OGH 3Ob224/21v

OGH3Ob224/21v23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH & Co KG, 2. P* GmbH, *, beide vertreten durch Mag. Christian Schrott, Rechtsanwalt in Salzburg, und ihre Nebenintervenientin Dr. M*, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 36.540,72 EUR sA und Feststellung, über den „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2021, GZ 1 R 127/21h‑27, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. Juli 2021, GZ 14 Cg 14/21b‑21, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00224.21V.0223.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurswird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte ist Trägerin und Betreiberin einer Privatklinik; die Zweitbeklagte ist die einzige unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten. Die Privatklinik ist keine gemeinnützige Krankenanstalt mit Öffentlichkeitsrecht. Die Nebenintervenientin ist Fachärztin für Allgemein‑ und Gefäßchirurgie und betreibt eine Privatordination. Im Jahr 2018 war sie in der Privatklinik als Belegärztin tätig.

[2] Im Juni 2018 wendete sich der Kläger wegen einer von ihm gewünschten Operation an die Nebenintervenientin. Beim Erstgespräch am 22. Juni 2018 in der Ordination der Nebenintervenientin wurde der 28. August 2018 als Operationstermin vereinbart; der Kläger sollte sich an diesem Tag um 7:00 Uhr in der Privatklinik einfinden. Bei diesem Erstgespräch erwähnte die Nebenintervenientin weder das Wort „Belegarzt“ noch erklärte sie dem Kläger das Belegarztsystem; sie teilte ihm nur mit, dass sie ihn in der Privatklinik operieren werde. Zuvor hatte sie schon die Frau des Klägers in einem anderen (Beleg‑)Spital als Belegärztin operiert.

[3] Am Ende des Erstgesprächs gab die Nebenintervenientin dem Kläger einen Folder der Privatklinik mit. Darin heißt es unter anderem:

„Wir bieten Belegärzten ein perfektes Umfeld zur optimalen medizinischen Versorgung ihrer Patienten im Krankenhaus. […] In der [Privatklinik] erwartet Patienten individuelle medizinische Betreuung durch Fachärzte ihres Vertrauens. […]

Die [Privatklinik] ist eine Einrichtung mit Belegarzt-System. Die freie Arztwahl sehen wir als zentrales Qualitätskriterium unserer medizinischen Betreuung. […]

Eine Vielzahl ausgezeichneter Mediziner behandelt und operiert an der [Privatklinik]. […]

Ergänzend zu den behandelnden Fachärzten steht rund um die Uhr ein eingespieltes, erfahrenes Team an Allgemeinmedizinern, Anästhesisten und Konsiliarärzten zur Verfügung. [...]“

[4] Der Kläger las sich diesen Folder jedoch nicht durch, sondern achtete nur auf die darin genannte Adresse der Privatklinik. Er wollte gerade von der Nebenintervenientin operiert werden.

[5] In der Privatklinik gibt es drei angestellte Ärzte, und zwar einen Anästhesisten und zwei Allgemeinmediziner. Darüber hinaus sind insgesamt etwa 35 Belegärzte in der Privatklinik tätig. Wenn ein Belegarzt in der Privatklinik operiert, übernimmt diese die Beherbergung und stellt Anästhesiearzt, Anästhesiepflege, Operationspersonal und Operationsassistenz zur Verfügung; weiters übernimmt sie Pflege, Reinigung und Versorgung.

[6] Am 28. August 2018 kam der Kläger in die Privatklinik. Im Zuge der Aufnahme wurde ihm neben einer Erklärung, wonach er darüber aufgeklärt worden sei, dass er sich in einer privaten Krankenanstalt befinde und ihm alle nicht durch Sozial- oder Privatversicherung gedeckten Kosten in Rechnung gestellt würden, auch folgende Vereinbarung mit dem Logo der Privatklinik zur Unterfertigung vorgelegt:

„Die unterfertigten Vertragsteile halten fest, dass die [Privatklinik] von der Behandlung des frei gewählten Arztes auch vollkommen getrennte Leistungen erbringt, nur für diese Leistung haftet und daraus ein vom Honorar des frei gewählten Arztes vollkommen gesonderter Entgeltanspruch entsteht. [...]“

[7] Der Kläger unterschrieb die ihm vorgelegten Unterlagen, ohne sie zu lesen. Es kann nicht festgestellt werden, ob jemand den Inhalt der Vereinbarung mit dem Kläger besprach.

