OGH 10ObS148/21v

OGH10ObS148/21v16.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2021, GZ 10 Rs 4/21 p‑17, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 28. September 2020, GZ 1 Cgs 23/20h‑9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00148.21V.1116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Klägerin von der Ausschlussbestimmung des Art X Abschnitt 26 dritter Satz des Amtssitzabkommens der Republik Österreich mit der IAEO (IAEO‑Amtssitzabkommen) erfasst ist und deshalb keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat.

[2] Die Klägerin ist Staatsangehörige der USA. Sie ist seit 1. 1. 2014 bei der ständigen Vertretung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei der Internationalen Atomenergie‑Organisation (IAEO) beschäftigt. In Österreich ist sie steuerpflichtig sowie krankenversichert und hat ihren Lebensmittelpunkt. Von ihrem Dienstgeber erhielt sie kein Kinderbetreuungsentgelt oder ein sonstiges Äquivalent. Von 9. 11. 2016 bis 26. 4. 2017 erhielt sie Wochengeld in Höhe von 104,42 EUR täglich. Von 1. 4. 2017 bis 1. 3. 2018 war sie in Karenz.

[3] Anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 1. 3. 2017 beantragte sie bei der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von der Geburt bis zur höchstmöglichen Bezugsdauer.

[4] Mit Bescheid vom 12. 2. 2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin sei bei der ständigen Vertretung der VAE bei der IAEO beschäftigt und Staatsangehörige der USA, weshalb nach Art X Abschnitt 26 des IAEO‑Amtssitzabkommens kein Anspruch bestehe.

[5] Die Klägerin bringt in ihrer Klage vor, sie sei nicht Angestellte der IAEO, sondern der ständigen Vertretung der VAE und habe dadurch keine steuerlichen Vorteile.

[6] Nach Meinung der Beklagten unterliegt die Klägerin auch als Angestellte der ständigen Vertretung der VAE bei der IAEO dem Ausnahmetatbestand nach Art X Abschnitt 26 des IAEO‑Amtssitzabkommens.

[7] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von 27. 4. 2017 bis 28. 2. 2018 in Höhe von 66 EUR täglich zu gewähren. Die Klägerin sei nicht Angestellte der IAEO und genieße nicht die Vorteile einer steuerlichen Privilegierung.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Art X Abschnitt 26 des IAEO‑Amtssitzabkommens sei aus dem systematischen Zusammenhang und dem Zeitpunkt der Schaffung der Bestimmung dahin zu verstehen, dass drittstaatsangehörige Angestellte der IAEO sowie deren drittstaatsangehörige, im gemeinsamen Haushalt lebende Familienangehörige im Gegenzug zu den ihnen eingeräumten Privilegien und Vorrechten nicht an den durch den Familienlastenausgleichsfonds finanzierten Leistungen partizipieren, sondern davon ausgeschlossen sein sollten. Im Vergleich zu Angestellten der IAEO oder deren Familienangehörigen sei die Klägerin in Österreich nicht von der Lohn‑ und Einkommensteuer befreit und sozialversicherungspflichtig. Das einzige Privileg beziehe sich nach Art XI Abschnitt 27 auf eine Erleichterung bei der Einreise, beim Aufenthalt und bei der Ausreise. Daraus ergebe sich kein vermindertes Schutzbedürfnis wie bei Angestellten der IAEO im Zusammenhang mit Art X Abschnitt 26. Die Revision sei zur Frage der Auslegung dieser Ausschlussbestimmung zulässig.

[9] Die – von der Klägerin nicht beantwortete – Revision der Beklagten ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Die Beklagte macht zusammengefasst geltend, dass es für die Anwendung von Art X Abschnitt 26 dritter Satz IAEO‑Amtssitzabkommen auf die Klägerin ausreiche, wenn ihr aus diesem Abkommen nur ein einziges Privileg (auch nichtfinanzieller Natur) zukomme. Die Klägerin verfüge als Mitglied einer ständigen Vertretung nach Art XI Abschnitt 27 lit i des Abkommens über Ein‑ und Ausreiseprivilegien.

[11] 2. Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, wenn für dieses ein Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird. Der Kinderbetreuungsgeldanspruch knüpft somit an den Familienbeihilfeanspruch nach dem FLAG an. Der Anspruch der Klägerin auf die Familienbeihilfe setzt nach § 2 Abs 1 FLAG voraus, dass sie im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt halt.

[12] 3. Es ist nicht strittig, dass sich die Klägerin als Drittstaatsangehörige rechtmäßig in Österreich aufhält und dort ihren Wohnsitz hat. Zu prüfen ist, ob sie unter die in Art X Abschnitt 26 dritter Satz des IAEO‑Amtssitzabkommens (BGBl 1958/82 idF BGBl 1971/413) enthaltene Ausschlussbestimmung fällt.

[13] 3.1 Derartige – in Amtssitzabkommen zwischen Österreich und internationalen Organisationen geregelte – Ausschlussbestimmungen genießen Anwendungsvorrang gegenüber den Bestimmungen des KBGG über die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld an Drittstaatsangehörige. Davon erfasste Personen haben keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (10 ObS 40/14a SSV‑NF 28/24 [UN‑Amtssitzabkommen]; 10 ObS 63/19s und 10 ObS 170/13t SSV‑NF 28/2 [IAEO‑Abkommen]; 10 ObS 5/19m [UNIDO‑Amtssitzabkommen]; 10 ObS 20/20v SSV‑NF 34/42 [ICMPD‑Amtssitzabkommen] je mwN; RS0124615 [T2]; RS0124617 [T2]).

[14] 3.2 Art X Abschnitt 25 und 26 des IAEO‑Amtssitzabkommens lauten:

Abschnitt 25

Die IAEO ist von jeder Beitragspflicht an eine Sozialversicherungseinrichtung der Republik Österreich befreit, und die Angestellten der IAEO werden von der Regierung nicht verhalten, solchen Einrichtungen anzugehören.

Abschnitt 26

Die Regierung trifft die gegebenenfalls erforderlichen Maßnahmen, um es jedem Angestellten der IAEO, der an Sozialversicherungseinrichtungen der IAEO nicht teil hat, über Ersuchen der IAEO zu ermöglichen, einer Sozialversicherungseinrichtung der Republik Österreich beizutreten. Die IAEO hat unter zu vereinbarenden Bedingungen soweit als möglich, Vorsorge dafür zu treffen, dass die an Ort und Stelle aufgenommenen Angehörigen ihres Personals, denen sie nicht einen Sozialversicherungsschutz zuteil werden lässt, der dem nach österreichischem Recht gewährten zumindest gleichwertig ist, Mitglieder einer österreichischen Sozialversicherungseinrichtung werden können.

Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht, die jedoch weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind, werden keinen Vorteil aus den österreichischen Bestimmungen über Familienbeihilfe und Geburtenbeihilfe ziehen.“

[15] 3.3 Eine Legaldefinition des Begriffs „Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht“, findet sich im Abkommen nicht. Es enthält in Art I Abschnitt 1 Begriffsbestimmungen (ua) zu Vertretern von Vertragsstaaten („Mitgliedstaaten“) der IAEO. Danach sind zu verstehen: j) unter dem Begriff „ständiger Vertreter bei der IAEO“ der von einem Mitgliedstaat bei der IAEO bestellte leitende ständige Vertreter, k) unter dem Begriff „Angehöriger der ständigen Vertretung eines Mitgliedstaates bei der IAEO“ jeweils die Angehörigen der Delegation des ständigen Vertreters bei der IAEO, jedoch nicht das Kanzlei‑ oder sonstige Hilfspersonal, l) unter dem Begriff „Vertreter der Mitgliedstaaten“ beglaubigte Vertreter der Mitgliedstaaten und die Angehörigen ihrer Delegationen, jedoch nicht das Kanzlei- und sonstige Hilfspersonal. Art XI Abschnitt 27 lit a des Abkommens gewährt ua ständigen Vertretern und deren Angehörigen, deren Familien und sonstigen Haushaltszugehörigen sowie dem dem Mitarbeiterstab der ständigen Vertreter angehörigen Kanzlei- und anderen Hilfspersonal und den Ehegatten und unterhaltsberechtigten Kindern dieses Personals (sublit i) sowie den Vertretern der Mitgliedstaaten, deren Familien und sonstigen Haushaltsangehörigen sowie dem den Delegationen der Mitgliedstaaten angehörigen Kanzlei- und anderen Hilfspersonal und den Ehegatten und unterhaltsberechtigten Kindern dieses Personals (sublit ii) Einreise und Ausreisepriviliegien.

