European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00120.22V.0906.000
Spruch:
1. Die „außerordentliche“ Revision wird als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen, soweit sie Ansprüche der viertklagenden Partei betrifft.
2. Soweit die Revision die Ansprüche der zweit‑, dritt‑ und fünftklagenden Partei betrifft, werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Klägerinnen sind die Ehefrau, die Töchter und die Mutter eines bei einem Verkehrsunfall tödlich Verunfallten. Sie begehren (mit Ausnahme der Mutter) entgangenen Unterhalt gemäß § 1327 ABGB für einen bestimmten Zeitraum sowie (mit Ausnahme einer Tochter) Trauerschmerzengeld von jeweils 20.000 EUR; die Ehefrau fordert weiters den Ersatz von Begräbniskosten, die Ehefrau und die Mutter begehren zudem Schmerzengeld für aufgrund des Unfalls erlittene seelische Schmerzen mit Krankheitswert. Sämtliche Klägerinnen erheben ein Feststellungsbegehren.
[2] Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es ging in den Entscheidungsgründen davon aus, dass den Erstbeklagten zwar das Alleinverschulden am Unfall treffe, dieser aber nicht grob fahrlässig gehandelt habe.
[3] Die Erst‑ bis Dritt‑ sowie Fünftklägerin wandten sich in ihrer Berufung ausschließlich gegen die Beurteilung des Erstgerichts im Hinblick auf die Nichtannahme grober Fahrlässigkeit und beantragten die Abänderung des Ersturteils in dessen rechtlicher Beurteilung zum Vorliegen „schweren Verschuldens“. Die Beklagten strebten in ihrer Berufung die Abweisung eines Drittels der Zahlungsbegehren an, weil dem beim Unfall Getöteten ein Mitverschulden von einem Drittel anzulasten sei.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, jener (eines Teils) der Klägerinnen hingegen Folge und bestätigte das angefochtene Teilzwischenurteil mit der Maßgabe, dass es den Umfang der Zahlungsbegehren in den Spruch aufnahm. Es ging ebenfalls vom Alleinverschulden des Erstbeklagten aus und bejahte das Vorliegen grober Fahrlässigkeit.
[5] Die als „außerordentlich“ bezeichnete Revision der Beklagten, die das Erstgericht zur Entscheidung vorlegt, wendet sich gegen dieses Urteil, soweit „das Leistungsbegehren dem Grunde nach in einem zwei Drittel übersteigenden Ausmaß als zurecht bestehend erkannt und das Überholmanöver des Erstbeklagten als äußerst gefährlich und daher als grob fahrlässig beurteilt wird“.
[6] Soweit die Revision Ansprüche der Viertklägerin betrifft, ist sie als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen. Im Übrigen sind die Akten (vorerst) dem Erstgericht zurückzustellen.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096). Mehrere aus einem Unfall Geschädigte sind nach ständiger Rechtsprechung nur formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO (RS0110982). Ihre Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (RS0035615). Das gilt auch für die hier (in erster Linie) geltend gemachten Ansprüche auf Trauerschmerzengeld, Ersatz für Schockschaden mit Krankheitswert und Unterhaltsentgang nach § 1327 ABGB.
[8] 2. Der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts übersteigt im Hinblick auf die Ansprüche der Viertklägerin 5.000 EUR nicht, war doch nur ein Drittel des von ihr erhobenen Zahlungsbegehrens von 8.020,81 EUR Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die „außerordentliche“ Revision war damit gemäß § 502 Abs 2 ZPO als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen, soweit sie Ansprüche der Viertklägerin betrifft.
[9] 3. Im Hinblick auf die Ansprüche der Zweit‑ sowie Dritt‑ und Fünftklägerin übersteigt der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts zwar jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR. Da das Berufungsgericht die Revision für nicht zulässig erklärt hat, ist deren Zulässigkeit insoweit nach § 508 ZPO zu beurteilen. Die unterlegene Partei kann daher nur einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen. Dieser – mit der ordentlichen Revision verbundene – Antrag ist beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und nach § 508 Abs 3 und 4 ZPO vom Berufungsgericht zu behandeln.
[10] Diese Vorgangsweise ist auch dann einzuhalten, wenn das Rechtsmittel als „außerordentlich“ bezeichnet wird und an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist. Denn auch dieser darf darüber nur entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Zulassungsausspruch abgeändert hat.
[11] Das Erstgericht wird das Rechtsmittel daher dem Berufungsgericht vorzulegen haben, um diesem ein Vorgehen nach § 508 ZPO im Hinblick auf die Ansprüche der Zweit‑ sowie Dritt‑ und Fünftklägerin zu ermöglichen. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.
[12] 4. Im Hinblick auf die Ansprüche der Erstklägerin übersteigt der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts 30.000 EUR, sodass insoweit eine Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs besteht. Es erscheint jedoch prozessökonomisch, vorweg das Verfahren nach § 508 ZPO durchzuführen. Danach wird das Erstgericht (oder das Berufungsgericht, sollte es die ordentliche Revision nachträglich zulassen,) die Akten erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen haben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)