European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:018OCG00001.22D.0504.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Klage wird als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Aufhebungsklägerin (im Folgenden „Klägerin“) ist Widerbeklagte in dem bei der Internationalen Schiedsinstitution der Wirtschaftskammer Österreich (Vienna International Arbitral Centre, „VIAC“) zur Fallzahl ARB‑5634 anhängigen Schiedsverfahren mit Schiedsort Wien. Die Aufhebungsbeklagte (im Folgenden „Beklagte“) ist die Widerklägerin im Schiedsverfahren.
[2] Mit dem Schiedsspruch vom 30. 9. 2021 erklärte sich das Schiedsgericht für die Entscheidung über diese Widerklage zuständig. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieses Zwischenschiedsspruchs aus Gründen, die sie unter die Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 Z 8 ZPO und – in eventu – des § 611 Abs 2 Z 5 ZPO subsumiert.
[3] Diese Aufhebungsklage ist schon aufgrund des Vorbringens als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückzuweisen.
[4] 1. Bei Aufhebungsklagen hat in Analogie zu § 538 ZPO ein Vorprüfungsverfahren stattzufinden (RIS‑Justiz RS0132276). Wenn der Kläger keinen tauglichen Aufhebungsgrund behauptet, ist die Klage ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückzuweisen.
[5] 2. Die Klägerin behauptet, das Schiedsgericht habe die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung und damit seine Zuständigkeit in krassem Widerspruch zum materiellen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 8 ZPO bejaht. Die Klägerin begründet dies – zusammengefasst – wie folgt:
[6] Die Klägerin sei ein spanisches Unternehmen, das als Anbieter von Eisenbahntechnologien tätig sei. Die Beklagte sei ein französisches Unternehmen, das als Lieferantin von Signal‑, Automatisierungs‑ und Steuerungsanlagen für den Eisenbahn‑ und Nahverkehrsmarkt tätig sei. Die im Schiedsverfahren geltend gemachten Ansprüche beruhten auf einer im November 2014 zwischen den Streitparteien abgeschlossenen Lizenzvereinbarung.
[7] Die Klägerin habe das Schiedsverfahren im Juli 2020 zur Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs in Höhe von 173.816,14 EUR eingeleitet. Das VIAC‑Sekretariat habe dieses Verfahren später mit 381.606,40 EUR quantifiziert. Die Beklagte habe eine Widerklage erhoben, die weitaus höhere, vom VIAC‑Sekretariat mit 2.000.000 EUR quantifizierte Schadenersatzansprüche zum Gegenstand habe. Die Klägerin habe daraufhin gegenüber der Beklagten erklärt, die Schiedsvereinbarung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung aufzulösen (zu kündigen). Die Klägerin habe das VIAC‑Sekretariat über diese Auflösung (Kündigung) informiert und die VIAC‑Generalsekretärin aufgefordert, das Schiedsverfahren für beendet zu erklären. Alternativ habe die Klägerin die Zurücknahme der Schiedsklage ohne Anspruchsverzicht in den Raum gestellt. Nachdem die Klägerin ihren Hälfteanteil des Kostenvorschusses in Bezug auf die von der Beklagten erhobene Widerklage nicht geleistet habe, habe die VIAC‑Generalsekretärin das Verfahren hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Hauptanspruchs für beendet erklärt.
[8] In dem seither auf die Beurteilung der Widerklage beschränkten Schiedsverfahren habe das Schiedsgericht entsprechend der in einer Verfahrensorganisationskonferenz akkordierten Zweiteilung des Schiedsverfahrens zunächst ausschließlich über seine Zuständigkeit entschieden. Dabei habe das Schiedsgericht die von ihm in diesem Zuständigkeitsschiedsspruch zu klärenden Rechtsfragen wie folgt festgelegt: (i) Sei die einseitige Kündigung der Schiedsvereinbarung rechtsgültig und wirksam erfolgt und (ii) sei angesichts der finanziellen Situation der Klägerin von der Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung und deshalb auch von der mangelnden Zuständigkeit des Schiedsgerichts auszugehen? Diese Rechtsfragen habe das Schiedsgericht dann insbesondere im Licht des Grundsatzes analysiert, dass Rechtssuchenden der Zugang zum Recht tatsächlich gewährt sein müsse. Das habe das Schiedsgericht hier in Bezug auf die Klägerin mit dem Befund bejaht, dass im Entscheidungszeitpunkt die von der Klägerin behauptete Mittellosigkeit nicht nachvollziehbar gewesen sei („there are too many open questions in this regard“). Da der Klägerin der Zugang zum Recht (nämlich im Rahmen des Schiedsverfahrens) nicht verwehrt sei, sei kein berechtigter Grund für die Kündigung der Schiedsvereinbarung durch die Klägerin vorgelegen. Die die Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Entscheidung über die Widerklage der Beklagten begründende Schiedsvereinbarung sei daher gültig.