[8] Noch am Tag der Aufnahme des Klägers wurde der Eingriff durchgeführt. Die Nebenintervenientin hatte dabei – wie üblich – keinen Einfluss auf die Auswahl des Anästhesisten. Das Ergebnis der Operation war für den Kläger nicht zufriedenstellend; es kam auch zu einer Wundheilungsstörung. Deswegen erfolgte am 21. November 2018 eine Nachoperation durch die Nebenintervenientin. Aufgrund eines nach dem zweiten Eingriff aufgetretenen Seroms führte die Nebenintervenientin am 6. Dezember 2018 noch eine Nekrosektomie durch. Auch die beiden Folgeoperationen fanden in der Privatklinik statt.

[9] Der Kläger begehrt von den Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes den Betrag von 36.540,72 EUR sA an Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Fahrtkosten und pauschalen Spesen, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus den drei Operationen. Die Operation vom 28. August 2018 sei nicht lege artis durchgeführt worden. Es sei dabei ein Narkosefehler passiert. Der für die Erstbeklagte tätige Anästhesist habe eine falsche Anästhesiemethode gewählt. Bei ordnungsgemäßer Durchführung der ersten Operation wären die Folgeoperationen nicht notwendig gewesen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er der (Erst‑)Operation nicht zugestimmt. Er habe mit der Erstbeklagten einen Behandlungsvertrag geschlossen, weshalb sie für den Anästhesisten hafte.

