European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00202.21K.0420.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 209,39 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 34,90 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist slowakischer Staatsbürger und hält sich seit 2012 ständig in Österreich auf. Der Kläger bezieht vom slowakischen Versicherungsträger eine – nach dem insofern nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten – Invaliditätsrente (Invaliditätspension). In Österreich erhält er – unstrittig seit 1. 1. 2013 – eine Ausgleichszulage. In der Slowakei war der Kläger von 1. 1. 2010 bis 31. 12. 2011 krankenversichert, seither besteht keine Krankenversicherung in der Slowakei. In Österreich ist der Kläger bei R* in der Krankenversicherung als Angehöriger – unstrittig nach § 123 ASVG – mitversichert.
[2] Mit Bescheid vom 25. 7. 2018 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 5. 7. 2018 auf Zuerkennung von Pflegegeld ab. Der Kläger sei der Krankenversicherung in der Slowakei zugehörig, dieser Staat sei auch für die pflegebedingten Leistungen zuständig.
[3] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß. Er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich und beziehe hier eine Ausgleichszulage und sei daher gemäß § 3 Abs 1 Z 1 lit a BPGG anspruchsberechtigt. Darüber hinaus sei er gemäß § 3 Abs 2 iVm § 3a Abs 1 BPGG anspruchsberechtigt. Der Kläger sei jedenfalls auch in Österreich krankenversichert.
[4] Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass der Bezug einer Ausgleichszulage allein keinen Anspruch auf Pflegegeld vermittle. Zuständig zur Gewährung von Pflegegeld sei die Slowakei, weil der Kläger aus diesem Staat eine Pension beziehe. Bei der Mitversicherung des Klägers handle es sich nicht um eine eigene Krankenversicherung, sondern nur um eine Anspruchsberechtigung als Angehöriger.
[5] Das Erstgericht sprach dem Kläger Pflegegeld der Stufe 1 ab dem 1. 8. 2018 zu und wies das Mehrbegehren ab.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Kläger beziehe keine österreichische Pensionsleistung, sondern eine slowakische Rente und eine Ausgleichszulage in Österreich, die keinen Anspruch auf Pflegegeld gemäß § 3 Abs 1 BPGG vermittle. Bei der vom Kläger bezogenen slowakischen Invaliditätsrente handle es sich um eine Rente im Sinn des Art 29 Abs 1 VO (EG) 883/2004 , sodass die Zuständigkeit zur Gewährung von Leistungen bei Krankheit – wozu das Pflegegeld zähle – gemäß Art 29 Abs 1 iVm Art 21 VO (EG) 883/2004 bei der Slowakei liege. Dafür spiele keine Rolle, dass der Kläger in der Slowakei nicht krankenversichert sei. Der Anspruch auf Pflegegeld richte sich nach dem BPGG und nicht nach den Bestimmungen über die Mitversicherung nach dem ASVG. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine aufrechte österreichische Kranken‑(mit‑)versicherung zu einem Anspruch auf Pflegegeld führe, auch wenn Österreich nach der VO (EG) 883/2004 nicht zur Gewährung von Pflegegeld zuständig sei.
[7] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten nicht beantwortete Revision des Klägers, mit der dieser die Stattgebung der Klage anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[9] Die Revision argumentiert, dass der Kläger in Österreich krankenversichert sei und in keinem anderen Mitgliedstaat der Union eine Krankenversicherung existiere. Der Kläger sei daher anspruchsberechtigt gemäß § 3a Abs 1 BPGG. Auch eine Mitversicherung in der Krankenversicherung und die damit verbundene Leistungsverpflichtung führe zur Zuständigkeit Österreichs. Dem kommt keine Berechtigung zu:
[10] 1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger nicht anspruchsberechtigt gemäß § 3 Abs 1 BPGG ist, weil er keine der dort genannten Grundleistungen bezieht, ist zutreffend und wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt.
[11] 2.1 Auf den Anspruch des Klägers ist daher § 3a BPGG anwendbar. Unstrittig hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist infolge seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts österreichischen Staatsbürgern gemäß § 3a Abs 2 Z 3 BPGG gleichgestellt.
[12] 2.2 Weitere – negative – Anspruchsvoraussetzung gemäß § 3a Abs 1 BPGG ist, dass nicht ein anderer Mitgliedstaat nach der VO (EG) 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist. Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Verordnung ist im vorliegenden Fall unstrittig eröffnet. Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach § 3a Abs 1 BPGG sind nach ständiger Rechtsprechung allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff VO (EG) 883/2004 heranzuziehen (RS0131205).
