OGH 4Ob128/22k

OGH4Ob128/22k23.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka, Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J* und 2. J*, beide vertreten durch Mag. Simon Strasser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. O*, 2. M*, 3. M*, und 4. B*, alle vertreten durch Dr. Beate Köll‑Kirchmeyr, Rechtsanwältin in Schwaz, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. April 2022, GZ 2 R 235/21d‑20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00128.22K.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Erwerber einer Liegenschaft tritt in den mit dem Voreigentümer geschlossenen Mietvertrag ein, wobei das nicht verbücherte Bestandverhältnis ohne Rücksicht auf andere Vertragsbestimmungen in ein solches von unbestimmter Dauer mit gesetzlicher Kündigungsfrist verwandelt wird (RS0021133). Der Einzelrechtsnachfolger ist an einen Kündigungsverzicht, den sein Vorgänger gegenüber dem Bestandnehmer ausgesprochen hat, daher grundsätzlich nicht gebunden (RS0014444).

[2] Nach herrschender Ansicht wird jedoch die Möglichkeit eines vollwirksamen Eintritts in ein Vertragsverhältnis auch durch eine konkludent getroffene Vereinbarung zwischen Erwerber und Bestandnehmer bejaht. Ein solcher liegt aber nicht schon dann vor, wenn Bestandzins verlangt (RS0014444) oder zum nächstmöglichen Termin nicht gekündigt wird (RS0014349 [T1]); vielmehr müssten weitere, iSd § 863 Abs 1 ABGB zwingende Umstände vorliegen, die einen solchen Eintritt ergeben (RS0014349). Bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen ist gemäß § 863 ABGB Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014157; RS0013947; RS0014420; RS0014146); etwa die Entgegennahme von Mietzins über viele Jahre ohne jeglichen Hinweis darauf, dass die Kläger die seinerzeit vereinbarte Befristung nicht gegen sich gelten lassen wollen, oder die mehr als 20 Jahre nicht ausgeübte Kündigungsmöglichkeit wurden aber als schlüssiger Eintritt in den Bestandvertrag unter den bisherigen Bestimmungen angesehen (vgl RS0014349 [T2, T6]).

[3] Die Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen im Einzelfall ist grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0043253 [insb T1, T14]; vgl 4 Ob 25/18g mwN).

[4] 2.1. Hier haben die Kläger nach den Feststellungen seit zumindest 1997 Kenntnis von der vereinbarten Dauer des von ihrem Rechtsvorgänger und Hofübergebers mit den Beklagten auf die Dauer von 63 Jahren bis Ende 2035 vereinbarten Bestandverhältnisses und haben erst 2020 die Kündigung erklärt; zudem haben sie in der Zwischenzeit einerseits die Einhaltung anderer Vertragsbestimmungen von den Beklagten eingefordert, und andererseits im Abstand von fast 20 Jahren Versuche unternommen, diverse Verwaltungsbehörden dazu zu veranlassen, der aufgrund des zivilrechtlichen Vertrags erfolgenden Nutzung des Bestandobjekts durch die Beklagten entgegenzutreten.

[5] 2.2. Die Vorinstanzen erachteten dies in einer Gesamtwürdigung als hinreichenden Grund für die Annahme, das Verhalten der Kläger dahin zu verstehen, dass sie sich als Rechtsnachfolger des Hofübergebers in Bezug aufden gesamten Bestandvertrag einschließlich des Endigungszeitpunkts Ende 2035 ansahen.

[6] 2.3. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze; warum sie unvertretbar sein sollte, zeigt die Revision nicht auf.

[7] Behauptete rechtliche Feststellungsmängel in diesem Zusammenhang liegen nicht vor; von den Klägern konkret unternommene Schritte wurden ohnehin festgestellt und von den Vorinstanzen in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt, ohne dass ihnen dabei eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

[8] 2.4. Die Revision zeigt zwar auf, dass die Judikatur die anscheinend einhellige Ansicht der Lehre, ein nach Eintritt nach § 1120 ABGB zustehendes Kündigungsrecht müsse binnen angemessener Frist ausgeübt werden, noch nicht wirklich nachvollzogen hat. Der im RIS unter RS0014349 [T3] = RS0105725 [T5] indizierte Leitsatz, der dies ausspricht, ist vom Volltext der Entscheidung 1 Ob 248/03g nicht gedeckt (unzutreffend daher Pesek in Schwimann/Kodek 5 § 1120 ABGB Rz 45 [FN 230]). Diese Frage kann aber hier (wie bereits zu 1 Ob 248/03g ua) schon wegen der Bejahung einer konkludenten Komplettübernahme dahingestellt bleiben.

[9] 3.1. Auf die in der Revision weiters aufgeworfene Frage, ob auch im Fall eines Eintritts nach § 1120 ABGB eine Kündigung binnen angemessener Frist zu erfolgen gehabt hätte, kommt es hier nicht an (vgl 1 Ob 248/03g).

[10] 3.2. Auf von den Vorinstanzen verneinte Auflösungsgründe nach § 1118 ABGB oder die Abweisung des Eventualbegehrens kommt die Revision nicht mehr zurück.

[11] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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