[10] Die Beklagten wendeten insbesondere ihre mangelnde Passivlegitimation ein. Aus der dem Kläger bei der Aufnahme in der Privatklinik vorgelegten Vereinbarung sei klar ersichtlich, dass die Klinik als Belegkrankenhaus nur die Räumlichkeiten und die stationäre Versorgung zur Verfügung stelle, während der Eingriff an sich und die Behandlungsdurchführung im alleinigen Verantwortungs-bereich des behandelnden Arztes liege. Es liege daher ein gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag vor, und die Operation sei nur von der Nebenintervenientin geschuldet gewesen.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Beim hier vorliegenden gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag beschränke sich der Vertrag mit dem Krankenhausträger auf die Unterbringung, Verpflegung und pflegerische Versorgung, während die ärztlichen Leistungen aufgrund eines besonderen Vertrags mit dem Arzt erbracht würden. Dem Belegarzt werde vom Belegspital grundsätzlich auch die Mitwirkung von nachgeordneten Ärzten, Schwestern und Pflegern zugesagt. Soweit dies der Fall sei, unterstünden diese Personen im Rahmen der Behandlung des Patienten, jedenfalls aber im Zug einer vom Belegarzt vorgenommenen Operation, den Weisungen und Anordnungen des Belegarztes. Der Anstaltsträger hafte daher nicht für Fehler, die dem Belegarzt oder den – ihm als Erfüllungsgehilfen iSd § 1313a ABGB zuzurechnenden – Mitgliedern seines Operationsteams während der Operation unterlaufen.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die Beantwortung der Frage, für welche Personen der Träger eines Belegspitals einzustehen habe, richte sich danach, wozu er sich im Krankenhausaufnahmevertrag mit dem Patienten verpflichtet habe. Die Haftung der Beklagten hänge somit von der Auslegung der mit dem Kläger geschlossenen Vereinbarung ab. Ein redlicher und verständiger Mensch in der Situation des Klägers habe bei objektiver Beurteilung der Sachlage nicht von einem „totalen“ Krankenhausaufnahmevertrag ausgehen können, weil der ihm vorgelegten Vereinbarung eine Aufgabenteilung im Sinn der Aufspaltung der Leistungspflichten zwischen der Privatklinik und der Nebenintervenientin zweifelsfrei zu entnehmen sei. Damit habe die Erstbeklagte klar zum Ausdruck gebracht, dass die Operation durch die Nebenintervenientin nicht von ihren Leistungen erfasst sei und dass sie dafür nicht hafte. In Bezug auf die Anästhesie enthalte die Vereinbarung hingegen keinen Hinweis, ob diese von den Leistungen der Privatklinik erfasst sei und ob Fehlleistungen des in der Privatklinik angestellten Anästhesisten auch oder ausschließlich der Privatklinik oder dem jeweiligen Belegarzt zugerechnet würden. Es komme darin auch nicht zum Ausdruck, dass es sich bei der Privatklinik um ein Belegkrankenhaus handle, das ausschließlich die Räumlichkeiten und die stationäre Versorgung zur Verfügung stelle, aber keine ärztlichen Leistungen. Der Haftungsausschluss der Privatklinik sei vielmehr nur für die „Behandlung des frei gewählten Arztes“ formuliert worden. Der in der Privatklinik angestellte Anästhesist, den diese der Nebenintervenientin für die Operation des Klägers zur Verfügung gestellt habe, sei aber bei objektiver Beurteilung durch einen redlichen und verständigen Menschen kein „frei gewählter Arzt“. Damit habe die Erstbeklagte den Leistungsumfang und die Haftungsgrenze in Bezug auf ihren Anästhesisten nicht zweifelsfrei bestimmt. Werde nichts Gegenteiliges vermittelt, gehe ein Patient typischerweise nicht davon aus, dass die Anästhesie in die (ausschließliche) Leistungspflicht und Verantwortlichkeit des Belegarztes aus einem ganz anderen Fachgebiet falle, insbesondere wenn er in einer Privatklinik operiert werde, in der ein Anästhesist angestellt sei. Da der Kläger weder von der Nebenintervenientin darauf hingewiesen worden sei, dass sie (selbst) den Anästhesisten der Privatklinik der Operation beiziehen werde, noch die Privatklinik erklärt habe, dass sie für Fehler des bei ihr angestellten Anästhesisten nicht hafte, habe er annehmen dürfen, dass der Krankenhausaufnahmevertrag auch die Unterstützung der von ihm frei gewählten Ärztin durch den Anästhesisten bei der Durchführung der Operation beinhalte. Folglich hafteten die Beklagten zwar nicht für allfällige Behandlungs‑ oder Aufklärungsfehler der Nebenintervenientin, sehr wohl aber für allfällige Fehler des Anästhesisten als ihres Erfüllungsgehilfen. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht daher zu klären haben, ob die behaupteten Behandlungs- und Aufklärungsfehler (gemeint: des Anästhesisten) tatsächlich vorlägen.

[13] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu, weil nicht auszuschließen sei, dass seine Entscheidung in einem korrekturbedürftigen Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung 9 Ob 9/20v, stehe.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Rekurs der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[15] 1.1. Ein Belegarzt ist in der Regel ein freiberuflicher Arzt, der in keinem Arbeitsverhältnis zum Rechtsträger des Krankenhauses steht und dem von diesem das Recht gewährt wird, seine Patienten in diesem Spital unter Inanspruchnahme der hiefür beigestellten Räume und Einrichtungen zu behandeln. Er ist befugt, diese Patienten im Belegspital zu operieren und, solange eine stationäre Behandlung erforderlich ist, dort nachzubehandeln beziehungsweise vom Spitalspersonal betreuen zu lassen (RS0112629 [T5]). Aufgabe des Belegspitals ist es hingegen, den Patienten unterzubringen, zu verpflegen und die für die Durchführung der stationären Behandlung des Patienten durch den Belegarzt erforderlichen Hilfen zur Verfügung zu stellen, soweit dies nicht der Belegarzt selbst besorgt. Die im Belegarztvertrag erkennbare Aufgabenteilung führt gegenüber dem Patienten zu einer entsprechenden Aufspaltung der Leistungspflichten des Belegarztes einerseits und des Belegspitals andererseits (RS0112629 [T6]).

