OGH 9ObA28/22s

OGH9ObA28/22s24.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sabrina Langer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. J*, vertreten durch Stögerer Preisinger Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2022, GZ 7 Ra 73/21p‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00028.22S.0324.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Charakter des Arbeitsverhältnisses als synallagmatisches Dauerschuldverhältnis bedingt, dass der die weitere Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers voraussetzende Fortsetzungsanspruch nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden kann. Nach der Rechtsprechung bedingt das Klarstellungsinteresse des Dienstgebers am Bestand oder Nichtbestand des Dienstverhältnisses eine Aufgriffsobliegenheit des Dienstnehmers, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses ohne Aufschub gegenüber dem Dienstgeber geltend zu machen. Zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ist ein angemessener, zur Erkundung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen (RS0028233 [T6]).

[2] 2. Mangels einer gesetzlichen Frist ist die zeitliche Grenze unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung bzw als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Die bloße Nichtgeltendmachung durch längere Zeit dokumentiert für sich allein in der Regel noch keinen Verzicht. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen (9 ObA 322/99i mwN). Es kommt aber nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der Arbeitnehmer triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann (RS0034648).

[3] 3. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass es keine fixen Fristen gibt (9 ObA 12/13z ua). Auch die Annahme einer Höchstfrist von sechs Monaten zur Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs, wie dies teilweise in der Lehre vertreten wird, wurde abgelehnt (8 ObA 190/01a). Das Ausmaß der Frist kann unter Abwägung des Klarstellungsinteresses des Dienstgebers und der Schwierigkeiten für den Dienstnehmer, seinen Anspruch geltend zu machen, vielmehr nur nach den Umständen des Einzelfalls bemessen werden (9 ObA 12/13z; vgl auch RS0119727).

[4] 4. Nach der Rechtsprechung ist eine während eines Kündigungsanfechtungsverfahrens ausgesprochene Eventualkündigung grundsätzlich zulässig (vgl RS0028418 [T4, T6] ua). Es handelt sich dabei um eine Kündigung unter einer Rechtsbedingung, die zu keiner unzumutbaren Ungewissheit für den Dienstnehmer führt. Vielmehr verdeutlichte die vom Dienstgeber ausgesprochene zweite Kündigung seinen Standpunkt, das Arbeitsverhältnis endgültig beenden zu wollen, also auch für den Fall, dass der Dienstnehmer im Verfahren über die Wirksamkeit der vorangehenden Kündigung obsiegen sollte.

[5] Dass eine Eventualkündigung nur Rechtswirksamkeit entfaltet, wenn eine vorhergehende Beendigungserklärung als unwirksam angesehen wird, ergibt sich daraus, dass ein bereits beendetes Arbeitsverhältnis nicht gekündigt werden kann. Eine Eventualkündigung beendet dementsprechend das Dienstverhältnis für den Fall, dass es nicht ohnehin durch eine frühere Erklärung zu einem früheren Zeitpunkt beendet wurde, zum in ihr genannten Endtermin. Auch bei einer Eventualkündigung besteht daher ein unmittelbares Klarstellungsinteresse des Dienstgebers daran, ob der Dienstnehmer eine Unwirksamkeit auch dieser Erklärung und damit die Fortdauer des Dienstverhältnisses über den in der Eventualkündigung genannten Zeitpunkt hinaus geltend macht. Dagegen gibt es für den Dienstnehmer keinen Grund mit einer Geltendmachung seines Anspruchs bis zur Beendigung eines Vorverfahrens über die vorangehende Kündigung zuzuwarten. So entspricht es auch im Zusammenhang mit Kündigungsanfechtungen nach §§ 105f ArbVG ständiger Rechtsprechung, dass dem Dienstnehmer, der von vornherein den Standpunkt vertritt, die erste Kündigung könne – wegen ihrer Anfechtbarkeit – keinen Bestand haben, es auch keineswegs unzumutbarsei, in den Fällen einer unbedenklichen Eventualkündigung ebenso die gesetzliche Klagefrist einzuhalten wie auch sonst bei der Kündigungsanfechtung (9 ObA 89/04k ua). Dies trifft sinngemäß auch auf die Geltendmachung des Anspruchs auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses zu.

[6] 5. Allein der Umstand, dass bei Ausspruch der Eventualkündigung ein Verfahren über den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses anhängig ist, und damit ihre Wirksamkeit vom Ausgang des Verfahrens abhängig ist, begründet demnach kein Interesse des Dienstnehmers, mit der Geltendmachung seines Anspruchs zuzuwarten. Soweit der Kläger damit argumentiert, dass sein Obsiegen im Vorverfahren „Bedingung“ für die Kündigung war, entspricht das, wie dargelegt dem Wesen der Eventualkündigung.

[7] 6. Die Eventualkündigung wurde dem Kläger während des Vorverfahrens, in dem er anwaltlich vertreten war, zugestellt und auch seiner Anwältin zur Kenntnis gebracht. Er hat nach den Ausführungen des Berufungsgerichts im Vorverfahren selbst auf diese Kündigung hingewiesen, ohne näher zu deren (Un‑)Wirksamkeit Stellung zu nehmen. Dennoch hat er die Unwirksamkeit der Eventualkündigung erstmals zehn Monate nach ihrem Ausspruch und sieben Monate nach dem darin genannten Endtermin des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Auch in der Revision nennt er keine Gründe, die ihn gehindert haben, früher tätig zu werden. Vor diesem Hintergrund hält sich die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass ausgehend von den dargestellten Grundsätzen der Kläger seine Aufgriffsobliegenheit verletzt hat, im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[8] 6. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht das Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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