European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0170OB00005.22T.0712.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger verfügt über mehrere vollstreckbare Forderungen gegen seinen Vater (idF: Schuldner). Dieser veräußerte mit Kaufvertrag vom 8. Mai 2018 eine ihm gehörende Liegenschaft an die beklagte Gesellschaft. Im Vertrag war ein „Gesamtkaufpreis“ von 10.000 EUR vorgesehen. Weiters räumte die Beklagte dem Schuldner „schenkungsweise“ ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an der Liegenschaft ein, und sie verpflichtete sich, während der Ausübung dieses Rechts alle laufenden Kosten der Liegenschaft zu zahlen.
[2] Die Liegenschaft hatte beim Verkauf einen Verkehrswert von 126.000 EUR. Die Übernahme der Kosten hatte angesichts des damaligen Alters des Schuldnersvon 73 Jahren bei Vertragsabschluss einen Barwert von 28.186 EUR. Feststellungen zum Wert des Wohnrechts trafen die Vorinstanzen nicht.
[3] Der Kläger begehrte mit seiner am 24. April 2020 beim Erstgericht eingelangten Anfechtungsklage zunächst die Duldung der Exekution in die Liegenschaft zur Hereinbringung mehrerer vollstreckbarer Kostenforderungen von zusammen 15.348,65 EUR. Am 30. November 2020 und am 1. März 2021 dehnte er sein Begehren auf Duldung der Exekution zur Hereinbringung weiterer 22.179,41 EUR aus. Es liege eine unentgeltliche Verfügung iSv § 3 Z 1 AnfO vor, weil selbst unter Berücksichtigung der Kostenübernahme ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe. Das Wohnrecht sei dem Schuldner schenkungsweise eingeräumt worden und daher bei der Ermittlung der Wertverhältnisse nicht zu berücksichtigen. Zudem sei auch der Tatbestand von § 2 Z 1 und Z 2 AnfO erfüllt. Der Schuldner werde durch den Vertrag wirtschaftlich so gestellt, als wäre er noch Eigentümer. Die Konstruktion habe nur den Zweck gehabt, einen Zugriff von Gläubigern auf die Liegenschaft zu verhindern. Die Benachteiligungsabsicht des Schuldners sei der Beklagten bekannt gewesen oder hätte ihr zumindest bekannt sein müssen.
[4] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Begehrens. Sie habe für die Liegenschaft nicht nur den Kaufpreis von 10.000 EUR geleistet, sondern dem Verkäufer auch ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Dieses habe einen Wert von 94.642 EUR. Dazu komme der Barwert der Kostenübernahme von (ihrer Ansicht nach) 32.823,36 EUR. Der Anfechtungsanspruch sei für die erst nach Klageerhebung geltend gemachten Forderungen verfristet, weil die Klage insofern erst nach Ablauf der in § 2 Z 2 und § 3 AnfO vorgesehenen Zweijahresfrist erhoben worden sei.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Hauptsache und in einem Teil des Zinsenbegehrens statt, das Zinsenmehrbegehren wies es unbekämpft ab. Es liege eine unentgeltliche Verfügung vor, da die aus dem Kaufpreis und der Kostenübernahme bestehende Gegenleistung nur knapp ein Drittel des Verkehrswerts betragen habe. Der Schuldner habe sich nicht ein Wohnrecht vorbehalten, sondern es sei ihm nach dem klaren Wortlaut des Vertrags von der Beklagten geschenkt worden. Auch wenn die Parteien möglicherweise wirtschaftlich eine andere Konstruktion gewünscht hätten, könnten sie sich gegenüber dem Kläger als Dritten auf „interne Vorgänge“ nicht berufen. Benachteiligungsabsicht liege vor, weil der Schuldner selbst angegeben habe, dass er sich von der Liegenschaft wegen der Streitigkeiten mit den Kindern habe „frei machen“ wollen. Der Verfristungseinwand treffe nicht zu.
[6] Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs ließ es zu.
