OGH 7Ob124/22v

OGH7Ob124/22v28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners H* H*, geboren * 1954, G* W* J*, vertreten durch den Verein VertretungsNetz‑Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, 1050 Wien, Ziegelofengasse 33/1/3, (Bewohnervertreterin Mag. J* B*) vertreten durch Dr. Katharina Bleckmann, Rechtsanwältin in Salzburg und die Erwachsenenvertreterin Brigitte Pelzl‑Bauer, VertretungsNetz‑Erwachsenenvertretung, 1150 Wien, Pfeiffergasse 4/D/1/1, Einrichtungsleiter M* S*, per Adresse G* W* J*, vertreten durch die Dr. Peter Lösch Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. April 2022, GZ 42 R 140/22g‑14, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00124.22V.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

[2] 2.1. Gemäß § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Zwangsmaßnahmen, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen oder durch deren Anordnung unterbunden wird.

[3] 2.2. Eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern (RS0075871 [insbes T6, T19]). Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines Anderen stellt somit bereits die Beschränkung der Bewegungsfreiheit her (RS0075871).

[4] 2.3.1. In der Entscheidung 8 Ob 121/06m hat der Oberste Gerichtshof eine dauernd verschlossene oder tagsüber versperrte Haustüre, die der Bewohner nur mit Zustimmung einer Betreuerin und unter Angabe der Motive und der Dauer des geplanten Weggangs öffnen konnte, als Freiheitsbeschränkung qualifiziert. Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen stelle nämlich eine nicht mehr bloß unwesentliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit dar.

[5] 2.3.2. Der der Entscheidung 7 Ob 16/22m zugrundeliegende Sachverhalt war hingegen anders gelagert: Der Bewohner stand dort nie auf der Liste jener Personen, denen das Verlassen der Einrichtung verweigert wurde. Zum Verlassen der Einrichtung musste er lediglich den im Wintergarten anwesenden Portier bitten, die Türe zu öffnen, was dieser mittels eines Schalters auch tat. Dem Bewohner wurde der Ausgang auch niemals verweigert, sondern er konnte das Heim jederzeit verlassen. Die bloße Aufforderung an eine im Raum anwesende Person, eine Türe zu öffnen, der jederzeit Folge geleistet wird, bedeutet noch keine ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines Anderen. Sie ist vielmehr mit einem dem Bewohner jederzeit zur Verfügung stehenden und von ihm handhabbaren Schlüssel zu vergleichen.

[6] 2.3.3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Gruppenraum, in dem sich der Bewohner untertags im Rahmen seiner Tätigkeit in einer Erlebniswerkstätte aufhält, mittels eines Chipsystems versperrt ist, das der Bewohner infolge seiner Erkrankung nicht benützen kann. Der Bewohner ist daher auf Betreuungspersonen angewiesen, um den Gruppenraum verlassen zu können. Die Einrichtung versuchte zwar, dem Bedürfnis des Bewohners nach dem Verlassen des versperrten Gruppenraums stets nachzukommen, was jedoch den Bedürfnissen des Bewohners häufig nicht genügte. Daraus ergibt sich aber, dass hier keine mit der Entscheidung 7 Ob 16/22m vergleichbare Situation vorlag, weshalb die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach wegen der ständigen Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen eine Freiheitsbeschränkung gemäß § 3 Abs 1 HeimAufG vorliege, nicht korrekturbedürftig ist.

[7] 3. Die Unzulässigkeit der Freiheitsbeschränkung (§ 4 HeimAufG) zieht der Revisionsrekurswerber nicht in Zweifel.

[8] 4. Die Bewohnervertretung hat für die nicht freigestellte Revisionsrekursbeantwortung keine Kosten verzeichnet, sodass sich ein abweisender Kostenausspruch erübrigt (vgl RS0121741).

[9] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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