[16] 1.2. Wird ein Patient in ein Krankenhaus stationär aufgenommen und heilbehandelt, schließt er einen Krankenhausaufnahmevertrag mit dem Rechtsträger des Krankenhauses ab. Während der sogenannte „totale“ Krankenhausaufnahmevertrag ein umfassender Vertrag ist und den Krankenhausträger nicht nur zur sachgemäßen Behandlung durch das ärztliche und pflegende Personal der Krankenanstalt, sondern auch zur Pflege, Verpflegung und Beherbergung des Patienten und zur Wahrung seiner körperlichen Sicherheit verpflichtet (vgl RS0021902 [T8]), liegt beim Belegarztsystem ein sogenannter „gespaltener“ Krankenhausvertrag vor: Der Belegarzt schuldet im Rahmen des Behandlungsvertrags die Behandlung des Patienten, im Regelfall dessen Operation samt Nachbehandlung, und das Belegspital die Erbringung der damit verbundenen krankenhausspezifischen Hilfs‑ und Zusatzdienste einschließlich all dessen, was man als „Hotelkomponente“ bezeichnet (vgl RS0112629 [T7]).

[17] 2. Den Rekurswerbern ist grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass ein Belegarzt mangels anderweitiger Vereinbarung für Fehlleistungen der ihm zur Durchführung einer Operation seitens des Belegspitals zur Verfügung gestellten nachgeordneten Personen haftet, weil diese als seine Erfüllungsgehilfen tätig werden (vgl RS0112628; RS0112955), und dass er auch für das schuldhafte und schadensursächliche Verhalten aller wirtschaftlich selbständigen Ärzte einzustehen hat, die im Zuge der Operationsvorbereitung bestimmte für die Erfüllung des Behandlungsvertrags unentbehrliche ärztliche Leistungen unter seiner Oberleitung in Fragen der Operationsorganisation erbringen (vgl 1 Ob 269/99m = RS0112628 [T1] zur Haftung für eine – vom Belegarzt beigezogene – Anästhesistin).

[18] 3. Dass der Anästhesist demnach als Erfüllungsgehilfe der Nebenintervenientin anzusehen ist, schließt allerdings eine Haftung (auch) der Beklagten für den behaupteten Fehler des Anästhesisten nicht aus. Die Pflichtenkreise des Belegarztes und des Belegspitals gegenüber dem Patienten sind nämlich zwar keinesfalls inhaltlich vollständig identisch bzw kongruent, es ist aber möglich, dass sie einander schneiden (vgl 1 Ob 267/99t; 8 Ob 103/09v). Ob im Einzelfall eine solidarische Haftung sowohl des Belegarztes als auch des Krankenhausträgers zu bejahen ist, hängt hiebei stets von den konkreten Umständen ab und lässt sich daher nicht generell beurteilen (8 Ob 103/09v = RS0112628 [T4]).

[19] 4. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten nicht hinreichend klar zu entnehmen, welche konkreten Leistungen (mit Ausnahme der unmittelbaren Behandlung durch den Belegarzt) die Privatklinik erbringt. Mangels eines expliziten vertraglichen Haftungsausschlusses der Erstbeklagten für allfällige Fehler des – bei ihr angestellten – Anästhesisten haften die Beklagten aber für das Spitalspersonal nach § 1313a ABGB, und zwar auch dann, wenn dieses unter Ingerenz eines Belegarztes tätig wird (vgl Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1313a Rz 56 mwN; 8 Ob 103/09v zur [Solidar‑]Haftung des Krankenhausträgers für Fehler einer Stationsärztin im Rahmen der Nachbehandlung des vom Belegarzt operierten Patienten).

[20] 5. Die Entscheidung 9 Ob 9/20v ist hier nicht einschlägig, weil dort – anders als hier – im Informationsblatt des Belegspitals klargestellt worden war, welche konkreten Leistungen die Klinik zu erbringen hatte und für welche sie nicht einstehen wollte, insbesondere dass der Eingriff und die Behandlungsdurchführung im alleinigen Verantwortungs-bereich des Belegarztes liegen sollte.

[21] 6. Der Rekurs muss daher erfolglos bleiben.

[22] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO, hat doch das Rechtsmittel der Beklagten zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (vgl RS0035976, RS0036035).

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