[9] Die österreichische Rechtsprechung sehe den (unvorhergesehen) Eintritt der Mittellosigkeit einer Partei als wichtigen Grund an, der die Partei berechtige, eine Schiedsvereinbarung einseitig aus wichtigem Grund aufzulösen (zu kündigen). Das Schiedsgericht verneine die wirksame Kündigung der Schiedsvereinbarung unter Hinweis darauf, dass die Klägerin ihre Mittellosigkeit nicht bewiesen habe (mit den Worten der Klägerin: „mangels hinreichender Unterbeweisstellung der Mittellosigkeit nach Maßgabe eines vollkommen willkürlich vom Schiedsgericht festgesetzten Beweismaßes“). Der von der Klägerin im Schiedsverfahren vorgetragene und vom Schiedsgericht festgestellte Sachverhalt sei jedoch eindeutig so gelagert, dass die Klägerin die Auflösung (Kündigung) der Schiedsvereinbarung unmittelbar zu dem Zeitpunkt erklärt habe, als aufgrund der von der Beklagten erhobenen Widerklage die Verfahrenskosten (insbesondere die damit verbundenen Kostenvorschüsse) unerwartet in die Höhe schnellten und die Klägerin absolut nicht mehr in der Lage gewesen sei, das Schiedsverfahren vorzufinanzieren. Die Klägerin habe auch unverzüglich klargestellt, dass die Zahlung des Hälfteanteils des Kostenvorschusses betreffend die Widerklage aufgrund der prekären finanziellen Lage des Unternehmens unmöglich sei. Die Bemerkungen des Schiedsgerichts, die Klägerin sei im Schiedsverfahren von komplett unrealistischen Kostenschätzungen allein schon hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Hauptanspruchs zu erwartenden Verfahrenskosten (exklusive Kosten der rechtlichen Vertretung) ausgegangen, lege eine wesentliche Widersprüchlichkeit in der Analyse des Schiedsgerichts offen: Einerseits befinde das Schiedsgericht, dass die Mittellosigkeit der Klägerin aus faktischer Perspektive nicht abschließend bewiesen worden sei („not finally proven from a factual perspective“), andererseits stelle es sich die (rhetorische) Frage, wie die Klägerin im Schiedsverfahren die Durchsetzung des Hauptanspruchs überhaupt finanziert hätte. Das Schiedsgericht bestätige damit, dass Umstände vorgelegen seien, die die Aufrechterhaltung der Schiedsvereinbarung schlichtweg unzumutbar machten.
[10] Darauf, ob eine dauerhafte oder nur vorübergehende Mittellosigkeit vorliege, könne es in dieser Abwägung nicht ankommen. Die Klägerin sei mittellos und sei es im Grunde bereits bei Einleitung des Schiedsverfahrens gewesen. Die Mittellosigkeit der Klägerin sei auch ganz wesentlich durch das vertragswidrige Verhalten der Beklagten herbeigeführt worden. Gerade dieser Aspekt müsse in der Abwägung, ob das Festhalten an der Schiedsvereinbarung zumutbar sei oder nicht, besondere Berücksichtigung verdienen.
