 510 Abs 3 ZPO), legt auch ein Vergleich mit gerichtlichen Rechtsmittelverfahren keine Auslegung des § 24 Abs 6 DO.B dahin nahe, dass Beschlüsse, mit denen ein Einspruch abgelehnt wird, zwingend mit inhaltlichen Ausführungen zu begründen wären.

[23] 4.6. Auch die genannte Rechtsprechung, dass „sittenwidrige (§ 879 ABGB), denkgesetzwidrige oder unschlüssige Begründungen einer Gesamtbeschreibung“ der gerichtlichen Überprüfung insoweit unterliegen, als diese „zu einer entsprechenden Berücksichtigung bei der Beurteilung eines davon berührten Anspruchs“ führen (RS0109205), führt zu keiner Begründungspflicht zur Entscheidung über den Einspruch. Gegenstand einer solchen Überprüfung im Rahmen eines Zivilprozesses ist die Dienstbeschreibung samt Begründung. Diese bleibt aber durch die Ablehnung eines allenfalls erhobenen Einspruchs unverändert aufrecht.

[24] 4.7. Das Berufungsgericht hat seine Begründung auf die Entscheidung 4 Ob 147/82 (RS0054534) gestützt. In dieser wurde im Zusammenhang mit der dort gegenständlichen (wortgleichen) Bestimmung des § 24 DO.A ausgesprochen: „Wenn auch die DO.A eine diesbezügliche ausdrückliche Verpflichtung nicht enthält, muss eine solche Begründungspflicht schon aus dem Wesen einer solchen Entscheidungsbefugnis und im Zusammenhalt mit der vorerwähnten Begründungspflicht des Abs 3 abgeleitet werden. Wenn schon die Gesamtbeurteilung zu begründen ist, dann erst recht eine diese Gesamtbeurteilung abändernde Entscheidung des Vorstands (Verwaltungsausschusses). Dem Einspruchswerber müssen die Gründe, welche den Vorstand (Verwaltungsausschuß) bei seiner Entscheidung geleitet haben, bekanntgegeben werden, weil die Entscheidung nur dann für ihn verständlich ist.Im Ergebnis sei die Rechtslage so, „wie wenn der Vorstand (Verwaltungsausschuß) über den Einspruch des Klägers gar nicht entschieden hätte“. Die Dienstbeschreibung sei daher „bis zu einer den Einspruch in Übereinstimmung mit dem § 24 DO.A zur Gänze erledigenden Entscheidung schwebend unwirksam“.

[25] Diese Begründung des Obersten Gerichtshofs beruhte auf dem Fall, dass der Vorstand über den Einspruch jenes Klägers die Gesamtbeurteilung von nicht entsprechend auf entsprechend abgeändert hatte, ohne diese neue Gesamtbeurteilung zu begründen. Wie vom Obersten Gerichtshof ausgeführt, ergab sich die Begründungspflicht dort (auch) aus der Bestimmung über die Dienstbeschreibung selbst, weil über den Einspruch erstmalig eine auf eine neue Gesamtbeurteilung („entsprechend“) lautende Dienstbeschreibung erging, die daher durch eine Begründung verständlich gemacht werden musste. Im hier vorliegenden Fall wurde die Gesamtbeurteilung nicht abgeändert und demnach auch keine neue Dienstbeschreibung gefasst, sondern der Einspruch über die – einstimmige – Empfehlung der Schlichtungskommission abgelehnt. Anders als in jenem Fall wurde hier auch nicht über einen Teil des Einspruchs nicht entschieden, noch ist die Ablehnung in sich völlig unverständlich. Auf die in jenem Fall angenommene Rechtsfolge einer „schwebend unwirksamen“ Dienstbeschreibung muss daher nicht eingegangen werden.

[26] 4.8. Nicht zuletzt zeigt sich auch im regulatorischen Vergleich, dass die Kollektivvertragsparteien auch an anderen Stellen das Erfordernis einer Begründung im Text klar zum Ausdruck brachten (s zB § 99 Abs 4 DO.B, § 104 Abs 2 DO.B oder Stellungnahmen/Empfehlungen der betrieblichen Schlichtungskommission: § 25a Abs 2 iVm Abs 3 DO.B ua), was in § 24 Abs 6 DO.B nicht der Fall ist.

[27] 4.9. All dies führt zum Ergebnis, dass hier in der Entscheidung über die Ablehnung des Einspruchs iSd § 24 Abs 6 Z 2 DO.B keine weitere Auseinandersetzung mit den im Einspruch dargelegten Gründen erforderlich war. Die Dienstbeschreibung vom 24. 2. 2015 ist damit formal wirksam geworden („rechtskräftig“, s § 40 Abs 5 DO.B).

[28] 5. Nach der dargelegten Rechtsprechung unterliegen sittenwidrige, denkgesetzwidrige oder unschlüssige Begründungen einer Gesamtbeschreibung einer gerichtlichen Überprüfung und führen zu einer entsprechenden Berücksichtigung bei der Beurteilung eines davon berührten Anspruchs (RS0109205). Das Erstgericht traf diesbezüglich die „Feststellungen“, dass die Dienstbeschreibung auf verschiedenen nachvollziehbaren Motiven zu sachlich begründeten Prüfkriterien wie Qualität und Quantität der Arbeitsleitung, Kompetenz in der Arbeitsmethodik, Umsetzungsfähigkeit (fachlicher Bereich), Einstellung zu Patienten (Kundenorientierung), Teamfähigkeit, Kontaktfähigkeit, Veränderungsbereitschaft und Grundhaltung (persönlicher Bereich) beruhte und eine sittenwidrige, denkgesetzwidrige oder unschlüssige Begründung nicht vorliegt.

[29] Eine Denkgesetzwidrigkeit oder Unschlüssigkeit der Begründung ist hier nach Maßgabe der vorliegenden Dienstbeurteilung (Beil ./C = ./1) nicht gegeben. Soweit der Kläger im Übrigen, das heißt hinsichtlich einer eine Sittenwidrigkeit begründenden Unsachlichkeit der Dienstbeschreibung, bereits in seiner Berufung die Verletzung von Verfahrensvorschriften und sekundäre Verfahrensmängel geltend machte, hat das Berufungsgericht dazu aufgrund seiner Rechtsansicht noch nicht Stellung genommen (Berufungsurteil S 22). Das Berufungsurteil war daher zu diesem Punkt aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Behandlung der bezughabenden Berufungsausführungen aufzutragen.

[30] 6. Der Revision der Beklagten war danach im Sinn des von ihr gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.

[31] 7. Die dem Kläger am 18. 7. 2022 freigestellte Revisionsbeantwortung wurde von ihm am 31. 8. 2022, sohin außerhalb der vierwöchigen Notfrist der ZPO (§ 507a Abs 2 Z 3 ZPO) beim Obersten Gerichtshof eingebracht. Sie ist als verfristet zurückzuweisen (zudem wäre auch § 222 ZPO gemäß § 39 Abs 4 ASGG unanwendbar).

[32] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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