European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00108.22A.0728.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Oktober 2018 vom Beklagten als Verkäufer ein gebrauchtes Fahrzeug um 14.900 EUR. Im Februar 2020 forderte die Erwachsenenvertreterin des Voreigentümers den Kläger zur Herausgabe dieses Fahrzeugs auf und verwies darauf, dass der Beklagte es dem damals schon geschäftsunfähigen Eigentümer „arglistig herausgelockt“ habe. Im April 2018 war der Voreigentümer des Pkw von der Polizei aufgefordert worden, seine Fahrtüchtigkeit nachzuweisen. Der mit ihm seit Jahren befreundete Beklagte bot ihm an, ihn mit dem Pkw zu chauffieren. Der Beklagte nutzte den Pkw dann zunehmend für sich selbst als Privatfahrzeug. Als die Fahruntüchtigkeit des Voreigentümers feststand und er seinen Führerschein abgeben musste (Juni 2018), forderte dessen Ehefrau den Beklagten auf, das Auto zurückzugeben. Der Beklagte reagierte darauf mit Ausreden; es gelang ihm, den Reserveschlüssel „herauszulocken“, und er meldete am 24. August 2018 den Pkw behördlich auf seinen Namen an. Der Voreigentümer war wegen seiner fortschreitenden Demenzerkrankung spätestens seit Mai 2018, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber schon seit August 2017, nicht mehr in der Lage, die Tragweite und Bedeutung eines Kaufvertrags über sein Fahrzeug zu erkennen, was der Beklagte jedenfalls wusste. Am 17. Oktober 2018 wurde die Ehefrau des Voreigentümers zu dessen Erwachsenenvertreterin bestellt. Nach der Aufforderung zur Rückgabe des Fahrzeugs im Frühjahr 2020 einigten sich der Kläger und die Vertreterin des Voreigentümers schließlich in einem pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleich auf eine Zahlung von 6.000 EUR gegen den Verzicht auf den Herausgabeanspruch; der Kläger hatte in diesem Zusammenhang Vertretungskosten von 1.000 EUR.
[2] Der Kläger begehrte vom Beklagten 7.000 EUR sA als Ersatz des Vermögensnachteils, den er infolge des mit ihm geschlossenen Kaufvertrags über den Pkw erlitten habe.
[3] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Kläger habe „leichtfertig“ die Forderung des Voreigentümers erfüllt, er hätte einwenden können, dass er das Fahrzeug gutgläubig erworben habe.
[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
[5] Der Voreigentümer sei nicht geschäftsfähig gewesen und der Beklagte habe dem Kläger das Eigentum am Fahrzeug nicht verschaffen können, weil keiner der drei möglichen Fälle des § 367 Abs 1 ABGB vorliege. Das Eigentum am Pkw sei daher erst durch den pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleichsabschluss auf den Kläger übergegangen und dafür habe der Kläger die nun vom Beklagten geforderten Aufwendungen gehabt. Der Kläger könne seinen Anspruch auf Ersatz der Kosten sowohl auf Gewährleistung wie auch auf Schadenersatz stützen.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
[7] Für das „Anvertrauen“ einer Sache im Sinn des § 367 Abs 1 dritter Fall ABGB sei gefordert, dass der Eigentümer die Sache freiwillig aus der Hand gegeben habe. Dies setze ein gewisses Maß an Einsichts‑ und Willensfähigkeit voraus. Zur Frage, ob beschränkte Geschäftsfähigkeit für das Anvertrauen in diesem Sinn ausreiche, existierten unterschiedliche Lehrmeinungen; hier sei davon auszugehen, dass der Voreigentümer das Fahrzeug dem Beklagten wegen seiner partiellen Geschäftsunfähigkeit nicht habe „anvertrauen“ können. Zu einem gutgläubigen Eigentumserwerb des Klägers sei es daher nicht gekommen. Der Beklagte habe für den Rechtsmangel gewährleistungsrechtlich einzustehen und auch den Schaden (Vertretungskosten) des Klägers zu ersetzen. Dass ihn kein Verschulden an der Schlechterfüllung treffe, habe der Beklagte nicht nachgewiesen.
[8] Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob ein beschränkt Geschäftsunfähiger eine Sache im Sinn des § 367 Abs 1 dritter Fall ABGB anvertrauen könne, eine ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
[9] In seiner Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt der Beklagte, die Entscheidung im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise begehrt er deren Aufhebung.
[10] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch – nicht zulässig.
[12] 1.1 Gemäß § 367 Abs 1 dritter Fall ABGB erwirbt der rechtmäßige und redliche Besitzer das Eigentum an der beweglichen Sache, wenn er sie von jemandem erworben hat, dem sie der vorherige Eigentümer anvertraut hat. Vertrauensmann in diesem Sinn ist nach herrschender Ansicht derjenige, dem der Eigentümer die ausschließliche Gewahrsame freiwillig und „gedeckt durch Geschäftsfähigkeit“ (so Eccher/Riss in KBB6 § 367 ABGB Rz 4 mwN) überlassen hat. Auch die dem Eigentümer betrügerisch herausgelockte Sache ist dem Gewährsmann im Sinn des § 367 Abs 1 ABGB „anvertraut“ (RIS‑Justiz RS0010898 [T1]).
