European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00077.21W.0127.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs in Unterhaltssachen ist nur wegen erheblicher Rechtsfragen zulässig (RS0007204; vgl RS0053263 [T1, T9]). Die im Anlassfall vorzunehmende Unterhaltsbemessung kann auf Grundlage der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Berechnung des Restgeldunterhaltsanspruchs bei gleichwertigen Betreuungs‑ und Naturalunterhaltsleistungen der Eltern vorgenommen werden.
[2] 2. Nach dem betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell besteht ein Geldunterhaltsanspruch des Kindes nur dann nicht mehr, wenn die Betreuungsleistungen der Eltern nahezu gleichwertig und die sonstigen Naturalleistungen annähernd gleichwertig sind und zudem ihr maßgebliches Einkommen halbwegs gleich hoch ist (RS0131785).
[3] 3. Bei gleichwertigen Betreuungsleistungen und gleichwertigen sonstigen Naturalleistungen, aber unterschiedlichem Einkommen der Eltern, ist der fiktive Geldunterhaltsanspruch des Kindes gegen jeden Elternteil nach der Prozentsatzmethode zu ermitteln, die derart ermittelten Beträge sind dann unter Berücksichtigung der Transferzahlungen zu halbieren und sodann zu saldieren. Die auf diese Weise errechnete Differenz ergibt den Restgeldunterhaltsanspruch (Ergänzungsunterhaltsanspruch) des Kindes gegenüber dem besser verdienenden Elternteil. Die von diesem tatsächlich erbrachten Naturalleistungen, wie etwa Taschengeld oder Handykosten, sind vom verbleibenden Restgeldunterhalt nicht abzuziehen (RS0131786). Durch diesen Ergänzungsunterhalt soll das Kind in die Lage versetzt werden, während der Zeit der Betreuung im Haushalt des schlechter verdienenden Elternteils am höheren Lebensstandard des anderen Elternteils weiterhin teilzunehmen. Der Restgeldunterhalt (Ergänzungsunterhalt) soll damit die aus den unterschiedlichen Einkommen der Eltern resultierenden unterschiedlichen Lebensverhältnisse ausgleichen. In einem solchen Fall kommt es – trotz betreuungsrechtlichem Unterhaltsmodell – nicht zum Entfall des Geldunterhalts (RS0131786 [T2]).
[4] 4. Die Beurteilung, ob ein annähernd gleiches Einkommen vorliegt, ist jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängig (4 Ob 74/10a [Pkt 2.]; 6 Ob 11/13f; 1 Ob 9/19h [Pkt 3.1.]). Dass das Rekursgericht dabei seinen ihm zukommenden Ermessensspielraum überschritten hätte, zeigt der Revisionsrekurs der Mutter nicht auf.
[5] 5. In der Rechtsprechung wurde von einem gleich hohen Einkommen auch dann ausgegangen, wenn das Einkommen eines Elternteils das des anderen nicht beträchtlich übersteigt, wobei Unterschiede bis zu einem Drittel hinzunehmen sind (4 Ob 16/13a [Pkt 1.5.] mwN = EF‑Z 2013/115 [Gitschthaler]; 1 Ob 158/15i [Pkt 9.1.]). Als Basis dieses Vergleichs ist dabei das niedrigere Einkommen heranzuziehen, wäre doch sonst der Begriff „annähernd“ sinnentleert (Gitschthaler, Das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell bei Einkommensdifferenzen – Einige Ergänzungen zur E 1 Ob 158/15i [FN 1], EF‑Z 2016/3, 15 = Gitschthaler, Unterhaltsrecht4, Rz 98a/2). Die von dieser Richtschnur ausgehende Unterhaltsbemessung des Rekursgerichts ist daher nicht zu beanstanden. Der im Revisionsrekurs angestellte Vergleich zwischen den Begriffen „annähernd gleiches Einkommen“ und „annähernd gleichteilige Betreuung“ (vgl RS0130654) ist schon mangels unterschiedlicher Vergleichsgrundlagen hier nicht zielführend.
[6] 6. Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs der Mutter daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).
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