[11] Der Zuständigkeitsschiedsspruch zähle viele offengebliebene Fragen hinsichtlich der in Bezug auf die Mittellosigkeit der Klägerin vorgelegten Urkunden und vorgetragenen Argumente auf. Dies belaste den Zuständigkeitsschiedsspruch auch aus dem Blickwinkel des verfahrensrechtlichen ordre public nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO, wäre es doch im Verfahrensleitungspouvoir des Schiedsgerichts gelegen, diese Fragen zu klären. Aufgrund dieser vom Schiedsgericht bewusst nicht aufgelösten Widersprüchlichkeiten leide der Zuständigkeitsschiedsspruch an einem in seiner Schwere dem § 477 Abs 1 Z 9 ZPO absolut gleichzusetzenden Verfahrensmangel.
[12] Das Schiedsgericht verkenne den wesentlichen, dem österreichischen Rechts‑ und Gerichtswesen innewohnenden Grundsatz, dass es einer Partei unzumutbar sei, bei auch nur vorübergehender Mittellosigkeit mit der Rechtsverfolgung bzw ‑verteidigung das eigene wirtschaftliche Fortkommen bzw Überleben zu gefährden. Nach Art 6 EMRK müsse Zugang zum Recht unabhängig von den Vermögensverhältnissen der Parteien gewährleistet sein. Das Institut der Verfahrenshilfe ermögliche auch mittellosen Parteien die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen oder die Rechtsverteidigung. Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass es ihr bei der Kündigung der Schiedsvereinbarung nicht darum gegangen sei, sich der Widerklage zu entziehen (oder überhaupt dem Gegner das vertraglich vereinbarte Recht auf Geltendmachung von Ansprüchen im schiedsgerichtlichen Wege zu nehmen), sondern lediglich um die Sicherstellung der Möglichkeit, mittels Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe in den Genuss leistbaren Rechtsschutzes durch die staatlichen Gerichte zu kommen. Hierfür sei die Auflösung (Kündigung) der Schiedsvereinbarung der erste notwendige Schritt gewesen. Erst so werde der Weg zu den staatlichen Gerichten frei.
[13] Das Schiedsgericht halte fest, dass die Klägerin „vorläufig“ („presently“) im Schiedsverfahren vollen Zugang zum Recht habe. Zugang zum Recht bedeute aber nicht, dass bloß die Verteidigungsrechte der Klägerin betreffend die im Schiedsverfahren gegen sie erhobene Widerklage gewahrt bleiben müssten. Es sei daher unwesentlich, dass die Beklagte den Kostenvorschuss für die Durchführung des Schiedsverfahrens über die Widerklage vollständig gezahlt habe und dass die Anwälte der Klägerin ihre Honorare im Schiedsverfahren (zumindest vorübergehend) nicht einforderten. Mit der Berücksichtigung dieses Arguments belaste das Schiedsgericht den Zuständigkeitsschiedsspruch vielmehr erneut mit einer Widersprüchlichkeit. Die Beteiligung am Schiedsverfahren sei für die Klägerin (neben der vorläufig noch 100 % igen Kostenbevorschussung durch die Beklagte) nur aus dem Grund möglich, dass ihre Rechtsvertreter momentan ihre Honorare stundeten. Nur weil die Anwälte keine Honorare beanspruchten, heiße das aber noch lange nicht, dass es der mittellosen Partei möglich sein werde, (die im Schiedsverfahren üblichen) Privatgutachter zu bestellen und zu bezahlen, Zeugen für die Schiedsverhandlung auf eigene Kosten nach Österreich einfliegen zu lassen und/oder die Kosten des „Court Reporting“ bzw der Übersetzungsdienste am Tag der Schiedsverhandlung zu tragen. Bereits die vom Schiedsgericht geforderte Beiziehung von Wirtschaftsprüfern zwecks Unterbeweisstellung der Mittellosigkeit habe für die Klägerin eine unüberwindbare finanzielle Hürde dargestellt. Das Schiedsgericht lege sich im Zuständigkeitsschiedsspruch zudem selbst die zweifelhafte Bürde auf, im Verfahrensverlauf stetig überprüfen zu müssen, ob die Bereitschaft der Beklagten als Widerklägerin zur vollständigen Vorfinanzierung des Schiedsverfahrens fortbestehe oder nicht.
[14] Das Schiedsgericht habe durch seine Entscheidung eine unzumutbare Bindung an ein Schiedsverfahren trotz wirksamer Auflösung (Kündigung) der Schiedsvereinbarung geschaffen und das Streitforum in Bezug auf ein und denselben Lebenssachverhalt aufgespalten.
