OGH 8ObA49/20v

OGH8ObA49/20v25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Hawel – Eypeltauer – Gigleitner – Huber & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 12.422,20 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. März 2020, GZ 12 Ra 7/20s‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00049.20V.0825.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO

zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in jüngerer Zeit bereits mehrfach zur Auslegung des Kollektivvertrags für das Bordpersonal (OS-KV 2015, im Folgenden: KV‑Bord) in Zusammenhang mit den darin vorgesehenen Senioritätslisten geäußert (8 ObA 67/16k; 8 ObA 58/17p; 9 ObA 23/18z; 9 ObA 71/18h; 9 ObA 74/18z; 9 ObA 88/19k; 9 ObA 100/19z; 9 ObA 148/19h; zum KV der vormaligen Tyrolean Airways: 8 ObA 76/10z). So ist durch höchstgerichtliche Judikatur gesichert, dass das Absehen von einer Beförderung im Sinne des Punkts 65.8 KV‑Bord im Zusammenhang mit (ua) den Bestimmungen der Punkte 62.8 („Überholen“), 62.9 („Ausschreibungen“) sowie 62.7 und 65.9.1 („Bewerbung“ bzw „Bewerber“) KV‑Bord voraussetzt, dass der zu Befördernde überhaupt die ausgeschriebene Stelle anstrebte, sich also auf die Ausschreibung hin bewarb (9 ObA 74/18z [Pkt 3.1]; vgl auch 8 ObA 67/16k [Pkt 6.4]; 9 ObA 100/19z [Pkt 2]). Wird ein Pilot aufgrund einer von ihm abgegebenen Bewerbung zu einem Zeitpunkt befördert, in welchem keine entsprechende Bewerbung eines anderen Piloten offen war, so kann letzterer daher von ersterem nicht iSd KV‑Bord „überholt“ worden sein. Die Frage, ob eine (passende) aufrechte Bewerbung des präsumtiv Überholten vorlag, ist eine Frage des Einzelfalls, deren Bedeutung – von einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung abgesehen – nicht über den entschiedenen Einzelfall hinausgeht (vgl RS0044088; RS0042405).

1.2. Im vorliegenden Fall bewarb sich der Kläger zunächst im August 2015 auf eine für den Flugzeugtyp E195 (Embraer E195) beschränkte Ausschreibung, sodann im Oktober 2015 auf eine auch den Flugzeugtyp A320 (Airbus 320) betreffende Ausschreibung. Nach den von der Beklagten den Piloten bekanntgegebenen Informationen war es bei Interesse für nur einen der beiden Flugzeugtypen und bei Vorliegen bereits einer Bewerbung für den Typ E195 ausdrücklich „nicht notwendig“, sich abermals zu bewerben. Für den Fall einer zwischenzeitlichen Änderung des Interesses ersuchte die Beklagte um Mitteilung. Aufgrund dieser Informationen ging das Berufungsgericht davon aus, dass die zweite Bewerbung des Klägers die erste ersetzt habe. Es habe die „Mitteilung eines geänderten Interesses“ in dem Sinne vorgelegen, dass die zweite Bewerbung beide Flugzeugtypen umfasst habe. Dies ist vertretbar. Dass die zweite Bewerbung in weiterer Folge dadurch unterging, dass dem Kläger von der Beklagten ein Kurs für den Flugzeugtyp A320 angeboten wurde, der Kläger diesen aber zurückwies, wird in der außerordentlichen Revision nicht konkret in Zweifel gezogen.

2.1. Der Kläger, ein VO‑Pilot, sieht sich dadurch als „überholt“, dass 18 OS-Piloten nach dem 1. 8. 2016 eine Beförderung auf den Flugzeugtyp E195 erhielten. Der Kläger leitet aus Punkt 2.1.2. des Zusatzprotokolls Nr 2 zum KV‑Bord (idF: ZP Nr 2) ab, dass seit 1. 8. 2016 alle OS‑Piloten ihm für den genannten Flugzeugtyp als VO‑Pilot nachrangig gewesen wären.

2.2. Punkt 2.1.2. ZP Nr 2 sieht vor, dass ab 1. 8. 2016 Mainline‑PIC-Positionen auf Flugzeugen unter anderem des in Rede stehenden Flugzeugtyps innerhalb der Senioritätsliste „R“ auszuschreiben sind (Satz 1) und dass die Besetzung aus dem Kreis der Bewerber nach aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern aus der Senioritätsliste „R“ erfolgt (Satz 2). Die Vorinstanzen halten zutreffend fest, dass der Besetzung eine Ausschreibung begrifflich vorangeht. Stellen, die sich zum Stichtag 1. 8. 2016 sogar bereits im Schulungsstadium befanden, können damit von Punkt 2.1.2. ZP Nr 2 nicht erfasst sein. Diese Auslegung wird auch von Punkt 1.4.10. ZP Nr 2 gestützt, wonach „alle zukünftigen Positionen zuerst den VO‑Piloten/Flugbegleitern angeboten“ werden müssen. Den Kollektivvertragsparteien kann grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechend praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, die einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen soll, sodass jene Auslegung zu wählen ist, die diesen Anforderungen am ehesten entspricht (RS0010089 [T14]). Ein Auslegungsergebnis, das zu frustrierten Ausbildungskosten führt, ist zu vermeiden. Nach den Feststellungen befanden sich aber die 18 in Rede stehenden Piloten am 1. 8. 2016 bereits für die Stelle, auf die sie sodann befördert wurden (E195) in Ausbildung. Punkt 2.1.2. ZP Nr 2 KV‑Bord ist damit nicht anwendbar.

2.3. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof die Vorläuferbestimmung zu Punkt 2.1.2. ZP Nr 2, nämlich – vgl Punkt 2.1.4. ZP Nr 2 – Punkt 70.2 KV‑Bord, wonach Mainline-PIC-Positionen auf Flugzeugen der Flugzeugtypen Bombardier C‑Series oder Embraer E195 sowohl innerhalb der Senioritätsliste „M“ als auch Senioritätsliste „R“ auszuschreiben waren (Satz 1) und die Besetzung und Nachbesetzung aller Positionen zwischen OS‑ und VO‑Piloten nach einer Quote von 2 : 1 erfolgte, in Hinsicht auf diese Quote als nichtig qualifizierte (8 ObA 67/16k [Pkt 6.3]; 9 ObA 71/18h [Pkt 1 mwH]). Dass auch ohne die Regelung des Punkts 2.1.2. ZP Nr 2 OS‑Piloten VO‑Piloten in Bezug auf Flugzeuge des Typs E195 zur Gänze nachrangig gewesen wären, hat der Kläger im Verfahren nicht behauptet. Wenn aber die Schließung der durch die Nichtigkeit von Satz 2 des Punkts 70.2 KV‑Bord entstandenen Lücke das Ergebnis bringen sollte, dass – gäbe es Punkt 2.1.2. ZP Nr 2 nicht – auch OS‑Piloten Zugang zum Flugzeugtyp hätten, wenngleich nicht mit der sachlich nicht gerechtfertigten sie bevorzugenden Quote von 2 : 1, so hat der Kläger es im Verfahren unterlassen darzutun, warum konkret er einer der 18 zum Zuge gekommenen Piloten gewesen wäre. Der Rechtsfrage, ob die Nichtigkeit ex tunc wirkt, kommt damit keine Entscheidungsrelevanz zu.

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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