[13] 2.3 Der Kläger geht als Pensionist keiner Beschäftigung nach. Nach der allgemeinen Regelung des Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 wäre für den Kläger Österreich dann als Wohnmitgliedstaat zuständig, wenn dem nicht anders lautende Bestimmungen der Verordnung entgegenstehen.
[14] 2.4 Eine Leistung bei Krankheit, wie das Pflegegeld nach dem BPGG, zählt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den in Art 19 Abs 1 lit a der VO (EWG) 1408/71 genannten Geldleistungen (EuGH C‑215/99 , ECLI:EU:C:2001:139, Jauch, Rn 35). Es ist daher auch als Geldleistung im Sinn der Art 21 ff VO (EG) 883/2004 anzusehen. Nach Art 29 Abs 1 iVm Art 21 VO (EG) 883/2004 ist für die Gewährung von Pflegegeld an Pensionisten (Rentner) mit einer Pension (Rente) eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union in der Regel daher der pensionsauszahlende Staat und nicht der Wohnmitgliedstaat zuständig (10 ObS 123/16k SSV‑NF 31/9; Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld4 Rz 3.46).
[15] 3.1 Geldleistungen (bei Krankheit) werden einer Person, die eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erhält, gemäß Art 29 Abs 1 VO (EG) 883/2004 vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gewährt, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat.
[16] 3.2 Die Mitversicherung des Klägers als Angehöriger nach dem ASVG vermittelt diesem keinen eigenen oder abgeleiteten Anspruch auf Leistungen der österreichischen Krankenversicherung; der Anspruch steht vielmehr dem Versicherten selbst für sich und seine Angehörigen zu. Die Angehörigen selbst können Leistungen aus der Krankenversicherung – abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmefällen – nicht beanspruchen (10 ObS 305/99x SSV‑NF 13/145; Windisch‑Graetz in SV‑Komm [284. Lfg] § 123 ASVG Rz 1 mwH).
[17] 3.3 Den zuständigen Staat für Rentenbezieher, die – wie der Kläger – keinen Anspruch auf (Sach‑)Leistungen bei Krankheit oder Mutterschaft nach dem Recht ihres Wohnmitgliedstaats besitzen, jedoch nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften sie eine Rente (Pension) beziehen, solche Leistungen erhalten könnten, wenn sie dort wohnten, bestimmt Art 24 VO (EG) 883/2004 (Janda in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 24 VO [EG] 883/2004 Rz 1). Dies ist nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen die Slowakei, weil der Kläger eine Invaliditätspension nach slowakischem Recht bezieht (Statut der Rentenleistung; vgl Art 24 Abs 1 und Abs 2 lit a VO [EG] 883/2004; 10 ObS 34/20b SSV‑NF 34/43; Janda in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 24 VO [EG] 883/2004 Rz 3 und Vorbem Art 23 ff VO [EG] 883/2004 Rz 8 lit b). Auf das tatsächliche Bestehen einer Krankenversicherung in der Slowakei – mangels ständigen Wohnsitzes in der Slowakei (vgl die Länderinformation der Europäischen Kommission, Slowakei, https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1127&langId=de&intPageId=4772; abgerufen am 20. 4. 2022) – kommt es daher, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, nach der hier ausschließlich kollisionsrechtlich vorzunehmenden Beurteilung nicht an.
[18] 4. Der vom Kläger ins Treffen geführte Sachverhalt der Entscheidung 10 ObS 101/18b SSV‑NF 33/8 ist schon deshalb nicht vergleichbar, weil die damalige Klägerin nicht Bezieherin einer Rente (Art 1 lit w VO [EG] 883/2004) war, sodass die Sonderkoordinierungsvorschriften der Art 23 ff VO (EG) 883/2004 auf sie nicht anwendbar waren. Sie war überdies über ihren Ehegatten, der in Spanien selbständig erwerbstätig war, in Spanien in der Krankenversicherung mitversichert und bezog Sachleistungen in Österreich nur im Rahmen der Sachleistungsaushilfe (Art 17 VO [EG] 883/2004).
[19] Da Österreich nicht im Sinn des § 3a Abs 1 BPGG zur Gewährung von Pflegeleistungen international zuständig ist, hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung von Pflegegeld mangels Anspruchsberechtigung zu Recht verneint.
[20] Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[21] Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ist eine Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn der § 2 Abs 1 ASGG, § 502 Abs 1 ZPO abhängig, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen (RS0085871). Für ein Rechtsmittel gebührt aber gemäß § 23a RATG nur ein ERV‑Zuschlag von 2,10 EUR, weil es sich dabei nicht um einen verfahrenseinleitenden Schriftsatz handelt (10 ObS 91/17f SSV‑NF 31/44 mwH).
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