OGH 22Ns2/22x

OGH22Ns2/22x31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 31. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Jilek und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, AZ D 72/22 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien, über den Antrag des Disziplinarrats auf Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0220NS00002.22X.0831.000

 

Spruch:

Die Durchführung des Disziplinarverfahrens wird dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich übertragen.

 

Gründe:

[1] Beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien wurde gegen *, Rechtsanwalt in *, zu AZ D 27/22 Disziplinaranzeige erstattet (ON 1). Am 7. Juni 2022 zeigte der Disziplinarrat mit der Begründung, dass der Angezeigte Mitglied des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien sei, die Befangenheit aller seiner Mitglieder an und beantragte demzufolge die Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat (ON 2).

Rechtliche Beurteilung

[2] Gemäß § 25 Abs 1 erster Satz DSt kann die Durchführung des Disziplinarverfahrens wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen auf Antrag des Beschuldigten, des Kammeranwalts oder des Disziplinarrats selbst einem anderen Disziplinarrat übertragen werden.

[3] Wenngleich das Disziplinarverfahren erst ab der Bestellung eines Untersuchungskommissärs (§ 22 Abs 3 DSt) anhängig ist (RIS‑Justiz RS0119913; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 22 DSt Rz 8; vgl auch RIS‑Justiz RS0056852), stellt die Rechtsprechung in Bezug auf die Möglichkeit einer Delegierung im Sinn des § 25 Abs 1 DSt nicht auf die formale Einleitung eines Disziplinarverfahrens, sondern – im Wege der Analogie – darauf ab, ob das Gesetz dem Disziplinarrat eine disziplinarrechtliche Kompetenz einräumt (vgl RIS‑Justiz RS0119913 [T1 und T3]).

[4] Da § 22 Abs 1 DSt dem Disziplinarrat die Kompetenz zuweist, einlangende Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens dem Kammeranwalt zuzuleiten, ist § 25 Abs 1 DSt somit auch auf das in Rede stehende Stadium anzuwenden (22 Ns 1/22z, RIS‑Justiz RS0133952).

[5] Der Umstand, dass sich die Disziplinaranzeige gegen ein Mitglied des nach dem Gesetz zur Entscheidung berufenen Disziplinarrats richtet, stellt einen Delegierungsgrund im Sinn des § 25 Abs 1 DSt dar, der zur Vermeidung des Anscheins einer Parteilichkeit der Entscheidungsträger die Übertragung der Durchführung des Verfahrens an einen anderen Disziplinarrat notwendig macht (RIS‑Justiz RS0055477 [T5] und RS0055618, jüngst 21 Ns 1/22t).

[6] Es war daher dem Antrag des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien Folge zu geben und die Sache dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu delegieren.

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