OGH 8ObA102/21i

OGH8ObA102/21i22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Hawel - Eypeltauer -  Gigleitner - Huber & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 39.987,18 EUR brutto sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2021, GZ 11 Ra 63/21w‑18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 12. Juli 2021, GZ 20 Cga 23/21s‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00102.21I.0222.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.866,60 EUR (darin 311,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist seit 1999 bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Dash‑8‑Kapitän im Senioritätsrang R3. Der anzuwendende Kollektivvertrag für das Bordpersonal 2015 (kurz KV-Bord) etabliert unter dem Titel „Senioritätsreglement und Karrieremodell Piloten (SRKM-P)“ ein Senioritätsprinzip für Besetzungen, wobei für den Verwendungsbereich „Mainline“ die Senioritätsliste „M“ und für den Verwendungsbereich „Regional“ die Senioritätsliste „R“ geführt wird. Sämtliche Piloten sind in beiden Listen gereiht, in der Liste „M“ allerdings zuerst die OS-Piloten und danach die VO-Piloten, in der Liste „R“ umgekehrt zuerst die VO-Piloten und danach die OS-Piloten. Zuletzt sind auf beiden Listen die nach 1. 7. 2012 eingetretenen (NEW-)Piloten gereiht. Im Senioritätsreglement (idF 1. 5. 2018) finden sich ua folgende Bestimmungen:

62.6 Falls ein Pilot ein ihm aus dem SRKM-P zustehendes Recht nicht ausübt (zB sich auf eine Ausschreibung nach dem SRKM-P nicht bewirbt) oder auf die Ausübung dieses Rechts verzichtet, so wird ihm der hieraus eventuell entstehende Nachteil nicht abgegolten.

62.10 Wird einem Piloten mit höherer Senioritätsnummer (schlechterer Seniorität) ein Recht zugestanden, welches gemäß diesem SRKM-P einem Piloten mit niederigerer Senioritätsnummer (besserer Seniorität) zugestanden wäre ('Überholen'), so wird dieses Recht allen dabei überholten Piloten gleichsam zugestanden.

[2] Nach Punkt 2.1.2 des Zusatzprotokolls Nr 2 zum KV-Bord sind „Mainline-PIC-Positionen auf Flugzeugen der Flugzeugtypen ... Embraer E195ab 1. 8. 2016 innerhalb der Senioritätsliste 'R' auszuschreiben. Die Besetzung erfolgt aus dem Kreis der Bewerber nach aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern aus der Senioritätsliste 'R'.

[3] Mit e-Force Flight OPS Notice 2017/28 schrieb die Beklagte bis zu zehn und mit eForce Flight OPS Notice 2019/09 bis zu 20 M3-Positionen aus. Der Senioritätsrang M3 umfasst bei der Beklagten – wie der Kläger wusste – ausschließlich die (Mainline-)Flugzeugtypen Airbus A320 und Embraer E195. Zum Zeitpunkt der Bewerbung auf eine M3-Position weiß der Bewerber noch nicht, welcher Flugzeugtyp ihm im Fall einer erfolgreichen Bewerbung zugewiesen wird. Die Piloten können sich den Flugzeugtyp nicht aussuchen. Der Kläger bewarb sich auf diese Ausschreibungen nicht und erkundigte sich auch nicht, welcher Bedarf an Flugzeugtypen konkret mit diesen Ausschreibungen verbunden war. Zwei senioritätsjüngere Piloten als der Kläger hingegen bewarben sich und wurden gemäß Senioritätsliste „R“ auf M3-Positionen (Flugzeugtyp Embraer E195) befördert.

[4] Der Kläger macht – gestützt auf Punkt 62.10 des KV-Bord – mit Leistungs- und Feststellungsbegehren einen Anspruch auf ein M3-Gehalt beginnend mit 1. 7. 2018 geltend, weil er von den zwei senioritätsjüngeren Piloten „überholt“ worden sei.

[5] DieBeklagte wendet insbesondere ein, dass sich der Kläger auf keine der Ausschreibungen beworben habe.

[6] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab. Entgegen Punkt 2.1 des Zusatzprotokolls Nr 2 zum KV-Bordhätten die Ausschreibungen zwar keinen Hinweis darauf enthalten, dass die Besetzung [den Flugzeugtyp Embraer E195 betreffend] in Anwendung der Senioritätsliste „R“erfolge, sie wären dem Kläger aber dennoch offen gestanden. Da er sich nicht beworben habe, habe er nach dem Kollektivvertrag keine Ansprüche aus einem „Überholen“.