[7] Der Wert des Wohnrechts vermindere nur den Wert der Schenkung, sei aber nicht als Gegenleistung anzusehen. Denn bei einer Gesamtbetrachtung sei das Wohnrecht nicht aus dem Vermögen der Beklagten zu erbringen gewesen. Allerdings sei § 13 Abs 3 AnfO zu berücksichtigen, wonach der redliche Anfechtungsgegner nur seine Bereicherung schulde. Diese werde nicht nur durch den Kaufpreis und den Wert der übernommenen Leistungen vermindert. Auch der Wert des Wohnrechts sei „im Ausmaß des bis zum Verhandlungsschluss erster Instanz verstrichenen Zeitraums“ zu berücksichtigen. Die Beklagte schulde nur diese Bereicherung, außer dem Kläger gelänge der Nachweis der Schlechtgläubigkeit. Der Kläger habe sich auch auf die Anfechtungsgründe nach § 2 Z 1 und Z 2 AnfO berufen, was als Einwand der Schlechtgläubigkeit iSv § 13 Abs 3 AnfO zu verstehen sei. Gelinge ihm dieser Nachweis, könne sich die Beklagte nicht mehr auf § 13 Abs 3 AnfO berufen, weil dann auch ein entgeltlicher Erwerb anfechtbar wäre. Benachteiligungsabsicht des Schuldners habe das Erstgericht, wenngleich disloziert, festgestellt. Allerdings fehlten Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Beklagte diese Absicht kannte oder kennen musste. Dafür sei der Kläger beweispflichtig. Gelinge ihm der Nachweis, sei dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; sonst sei das „unverfristete“ Begehren entsprechend zu kürzen. Dabei sei die Einhaltung der Anfechtungsfrist für jede Forderung getrennt zu prüfen. Nur die in § 2 Z 1 AnfO vorgesehene Zehn-Jahres-Frist stünde bei Erfüllung dieses Tatbestands insgesamt der Annahme der Verfristung entgegen.
[8] Der Rekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zu den aufgeworfenen Fragen des § 13 Abs 1 AnfO fehle und das Berufungsgericht zur Frage der Beweislast für die Gutgläubigkeit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0050250) abgewichen sei.
[9] Mit seinem Rekurs strebt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils an. Die Beweislast für die Gutgläubigkeit iSv § 13 Abs 3 AnfO treffe den Anfechtungsgegner. Verfristung sei nicht eingetreten, weil die ursprüngliche Klage innerhalb der Zwei‑Jahres‑Frist des § 3 Z 1 AnfO eingebracht worden sei. Nur dieser Zeitpunkt sei maßgebend.
[10] Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Die Beurteilung der Beweislastverteilung treffe zu, weil es sich bei § 13 Abs 3 AnfO um eine Ausnahmebestimmung handle. Der Anfechtungsanspruch sei für jene Forderungen verfristet, die der Kläger erst mehr als zwei Jahre nach der Rechtshandlung geltend gemacht habe. Das folge auch aus § 12 AnfO, wonach in der Klage anzugeben sei, in welchem Umfang der Beklagte etwas leisten oder dulden solle.
[11] Der Rekurs ist zwar nicht aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, wohl aber deswegen zulässig, weil keine unentgeltliche Verfügung vorliegt. Er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Die Regelungen der Anfechtungsordnung wurden zwar mit der Gesamtreform des Exekutionsrechts (GREx, BGBl I 86/2021) in die §§ 438 ff EO übernommen. Nach § 502 Abs 8 EO idF GREx sind diese Bestimmungen aber nur auf Rechtshandlungen nach dem 30. Juni 2020 anzuwenden. Der vorliegende Fall ist daher formal noch nach der Anfechtungsordnung zu beurteilen. Inhaltlich weisen die relevanten Bestimmungen aber keinen Unterschied auf.
[13] 2. Die Auffassung der Vorinstanzen, es liege eine unentgeltliche Verfügung iSv § 3 Z 1 AnfO vor, trifft, ausgehend vom Vorbringen der Parteien und den getroffenen Feststellungen, nicht zu.
