OGH 7Ob36/22b

OGH7Ob36/22b28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* S*, vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei DI P* S*, vertreten durch Dr. Peter Ouschan, Rechtsanwalt in Völkermarkt, wegen Geldrente und 12.460,80 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 23. Dezember 2021, GZ 4 R 340/21y‑48, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00036.22B.0428.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Das Ausgedinge ist die auf einer Liegenschaft ruhende dingliche Verpflichtung zu Naturalleistungen, Geldleistungen und Arbeitsleistungen zum Zwecke des Unterhalts des früheren Eigentümers (RS0022423).

[2] 1.2 Der Ausgedingsnehmer kann dann, wenn er durch den Übernehmer in schuldhafter Weise außer Stande gesetzt wurde, die bedungenen Naturalleistungen zu beziehen, eine Geldrente in Anspruch nehmen, die an Stelle der ursprünglichen Leistung tritt, im Übrigen die Natur des Ausgedinges bewahrt (RS0022564). Dieser sogenannte „Unvergleichsfall“ („Nichtvertragsfall“), der den Ausgedingsnehmer berechtigt, die Ablösung des Naturalausgedinges in Geld zu verlangen, ist dann verwirklicht, wenn dem Ausgedingsberechtigten der Genuss des Naturalausgedinges nach dem Verhalten des Eigentümers der Übergabsliegenschaft billigerweise nicht mehr zumutbar ist (RS0022521). Diesfalls kommt es zu einer Umwandlung des Naturalleistungsanspruchs in einen Schadenersatzanspruch, wobei die zukünftigen Leistungen nicht wegfallen, sondern in eine Geldrente umgewandelt werden (RS0022564 [T6]). Dadurch soll der Ausgedingsberechtigte in den Stand gesetzt werden, sich die geschuldeten Leistungen anderwärtig zu verschaffen (RS0022466). Die Geldrente kann auch für die Vergangenheit begehrt werden (RS0022404) und bestimmt sich nach dem objektiven Wert der jeweils geschuldeten Naturalleistungen (RS0022404 [T1]).

[3] 1.3 Der „Unvergleichsfall“ wird durch schuldhaften Verzug oder sonst schuldhaftes vertragswidriges Verhalten des Verpflichteten begründet (RS0022521 [T15]). Jedes Verhalten, das dem Ausgedingsberechtigten den Genuss des Naturalausgedinges billigerweise unzumutbar macht, stellt ein den Unvergleichsfall bewirkendes Verschulden des Ausgedingspflichtigen dar; ein Verschulden liegt vor, wenn jenes Maß an Takt und Lieblosigkeit überschritten wird, das nach allgemeiner Lebenserfahrung auch sonst in einem Familienverband auftreten kann, soferne es durch den Ausgedingsberechtigten nicht geradezu provoziert wird (RS0022502). Da die Ablösung des Naturalausgedinges in Geld den Übernehmer ungleich schwerer belastet als die Reichung der Naturalien, liegt es in erster Linie am Ausgedingspflichtigen, durch friedfertiges und verständnisvolles Verhalten gegen die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters oft auch wunderlich oder starrsinnig werdenden Auszügler den Nichtvertragsfall gar nicht entstehen zu lassen (RS0022521 [T14]). Es kommt auch nicht darauf an, ob den Ausgedingsberechtigten ein Verschulden trifft, ihm also sein Fehlverhalten vorwerfbar ist, schon gar nicht ob er „geschäftsfähig“ war (RS0022573 [T7]).

[4] 1.4 Die für die Beurteilung, ob der „Unvergleichsfall“ eingetreten ist, erforderliche Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0022564 [T8]).

[5] 2.1 Die Vorinstanzen bejahten hier ein Verschulden des Beklagten, der über Jahre einerseits seiner Verpflichtung zur Kost über den Tisch nicht nachkam und andererseits seine Mutter auf das gröbste beschimpfte und erniedrigte. Ausdrücklich und den Obersten Gerichtshof bindend steht fest, dass dieses Verhalten durch die – ebenfalls hinterfragenswerte – Verhaltensweise der Klägerin nicht provoziert wurde.

[6] 2.2 Mit dieser Beurteilung wichen die Vorinstanzen von den dargestellten Grundsätzen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht ab. Die vom Beklagten gewünschte Verschuldensabwägung ist – im Sinn der obigen Ausführungen – gerade nicht vorzunehmen.

[7] 3.1 Aufgrund der im vorliegenden Verfahren vorgenommenen Umwandlung des Naturalleistungsanspruchs in einen Schadenersatzanspruch ist die Klägerin nicht mehr berechtigt, Naturalleistungen in Anspruch zu nehmen.

[8] 3.2 Soweit der Beklagte aber ausführt, die Klägerin nehme die Naturalleistungen weiterhin in Anspruch, sodass sie – zumindest für die Vergangenheit – keinen Anspruch auf Geldleistung habe, weil sie nur nicht mehr am Hof nächtige, ansonsten allerdings jeden Tag anwesend sei und die gesamten Räumlichkeiten benütze, entfernt er sich vom Boden der erstgerichtlichen Feststellungen.

[9] 3.3 Eine allfällige Reduktion der Geldrente durch die verbleibende „Nutzung des Hühnerstalls (Füttern der Hühner)“ wird nicht geltend gemacht.

[10] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte