European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00023.22P.0329.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger unterzog sich am 18. 6. 2018 im selbständigen Ambulatorium der A* GmbH einer beidseitigen Blepharoplastik. Dabei handelt es sich um eine operative Augenlidstraffung, die ambulant durchgeführt wurde. Der Kläger bezahlte dafür 1.550 EUR und reichte die Honorarnote bei der Tiroler Gebietskrankenkasse ein, deren Rechtsnachfolgerin die beklagte Österreichische Gesundheitskasse ist.
[2] Die A* GmbH steht in keiner Vertragsbeziehung zur Tiroler Gebietskrankenkasse und wird auch nicht über den Landesgesundheitsfonds finanziert. Die Tiroler Gebietskrankenkasse hat auch keine Verträge über die ambulante Blepharoplastik mit anderen selbständigen Ambulatorien, privaten oder öffentlichen Krankenanstalten abgeschlossen.
[3] Mit Bescheid vom 25. 2. 2019 gewährte die Tiroler Gebietskrankenkasse dem Kläger nach § 41 ihrer Satzung einen Ambulanzkostenzuschuss von 32,91 EUR, verweigerte aber eine darüber hinausgehende Kostenerstattung.
[4] Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger eine Kostenerstattung von 470,42 EUR sA.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil eine Kostenerstattung nach § 131 Abs 1 ASVG voraussetze, dass die jeweilige Leistung von Vertragspartnern der Beklagten angeboten und nach vertraglich vereinbarten Tarifen abgerechnet werde, was hier aber nicht der Fall sei. Die Ansprüche des Klägers würden sich deshalb nach § 41 der Satzung der Tiroler Gebietskrankenkasse auf den bereits ausgezahlten Ambulanzkostenzuschuss beschränken.
[6] Das vom Kläger angerufene Berufungsgerichthob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, weil das Erstgericht nicht festgestellt habe, ob solche ambulanten Leistungen in über den Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalten angeboten werden und welche Kosten dem Landesgesundheitsfonds dafür verrechnet werden. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[7] Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
[8] Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
[10] 1. Das Rekursverfahren betrifft die Frage, ob der Versicherte für eine Krankenbehandlung, die von den Vertragsärzten oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers nicht angeboten wird, eine Kostenerstattung nach den Tarifen des Landesgesundheitsfonds oder (bloß) einen Kostenzuschuss nach der Satzung der Versicherungsträger beanspruchen kann.
[11] 2. Im Rahmen der Krankenversicherung besteht für den Versicherten keine Verpflichtung, in erster Linie vom System der Vertragsärzte und Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers Gebrauch zu machen (RS0084811). Nimmt der Versicherte nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers in Anspruch, so gebührt ihm nach § 131 Abs 1 ASVG der Ersatz der Kosten der Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre.
[12] 3. Der Grundgedanke dieser Regelung ist es, dass der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt in Anspruch genommen hätte (RS0073064). Die Höhe der Kostenerstattung nach § 131 Abs 1 ASVG richtet sich nach dem vertraglich vereinbarten Tarif und setzt deshalb notwendig voraus, dass die in Rede stehende ärztliche Leistung auch von Vertragspartnern des Versicherungsträgers im Rahmen eines Vertragsverhältnisses erbracht und seitens des Versicherungsträgers honoriert werden hätte können. Die Leistung muss also Gegenstand eines Vertragsverhältnisses sein (10 ObS 231/03y = SSV‑NF 17/116). Handelt es sich dagegen um Leistungen, die nicht Gegenstand eines Vertragsverhältnisses sind und für die daher keine Vertragsärzte zur Verfügung stehen, so kann § 131 Abs 1 ASVG nicht zur Anwendung kommen (RS0084810).
[13] 4. Im Sinne dieser Gesetzesstelle sind „entsprechende Vertragspartner“ freilich nicht nur Vertragsärzte, sondern auch Krankenanstalten, insbesondere Ambulatorien (RS0084817). Die Beklagte wendet sich aber mit Recht gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass auch Krankenanstalten, die über den Landesgesundheitsfonds finanziert werden, Vertragspartner im Sinne von § 131 Abs 1 ASVG seien.
[14] 5. Ambulante Leistungen von über den Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalten werden nach § 27b Abs 3 KAKuG vom Landesgesundheitsfonds nach dem Bepunktungsmodell für den spitalsambulanten Bereich (LKF‑ambulant) abgegolten, wobei die Tarife von der Landesgesetzgebung oder dem Landesgesundheitsfonds festgelegt werden. Der Landesgesundheitsfonds wird durch Pauschalbeiträge der Sozialversicherungsträger nach § 447f Abs 1 ASVG, aber auch durch Pensions- und Krankenversicherungsbeiträge nach § 447f Abs 3 Z 3 ASVG finanziert. Unmittelbare vertragliche Zahlungsansprüche solcher Krankenanstalten gegenüber den Versicherungsträgern sind nach § 148 Z 10 ASVG ausgeschlossen.
[15] 6. Krankenanstalten, die über den Landesgesundheitsfonds finanziert werden, sind schon deshalb keine „entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers“ nach § 131 Abs 1 ASVG, weil zwischen diesen Krankenanstalten und den Sozialversicherungsträgern nach § 148 Z 10 ASVG gerade keine vertraglichen Tarifvereinbarungen bestehen. Darüber hinaus haben die Versicherungsträger keinen Einfluss auf die für solche Krankenanstalten geltenden Tarife, die nach § 27b Abs 3 KAKuG von der Landesgesetzgebung oder dem Landesgesundheitsfonds festgelegt werden, weshalb eine Bindung der Versicherungsträger an diese Tarife den Absichten des Gesetzgebers widersprechen würde.
[16] 7. § 131b Abs 1 ASVG sieht nämlich ausdrücklich vor, dass dann, wenn andere Vertragspartner infolge Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung stehen, der Versicherungsträger das Ausmaß der Kostenzuschüsse unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten in seiner Satzung festzusetzen hat. Diese Satzungen sind Rechtsverordnungen, die im Rahmen der Selbstverwaltung der Krankenversicherungsträger erlassen werden (RS0053701). Der Gesetzgeber hat daher von verbindlichen Vorgaben abgesehen und statt dessen die Festsetzung der Höhe des Kostenzuschusses der eigenen Verantwortung der Versicherungsträger überlassen (RS0106241).
[17] 8. In diesem Sinne bestimmt § 41 der Satzung der Tiroler Gebietskrankenkasse, dass Versicherten, die eine ambulante Krankenbehandlung in Anspruch genommen haben, hinsichtlich der keine vertraglichen Regelungen bestehen, ein Ambulanzkostenzuschuss von höchstens 80 % der zum 31. 12. 1996 geltenden Ambulanztarife mit der nächstgelegenen geeigneten öffentlichen Krankenanstalt gebührt. Da dem Kläger der in § 41 der Satzung der Tiroler Gebietskrankenkasse vorgesehene Kostenzuschuss bereits ausbezahlt wurde, kann er keine weiteren Ansprüche geltend machen.
[18] 9. Auf eine darüber hinausgehende Leistungszusage der Beklagten ist der Kläger in seiner Berufung nicht mehr zurückgekommen, weshalb allfällige sich daraus ergebende Ansprüche im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen sind.
[19] Damit erweist sich die Sache als spruchreif, weshalb dem Rekurs der Beklagten aus den angeführten Gründen Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO in der Sache selbst zu erkennen ist.
[20] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Der Kläger hat in seiner Berufung nur auf die Komplexität der Rechtslage verwiesen, aber keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten.
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