[13] 1.2 Dass eine Übergabe in die ausschließliche Gewahrsame durch einen Eigentümer, dem jede Geschäftsfähigkeit fehlt, den Tatbestand des „Anvertrauens“ im Sinn des § 367 Abs 1 ABGB nicht erfüllen kann, ist in der Literatur völlig unbestritten (vgl die Nachweise bei Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 367 Rz 16). Aber auch bei bloß teilweiser Geschäftsunfähigkeit scheidet nach der herrschenden Lehre ein rechtswirksames Anvertrauen aus (Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 367 Rz 9; Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb – Zum Spannungsverhältnis von Bestandschutz und Verkehrsinteressen, 274; Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 367 Rz 16; Reischauer, Willensmängel, Geschäftsunfähigkeit und unwirksame Veräußerung als Probleme des Anvertrauens [§ 367 ABGB], JBl 1973, 589 [597 f]). Lediglich nach der Ansicht von Leupold (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 367 Rz 79 ff) wäre für solche Fälle, in denen ein bloß eingeschränkt Geschäftsfähiger die Gewahrsame an einer Sache übertragen hat, eine andere Beurteilung geboten, sofern für die betroffene Person im Zeitpunkt des Anvertrauens der Sache an den Dritten ein gesetzlicher Vertreter vorhanden gewesen sei.
[14] 1.3 In der Entscheidung 8 Ob 513/83 (= RS0010893) hat der Oberste Gerichtshof – mit Hinweis auf die damaligen Lehrmeinungen – ausgesprochen, dass die Gewahrsamsüberlassung durch einen nicht voll Geschäftsfähigen mit einem Anvertrauen im Sinn des § 367 Abs 1 dritter Fall ABGB nicht gleichzusetzen sei. Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384 [T3]). Allein aus dem Umstand, dass nur eine (ältere) Entscheidung zur aufgeworfenen Frage vorliegt, ergibt sich daher keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.
[15] 1.4 Aber auch eine Auseinandersetzung mit der erwähnten einzelnen Lehrmeinung zur Übergabe der später veräußerten Sache durch einen nur eingeschränkt Geschäftsunfähigen erübrigt sich hier, weil für den Voreigentümer des Fahrzeugs erst mehrere Monate nach der Gewahrsamsübertragung, die allenfalls als ein „Anvertrauen“ des Pkw gewertet werden könnte, ein (Erwachsenen‑)Vertreter bestellt wurde. Ein Fall, in dem ein beschränkt Geschäftsfähiger im Zeitpunkt der Übergabe der Sache an einen Dritten bereits einen gesetzlichen Vertreter hatte, für welche Sachverhaltsvariante Leupold (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 367 Rz 79 ff) einen möglichen gutgläubigen Eigentumserwerb vom Vertrauensmann argumentiert, liegt daher hier nicht vor. Damit kommt der Frage einer differenzierten Behandlung (eingeschränkt) Geschäftsunfähiger im Zusammenhang mit § 367 Abs 1 ABGB für die Entscheidung über das Klagebegehren nur theoretische Bedeutung zu.
[16] 2.1 Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (RS0117658). Bei der Beurteilung der Geschäfts-(nunmehr Entscheidungs-)fähigkeit ist darauf abzustellen, ob eine Person die Tragweite eines konkreten Geschäfts und die Auswirkungen ihres Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann (RS0009075 [T8, T12]).
[17] 2.2 Nach den Feststellungen litt der Voreigentümer in der Zeit, als er sein Fahrzeug dem Beklagten (für die vereinbarten Chauffeurdienste) übergab, bereits seit Monaten an einer fortschreitenden – beim Autolenken offensichtlich auch für die Polizei erkennbaren – Demenzerkrankung, die dem Beklagten uneingeschränkt bekannt und bewusst war. Auf Basis dieses Sachverhalts ist die Beurteilung der Vorinstanzen, dass eine „freiwillige“ Überlassung des Fahrzeugs durch den Voreigentümer an den Beklagten, die als „Anvertrauen“ im Sinn des § 367 Abs 1 ABGB qualifiziert werden könnte, hier jedenfalls nicht vorlag, nicht korrekturbedürftig.
[18] 2.3 Entgegen den Ausführungen der Revision ist dem Berufungsgericht auch keine sekundäre Mangelhaftigkeit vorzuwerfen. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass keine konkrete Feststellung darüber vorliegt, ob der Voreigentümer „vollkommen unfähig war, die Tragweite und die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen“, aus der Gesamtheit der Feststellungen zur Demenzerkrankung und dem Verhalten des Voreigentümers konnten die Vorinstanzen aber durchaus in diesem Einzelfall beurteilen, dass diesem bei der Überlassung des Pkw an den Beklagten die Geschäftsfähigkeit für ein wirksames „Anvertrauen“ im Sinn des § 367 Abs 1 ABGB fehlte. Dies ergibt sich letztlich auch aus den näheren, hier nicht wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichts zum persönlichen und beruflichen Naheverhältnis des Beklagten zum Voreigentümer sowie über dessen positive Kenntnis von der erkennbar fortschreitenden Demenzerkrankung.
[19] 2.4 Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel mit Erfolg geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]). Soweit das Rechtsmittel ergänzende Feststellungen dahin begehrt, dass der Voreigentümer bei der Übergabe des Fahrzeugs an den Beklagten die Tragweite und Bedeutung der Überlassung erkennen habe können, stehen diese im Widerspruch zum für den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhalt.
[20] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).
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