[14] 2.1. § 3 Z 1 AnfO entspricht § 29 Z 1 IO. Daher können Rechtsprechung und Lehre zur Insolvenzanfechtung auch im vorliegenden Zusammenhang herangezogen werden. Danach wird das Vorliegen einer „unentgeltlichen Verfügung“ einerseits (objektiv) durch das Fehlen einer konditional, kausal oder synallagmatisch verbundenen Gegenleistung charakterisiert (3 Ob 240/09d mwN; König/Trenker, Anfechtung Rz 9.3; Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 29 Rz 3). Andererseits wird aber auch betont, dass der Tatbestand von § 29 Z 1 IO (und damit auch von § 3 Z 1 AnfO) nur erfüllt ist, wenn Zweck der Leistung Freigebigkeit ist (RIS‑Justiz RS0033054), sodass es auf den (subjektiven) Willen des Leistenden ankommt (3 Ob 240/09d; 3 Ob 244/09t, 3 Ob 167/11x; König/Trenker, Anfechtung Rz 9.13; Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 29 Rz 3; Koziol/Bollenberger in Buchegger, Insolvenzrecht4 § 29 Rz 4).
[15] 2.2. Diese oft nebeneinander stehenden Begründungslinien sind nicht leicht vereinbar: Einerseits soll festgestelltes Fehlen von Schenkungsabsicht die Anfechtung schon auf der Tatsachenebene ausschließen (3 Ob 167/11x); andererseits soll es für die Beurteilung der Unentgeltlichkeit (offenbar allein) auf den „objektiven Sachverhalt“ ankommen (9 ObS 19/89). Vermittelnd wird ausgeführt, dass ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung oder gar das Fehlen einer Gegenleistung Schenkungsabsicht „indiziert“ (König/Trenker, Anfechtung Rz 9.14; 6 Ob 175/01f; 3 Ob 167/11x [allerdings nicht bei Feststellung fehlender Schenkungsabsicht]). In der jüngeren Lehre scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass „zumindest im Zweifel“ die „objektive Bewertung“ maßgebend sei (König/Trenker, Anfechtung Rz 9.14; Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 29 IO Rz 6; vgl für das deutsche Recht Klinck, Die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen im Spiegel der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ZIP 2017, 1589 ff). Das wird man dahin deuten können, dass im Fall eines non liquet zur Frage der Schenkungsabsicht auf die objektiven Umstände abzustellen ist. Allerdings wird auch in diesem Fall nur ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das bei der Einräumung von Rechten bei einer Ex-ante-Betrachtung bestehen müsste, zur Annahme einer unentgeltlichen Verfügung führen können (2 Ob 110/20w; vgl auch RIS‑Justiz RS0111389).
[16] 2.3. Auf dieser Grundlage ist die hier strittige Veräußerung zu beurteilen.
[17] (a) Aus dem festgestellten Sachverhalt lässt sich Schenkungsabsicht des Schuldners nicht ableiten. Denn es ging ihm darum, sich im Hinblick auf Streitigkeiten in der Familie von der Liegenschaft „frei“ zu machen. Darin liegt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, angesichts der konkreten Konstruktion der Veräußerung – unveränderte Weiternutzung unter formaler Aufgabe des Eigentums – zweifellos Benachteiligungsabsicht iSv § 2 Z 1 und Z 2 AnfO. Dieses „Freimachen“ konnte aber entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen. Eine Feststellung zur Frage, ob der Schuldner die Liegenschaft tatsächlich in (zumindest teilweiser) Schenkungsabsicht übereignete, hat das Erstgericht nicht getroffen.
[18] (b) Selbst wenn man auf dieser Grundlage ein non liquet zur Schenkungsabsicht annehmen wollte, könnte aus den Wertverhältnissen keine Unentgeltlichkeit abgeleitet werden.