3. Dazu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[15] 3.1 Über das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung entscheidet das Schiedsgericht als Teil seiner Zuständigkeitsentscheidung. Die Entscheidung kann mit der Entscheidung in der Sache getroffen werden, aber auch gesondert in einem eigenen Schiedsspruch (§ 592 Abs 1 ZPO). Ein Schiedsspruch (Zwischenschiedsspruch oder Endschiedsspruch), mit welchem das Schiedsgericht seine Zuständigkeit nach Ansicht einer Schiedspartei zu Unrecht bejaht oder verneint, ist infolge einer Aufhebungsklage gemäß § 611 Abs 2 Z 1 oder Z 3 ZPO vom zuständigen staatlichen Gericht zu überprüfen (5 Ob 63/18b [Punkt 3.2.]).
[16] 3.2 Im gegebenen Zusammenhang kommt die Bestimmung des § 611 Abs 2 Z 1 1. Fall ZPO in Betracht, wonach ein Schiedsspruch aufzuheben ist, wenn eine gültige Schiedsvereinbarung fehlt. Der Fall des Nichtvorhandenseins einer Schiedsvereinbarung umfasst dabei sowohl die schlichte Nichtexistenz als auch die bloß scheinbare Existenz. Auch wenn also dem äußeren Anschein nach eine Schiedsvereinbarung vorliegt, diese aber ungültig ist, weil sie zB unwirksam oder formungültig ist, ist ebenso wie bei völligem Fehlen eines Hinweises auf eine Schiedsvereinbarung eine Aufhebungsklage möglich (18 OCg 5/20i [Rz 56] mwN).
[17] 3.3 Auf diesen Aufhebungsgrund nimmt die Klägerin in ihrer Aufhebungsklage allerdings nicht Bezug; sie wirft dem Schiedsgericht vielmehr einen Verstoß gegen den materiellen oder verfahrensrechtlichen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 5 und Z 8 ZPO vor.
[18] 3.3.1 Gemäß § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt wurde, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. Dieser Aufhebungstatbestand ist grundsätzlich restriktiv auszulegen und nur dann erfüllt, wenn gegen tragende Grundsätze eines geordneten Verfahrens verstoßen wurde (18 OCg 9/19a mwN). Behauptete Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Stoffsammlung verletzen Grundwertungen des Verfahrensrechts nur bei einer willkürlichen Vorgangsweise des Schiedsgerichts (18 OCg 5/20i [Rz 42] mwN).
[19] 3.3.2 Gemäß § 611 Abs 2 Z 8 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn dieser Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. Dieser Aufhebungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung nur verwirklicht, wenn das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung in unerträglicher Weise verletzt (RS0133251). Maßgebend ist dabei das Ergebnis des Schiedsspruchs und nicht seine Begründung. Dieser Aufhebungsgrund bietet keine Handhabe für die Prüfung der Frage, ob und wie weit das Schiedsgericht die im Schiedsverfahren aufgeworfenen Tatfragen und Rechtsfragen richtig gelöst hat. Die Prüfung, ob eine Ordre‑public‑Widrigkeit vorliegt, darf also nicht zu einer (Gesamt‑)Überprüfung des Schiedsspruchs in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht führen (Unzulässigkeit einer révision au fond). Nur im Falle willkürlicher Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht wird eine Ausnahme für möglich gehalten. Willkür könnte erst aus einer mehrfachen groben Verkennung der Rechtslage abgeleitet werden oder wenn sich der Richter über wesentliche Verfahrensergebnisse ohne ersichtlichen Grund hinweggesetzt hat (18 OCg 5/21s [Rz 42] mwN).
[20] 3.4 Aus dem Klagevorbringen lässt sich keiner der Aufhebungsgründe ableiten.
