OGH 10ObS7/22k

OGH10ObS7/22k29.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Thunhart sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Martin Salcher und Mag. Richard Salzburger, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Rückforderung der Witwerpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. November 2021, GZ 23 Rs 23/21 k‑31, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00007.22K.0329.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Nach dem Tod seiner damaligen Ehefrau wurde Dr. G* mit Bescheid vom 6. 4. 1995 eine Witwerpension zuerkannt, wobei er in einem dem Bescheid beigelegten Informationsblatt darauf hingewiesen wurde, dass eine neuerliche Eheschließung zu melden ist. Am 4. 7. 1996 schloss er mit der Klägerin die Ehe, was er aber der Beklagten bis zu seinem Tod am 4. 6. 2017 nicht meldete. Die Klägerin gab im Verlassenschaftsverfahren nach Dr. G* eine bedingte Erbantrittserklärung ab, woraufhin ihr die Verlassenschaft am 14. 9. 2017 zur Gänze eingeantwortet wurde.

[2] Mit Bescheid vom 6. 2. 2019 sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt aus, dass der Anspruch auf Witwerpension infolge der neuerlichen Eheschließung am 4. 7. 1996 erloschen sei, die Leistungen von 1. 8. 1998 bis 4. 6. 2017 zu Unrecht bezogen worden seien und die Klägerin als eingeantwortete Erbin für den Überbezug von 160.306,15 EUR hafte.

[3] Die Klägerin begehrt mit ihrer dagegen erhobenen Klage die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe, wobei sie insbesondere ihre Passivlegitimation bestreitet. Nachdem das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben hatte, hob das Berufungsgericht dieses Urteil mit der Begründung auf, dass ein Rückersatzanspruch gegen die Klägerin nach § 107 Abs 5 ASVG nur insoweit bestehe, wie sie selbst Leistungen nach § 107a ASVG bezogen habe, was aber nicht festgestellt worden sei, weshalb die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Ausgehend von dieser Rechtsansicht stellte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang fest, dass der Klägerin eine Witwerpensionsabfertigung von 17.114,65 EUR gebühre, weshalb der darüber hinausgehende Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht zu Recht bestehe.

[4] Im zweiten Rechtsgang änderte das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht dieses Urteil dahin ab, dass es einen Rückforderungsanspruch der Beklagten von 160.306,15 EUR feststellte und die Klägerin unter Berücksichtigung ihres Anspruchs auf Witwerpensionsabfertigung zur Zahlung von 143.191,50 EUR verpflichtete. Das Berufungsgericht begründete das Abweichen von der im Aufhebungsbeschluss geäußerten Rechtsansicht damit, dass sich aus einer zwischenzeitlich veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (10 ObS 86/21a) ergeben habe, dass der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger des Versicherten jedenfalls für die zu Unrecht vereinnahmten Hinterbliebenenpensionsbeträge hafte.

[5] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Nach § 107 Abs 1 ASVG hat der Sozialversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Leistungsempfänger den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften des § 40 ASVG herbeigeführt hat. Durch die mit der Einantwortung verbundene Universalsukzession setzt die Klägerin die Person des Erblassers fort und haftet deshalb für die Verbindlichkeiten des Verstorbenen (RS0038441). Die bedingte Erbantrittserklärung steht einer Verurteilung der Klägerin nicht entgegen, weil sie die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft nach § 802 ABGB nicht eingewendet hat (RS0013017). Wohl aber beruft sich die Klägerin auf die Haftungsbeschränkung nach § 107 Abs 5 ASVG.

[7] 2. Dazu ist auszuführen, dass § 107 Abs 5 ASVG idF der 29. ASVG‑Novelle, BGBl 1973/31, noch vorsah, dass der Rückersatzanspruch im Fall des Todes des Anspruchsberechtigten „nur“ gegen die damals in § 108 ASVG genannten Personen, nämlich den Ehegatten und andere nahe Verwandte, geltend gemacht werden konnte, soweit sie selbst Leistungen bezogen haben. Damit war ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Verlassenschaft ausgeschlossen, weil man die Erben vor Rückforderungsansprüchen der Sozialversicherungsträger schützen wollte (ErläutRV 404 BlgNR 13. GP  84).

[8] 3. Mit der 35. ASVG‑Novelle, BGBl 1980/585, hat der Gesetzgeber den Ausschluss des Rechts auf Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gegenüber der Verlassenschaft und des Erben aber wieder beseitigt (ErläutRV 535 BlgNR 15. GP  21). Nach § 107 Abs 5 ASVG idgF besteht das Recht des Sozialversicherungsträgers auf Rückforderung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen im Falle des Todes des Anspruchsberechtigten gegenüber „allen Personen“, die zum Bezug noch nicht erbrachter Leistungen berechtigt sind, soweit sie eine der im § 107a Abs 1 bezeichneten Leistungen bezogen haben, wobei dort ausdrücklich auch „die Verlassenschaft nach dem Versicherten bzw dessen Erben“ genannt werden.

[9] 4. Der Oberste Gerichtshof hat deshalb bereits zu 10 ObS 163/87 (SSV‑NF 2/100) darauf hingewiesen, dass § 107 Abs 5 ASVG idgF keine abschließenden erbrechtlichen Sonderregelungen enthält, sondern der Rückforderungsanspruch des Sozialversicherungsträgers gegen den Versicherten in den Nachlass fällt. Dementsprechend verpflichtete der Oberste Gerichtshof am 29. 7. 2021 zu 10 ObS 86/21a eine Erbin zur Rückzahlung der vom Verstorbenen zu Unrecht bezogenen Witwerpension. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit welcher die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns zum Rückersatz der zu Unrecht vereinnahmten Pensionsleistungen verpflichtet wurde, ist daher von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung gedeckt.

[10] 5. Das Berufungsgericht war zwar an seine im Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht gebunden, doch bildet das Abweichen von dieser Rechtsansicht keinen Revisionsgrund, weil die nunmehrige Rechtsansicht des Berufungsgerichts richtig ist (RS0042173; RS0042181). Die Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, welches zusätzliche oder andere Vorbringen sie aufgrund der von ihr nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RS0037095 [T5]).

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