[19] Das formale Zerlegen des Übertragungsvorgangs in die Veräußerung der Liegenschaft und die „schenkungsweise“ Einräumung des Wohnrechts widerspricht der im Anfechtungsrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Unabhängig von der formalen Konstruktion ist das in der Sache zurückbehaltene Wohnrecht zwar nicht als Gegenleistung, wohl aber – im Ergebnis mit gleicher Wirkung – als Minderung der Zuwendung zu qualifizieren. Dabei ist es, wie auch im Pflichtteilsrecht (7 Ob 162/05g; RIS‑Justiz RS0012978 [T6, T11]), nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu bewerten.
[20] Den Leistungen der Beklagten (Kaufpreis und Kostenübernahme) ist daher nur der um den Wert des Wohnrechts verminderte Wert der Liegenschaft gegenüberzustellen. Dass auch in diesem Fall ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestünde, das (zumindest teilweise) Unentgeltlichkeit indizieren könnte, hat der für die Unentgeltlichkeit behauptungs- und beweispflichtige Kläger nicht konkret behauptet; vielmehr hat er sich nach dem diesbezüglichen Einwand der Beklagten auf den Standpunkt gestellt, dass das Wohnrecht überhaupt nicht in die Betrachtung einzufließen habe. Aus diesem Grund liegt insofern auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
[21] 2.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass keine unentgeltliche Verfügung vorliegt. Auf die vom Berufungsgericht als Begründung für die Rekurszulassung angeführte Beweislastfrage kommt es nicht an.
[22] 3. Die Anfechtung könnte daher nur auf § 2 Z 1 oder Z 2 AnfO gestützt werden. Insofern hat das Berufungsgericht zutreffend auf die dislozierte Feststellung zur Benachteiligungsabsicht (für die im Übrigen bedingter Vorsatz genügt, RIS‑Justiz RS0043680), auf die fehlenden Feststellungen zum Kennen oder Kennenmüssen dieser Absicht und auf die insofern jedenfalls bestehende Beweislast des Klägers (RIS‑Justiz RS0050775, 8 Ob 98/07f) verwiesen. Insofern hat es daher bei der Aufhebung zu verbleiben.
[23] 4. Sollte nur Kennenmüssen iSv § 2 Z 1 AnfO erweisbar sein, wäre der Anfechtungsanspruch für jene Forderungen verfristet, die der Kläger erst mehr als zwei Jahre nach Vertragsabschluss als Grund für die Ausdehnung des Klagebegehrens geltend gemacht hat.
[24] 4.1. Beim zeitlichen Element der Anfechtungstatbestände der Anfechtungsordnung handelt es sich um Klagefristen, die mit jener des § 43 Abs 2 IO vergleichbar sind (6 Ob 567/90 SZ 63/71; RIS‑Justiz RS0050744). Maßgebend für das Einhalten der Frist ist das Einbringen einer Anfechtungsklage mit einem dem Gesetz entsprechenden Begehren (3 Ob 584/84 SZ 58/34; RIS‑Justiz RS0050715). Nach § 12 AnfO muss in der Anfechtungsklage (insbesondere) angegeben werden, in welchem Umfang der Beklagte zum Zweck der Befriedigung des Gläubigers etwas leisten oder (wie hier) dulden soll. Daher ist in der Klage die vollstreckbare Forderung, zu deren Hereinbringung angefochten wird, anzugeben (3 Ob 584/84 mwN).
[25] 4.2. Auf dieser Grundlage besteht kein Zweifel, dass die Anfechtungsfrist nur gewahrt ist, wenn die Klage in Bezug auf eine bestimmte Forderung rechtzeitig eingebracht wird. Das traf hier – außer bei Anwendbarkeit von § 2 Z 1 AnfO – bei jenen Forderungen nicht zu, die erst mit den Klageausdehnungen nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Insofern wäre der Anspruch daher verfristet.
[26] 5. Aus diesen Gründen hat der Rekurs keinen Erfolg. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren aber nur mehr die Anfechtungstatbestände der § 2 Z 1 und Z 2 AnfO zu prüfen haben. Jener des § 3 Z 1 AnfO ist abschließend erledigt.
[27] 6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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