[7] Das Berufungsgerichtbestätigte diese Entscheidung. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage, ob ein „Überholen“ im Sinne des KV-Bord eine Bewerbung nur dann erfordere, wenn einem Besetzungsvorgang eine nach den kollektivvertraglichen Vorgaben korrekte Ausschreibung vorausgegangen sei, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[9] 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt ein Nachteilausgleich nach dem KV-Bord voraus, dass der zu Befördernde überhaupt die ausgeschriebene Stelle anstrebte, sich also auf die Ausschreibung hin bewarb (9 ObA 74/18z [Pkt 3.1]; 9 ObA 148/19h; 9 ObA 100/19z; 8 ObA 49/20v). Der Sinn der entsprechenden Regelung liegt nämlich in der Einhaltung des im Kollektivvertrag verankerten Senioritätsprinzips durch die Beklagte und soll eine Durchbrechung dieses Senioritätsprinzips für die Beklagte „unattraktiv“, weil mit Entgeltzahlung verbunden, machen. Hingegen kann dem Text des Kollektivvertrags – wie zu 9 ObA 74/18z klargestellt wurde – nicht die Absicht der Kollektivvertragsparteien entnommen werden, dass auch den senioritätsälteren Piloten ein finanzieller „Nachteil“ abgegolten werden soll, den diese gar nicht erlitten, weil sie sich für die ausgeschriebene Stelle, etwa mangels Interesses, nicht bewarben.

[10] 2.1 Der Kläger meint, es hätten, weil beide Ausschreibungstexte (nur) den Hinweis enthielten, dass „die Besetzung der Positionen unter Anwendung der Senioritätsliste 'M' erfolgt“, gar keine (passenden) Ausschreibungen vorgelegen.

[11] Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden:

[12] Nach den Feststellungen wird bei der Beklagten immer nur ein bestimmter Senioritätsrang und kein Flugzeugtyp ausgeschrieben und können sich alle Piloten auf jede ausgeschriebene M3-Position unabhängig davon bewerben, ob diese nach der Senioritätsliste „R“ oder „M“ besetzt wird. Zudem wäre der Kläger, wenn er sich auf die Ausschreibungen beworben hätte, den beiden anderen Piloten vorgereiht gewesen, umgeschult worden und in weiterer Folge auf die Position M3 (Flugzeugtyp Embraer E195) befördert worden.

[13] Damit steht fest, dass es Ausschreibungen gab, auf die der Kläger sich (sogar mit Erfolg) hätte bewerben können.

[14] Da der Kläger das Recht, sich auf die ausgeschriebenen Stellen zu bewerben, nicht ausgeübt hat (vgl Punkt 62.6 des KV-Bord), eine Bewerbung aber nach der Rechtsprechung Bedingung für die kollektivvertragliche Nachteilsabgeltung ist, ist die Schlussfolgerung der Vorinstanzen, dass dem Kläger keine Ansprüche aus Punkt 62.10 des KV-Bord zustehen, nicht zu beanstanden.

[15] 2.2 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Ausschreibungen den Vorgaben desKollektivvertrags entsprochen haben und sich widrigenfalls daraus ergebender Konsequenzen. Denkbar ist, dass ein potentieller Bewerber durch einen Fehler in einer Ausschreibung von einer Bewerbung abgehalten wird, etwa weil er sich wegen unvollständiger oder irreführender Angaben keine oder schlechtere Erfolgschancen ausrechnet. Aus einem solchen Sachverhalt könnte der verhinderte Bewerber allerdings nur Ansprüche auf Schadenersatz ableiten.

[16] Im Anlassfall hat der Kläger gar nicht behauptet, dass er durch eine kollektivvertragswidrige Ausschreibung an der Bewerbung gehindert worden wäre bzw sich auf eine korrekte Ausschreibung beworben hätte. Einen Schadenersatzanspruch hat ernicht geltend gemacht. Nur der Vollständigkeit halber ist daher darauf hinzuweisen, dass zu Lasten des Klägers (vgl RIS‑Justiz RS0022700 [T7]) nicht festgestellt werden konnte, dass er sich auf die Ausschreibungen beworben hätte, wenn diese konkret auf die Flugzeugtypen E195 und A320 Bezug genommen und/oder einen Hinweis darauf enthalten hätten, dass im Fall der Besetzung von E195 M3‑Positionen die Bestimmung des Punktes 2.1 des Zusatzprotokolls Nr 2 zum KV-Bord zur Anwendung gelangt.

[17] 3. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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