[21] Die Klägerin behauptet den Wegfall der Schiedsvereinbarung zufolge deren außerordentlicher Kündigung wegen der Mittellosigkeit der Klägerin. Nach österreichischem Recht ist die einseitige Kündigung einer Schiedsvereinbarung grundsätzlich möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der bewirkt, dass die Durchführung oder Fortsetzung des Schiedsverfahrens für eine Schiedspartei unzumutbar wird. Ein solcher wichtiger Grund liegt insbesondere dann vor, wenn die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes oder eines fairen Verfahrens nicht mehr sichergestellt ist (5 Ob 63/18b [Punkt 5.2.]; RS0045027; Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 IV/2 § 581 Rz 132 mwN; Rechberger/Hofstätter in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 581 ZPO Rz 10; Garber/Sommer in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR [2021], Ⅰ.C. Schiedsvereinbarung Rz 109; eingehend, insb auch zur Abgrenzung zur Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht Ⅰ [2012] Rz 3/383 f). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 813/36 (SZ 18/151) die Mittellosigkeit („unvorhergesehene Verarmung“) der Schiedsklägerin, die es ihr unmöglich macht, Schiedsrichtern Vorschüsse und Honorare zu zahlen, als Kündigungsgrund für Schiedsvereinbarungen qualifiziert.
[22] Nach dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Aufhebungsklage hat das Schiedsgericht – dieser österreichischen Rechtslage entsprechend – die Kündigung der Schiedsvereinbarung aus dem Grund der Mittellosigkeit ohnedies als grundsätzlich möglich angesehen, die Mittellosigkeit aber auf tatsächlicher Ebene verneint. Im Rahmen der Prüfung des Aufhebungsgrundes nach § 611 Abs 2 Z 1 erster Fall ZPO ist das staatliche Gericht nun zwar weder an die Beweiswürdigung des Schiedsgerichts noch an dessen rechtliche Beurteilung gebunden (Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 IV/2 § 611 ZPO Rz 91; Aschauer/Neumayr, Austrian Arbitration Law in Motion [2020] Rz 848). Das staatliche Gericht hat die schiedsgerichtliche Entscheidung also – im Rahmen der Klagebehauptungen – sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht zu prüfen (Lovrek/Musger in Czernich/Deixler‑Hübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht [2018] Rz 16.26). Die Klägerin bestreitet in ihrer (auf die Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 Z 5 und Z 8 ZPO fokussierten) Aufhebungsklage zwar die Richtigkeit der Lösung der Tatfrage, was unter Umständen als Geltendmachen auch des Aufhebungsgrundes nach § 611 Abs 2 Z 1 ZPO verstanden werden könnte, auf die Erwägungsgründe des Schiedsgerichts dazu geht die Klägerin aber nicht weiter ein; sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die bloße Behauptung ihrer Mittellosigkeit und deren Nachweises im Schiedsverfahren. Die Aufhebungsklage enthält aber zur behaupteten Mittellosigkeit weder ein konkretes Tatsachenvorbringen noch ein Beweisanbot. Selbst wenn man daher annehmen wollte, dass sich die Klägerin auch auf diesen Aufhebungsgrund gestützt habe, lässt sich aus ihrem Vorbringen nicht ableiten, dass der Schiedsspruch aus diesem Grund aufzuheben wäre.
[23] Der als Aufhebungsgrund geltend gemachte Verstoß gegen den materiellen und/oder verfahrensrechtlichen ordre public nach § 611 Abs 2 Z 5 und Z 8 ZPO lässt sich aus dem Klagevorbringen nicht ableiten. Die Klägerin zeigt in ihrer Klage weder eine Verletzung von Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung durch das Ergebnis des Zuständigkeitsschiedsspruchs noch eine willkürliche Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht auf. Aus dem Klagevorbringen zur angeblichen Widersprüchlichkeit einzelner beweiswürdigender Erwägungen des Schiedsgerichts lässt sich auch kein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ableiten. Die in der Klage pauschal beschriebenen Erwägungen des Schiedsgerichts sind nicht sachfremd und lassen – entgegen den Klagebehauptungen – auch keinen Begründungsmangel (zu diesem und dessen Präklusion vgl 18 OCg 11/19w; RS0131053) erkennen.
[24] 4. Im Ergebnis gelingt es der Klägerin daher nicht, das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes schlüssig zu behaupten. Die Unschlüssigkeit des Vorbringens zu einem bestimmten Aufhebungsgrund ist kein Fall für eine Verbesserung (RS0036173 [T18]). Die Klage ist deshalb in analoger Anwendung von § 538 ZPO zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)