[16] 3.4.1 Die Klägerin ist keine Angestellte der IAEO, weshalb dieser Anknüpfungspunkt für eine Anwendung der Ausschlussbestimmung in Art X Abs 26 dritter Satz des IAEO‑Amtssitzabkommens ausscheidet. Es stellt sich die Frage, ob sie als drittstaatsangehörige Beschäftigte bei der Vertretung der VAE (eines Mitgliedstaats der IAEO) mit Wohnsitz in Österreich dennoch zu den „Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht“ im Sinn des Art X Abschnitt 26 dritter Satz des IAEO‑Amtssitzabkommens zählt.

[17] 3.4.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurden vom persönlichen Anwendungsbereich dieser Ausschlussklausel die Angestellten der IAEO selbst sowie deren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder erfasst. Auch letztere sind Personen, auf die sich das Abkommen bezieht (RS0124615). Eine andere Auslegung konterkariert den Zweck des Ausschlusses, partizipieren doch die haushaltsangehörigen Familienmitglieder an den den Angestellten der IAEO eingeräumten Privilegien und Immunitäten teils ausdrücklich, teils aber mittelbar (10 ObS 170/13t SSV‑NF 28/2 mwN).

[18] 3.4.3 Ähnlich argumentiert der Verwaltungsgerichtshof (28. 9. 1994, 91/13/0086). Die Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, partizipieren regelmäßig von wirtschaftlichen Vorteilen, die einem Mitglied der Haushaltsgemeinschaft zukommen. Durch die Privilegierung eines Haushaltsangehörigen kommt es zu einer Entlastung der Haushaltsgemeinschaft, sodass eine weitere Entlastung durch Berücksichtigung von Unterhaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht mehr geboten erscheint.

[19] 3.4.4 Die Beklagte hält in der Revision ihren Standpunkt aufrecht, aus dieser Rechtsprechung sei abzuleiten, dass auch Mitglieder einer ständigen Vertretung, die nach Art XI Abschnitt 27 lit i IAEO‑Amtssitzabkommen bloß Ein‑ und Ausreiseprivilegien genießen, von den österreichischen Familienleistungen ausgeschlossen sein sollen, weil sowohl nach dem Obersten Gerichtshof als auch nach dem Verwaltungsgerichtshof für die Einordnung unter „Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht“ das Vorliegen von Privilegien für die Ein‑ und Ausreise genüge. Die Revision zieht dabei die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht in Zweifel, dass die erwähnten Ein- und Ausreiseerleichterungen das einzige Privileg zugunsten der in Österreich steuer- und sozialversicherungspflichtigen Klägerin darstellen.

[20] 3.4.5 Die zu Punkt 3.4.2 und 3.4.3 zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs befasst sich aber nur mit der Frage, ob neben den drittstaatsangehörigen Angestellten der IAEO selbst auch deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder vom persönlichen Anwendungsbereich der Ausschlussklausel erfasst sind. Diese Personen fallen deshalb unter die Ausschlussklausel, weil sie selbst an den den Angestellten (ihren Familienangehörigen) mit dem Amtssitzabkommen eingeräumten Privilegien teilhaben, auch wenn ihnen selbst nicht unmittelbare Vorrechte (insbesondere Steuerbefreiungen) zukommen. Sie profitieren daher von den Begünstigungen und Privilegien ihrer im selben Haushalt lebenden Angehörigen.

[21] 3.4.6 Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass sonstige Personen, die weder Angestellte der IAEO noch deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder sind, unter den persönlichen Anwendungsbereich dieser Ausschlussbestimmung fallen:

[22] 3.4.7 Der letzte Satz des Abschnitts 26 wurde durch Art III des am 4. 6. 1970 geschlossenen Abkommens zwischen der Republik Österreich und der IAEO zur Abänderung des Amtssitzabkommens vom 11. 12. 1957 (BGBl 1971/413) eingefügt. Die Abänderung erfolgte aufgrund der im Unterabschnitt 49c des Amtssitzabkommens enthaltenen Meistbegünstigungsklausel und im Hinblick auf das zwischen Österreich und den Vereinten Nationen abgeschlossene Abkommen über den Amtssitz der UNIDO, BGBl 1967/245, das für die UNIDO in einzelnen Punkten weitere Vorrechte einräumte als sie im IAEO‑Amtssitzabkommen vorgesehen waren. Demnach sollte Abschnitt 26 des IAEO‑Amtssitzabkommens dahingehend abgeändert werden, dass er nunmehr auch eine in Punkt 5 des Notenwechsels zum UNIDO‑Amtssitzabkommen getroffene (mit Art X Abschnitt 26 dritter Satz IAEO‑Amtssitzabkommen in der geänderten Fassung identische) Regelung enthält (ErläutRV 152 BlgNR 12. GP  16). Anlässlich des Inkrafttretens der Satzung der UNIDO am 21. 6. 1985 als unabhängige internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit wurde sodann der Abschluss eines neuen UNIDO‑Amtssitzabkommens erforderlich. Damit wurde in Abschnitt 39 lit b – zwar vom Wortlaut des UNIDO‑Amtssitzabkommens aus 1967 abweichend – ausdrücklich festgehalten, dass (nur) die Angestellten der UNIDO und deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, auf die sich das Abkommen bezieht, von den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen ausgeschlossen sind, sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind. Allerdings sollten in diesem Abkommen im Wesentlichen bloß die bereits bestehenden Regelungen kodifiziert werden (ErläutRV 669 BlgNR 20. GP  32, 41). Bereits nach dem UNIDO‑Amtssitzabkommen aus 1967 fielen unter „Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht“ lediglich Angestellte der UNIDO sowie deren dem Abkommen unterliegende haushaltszugehörige Familienangehörige mit jeweils Staatsangehörigkeit eines Drittstaates, nicht jedoch auch sonstige Personen.

[23] 3.4.8 Aus dem systematischen Zusammenhang, dem Zeitpunkt der Einführung der Ausschlussklausel in Art X Abschnitt 26 dritter Satz IAEO‑Amtssitzabkommen und deren Zweck ist abzuleiten, dass nur (jeweils drittstaatsangehörige) Angestellte der IAEO und ihre im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen aufgrund der den Angestellten eingeräumten zahlreichen (einschließlich steuerrechtlicher) Privilegien und Vorrechte, von denen auch die Familienangehörigen profitieren, von den Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds ausgeschlossen sein sollten. Dass die in Österreich sozialversicherte, drittstaatsangehörige Klägerin als Mitglied einer ständigen Vertretung bei der IAEO Ein‑ und Ausreiseprivilegien aufgrund des IAEO‑Amtssitzabkommens in Anspruch nehmen kann, rechtfertigt keinen derartigen Ausschluss. Diese Rechtsansicht hat auch das Bundesfinanzgericht in seinem Urteil vom 29. 7. 2019, RV/7102561/2018, über die Zuerkennung der Familienbeihilfe an die Tochter der Klägerin vertreten.

[24] 3.4.9 Der in Art XX Abschnitt 52 lit c des Amtssitzabkommens enthaltene Interpretationsgrundsatz führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach hat die Auslegung des Amtssitzabkommens im Geist dessen obersten Ziels zu erfolgen, das darin besteht, die IAEO in die Lage zu versetzen, an ihrem Amtssitz in der Republik Österreich die ihr gestellten Aufgaben voll und ganz zu erfüllen und ihrer Zweckbestimmung nachzukommen. Inwieweit der Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch drittstaatsangehörige Angestellte einer ständigen Vertretung bei der IAEO im Zusammenhang damit stehen sollte, den Angestellten der IAEO die unabhängige Ausübung ihrer Pflichten zu ermöglichen, ist nicht zu erkennen.

[25] 4.1 Nach Auffassung der Beklagten fällt die Klägerin unter den Ausschlussgrund des Art 33 iVm Art 37 Wiener Diplomatenkonvention (WDK), weil sie zum Verwaltungs‑ bzw technischen Personal einer Mission gehöre.

[26] 4.2 Nach Art 33 Abs 1 WDK ist ein Diplomat in Bezug auf seine Dienste für den Entsendestaat grundsätzlich von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über die soziale Sicherheit befreit. Nach Art 37 Abs 2 WDK genießen unter anderem auch Mitglieder des Verwaltungs‑ und technischen Personals der Mission, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind, die in den Art 29 bis 35 WDK bezeichneten Vorrechte und Immunitäten.

[27] 4.3 Ein auf Art 33 iVm Art 37 WDK gestützter Ausschluss der Klägerin vom österreichischen Kinderbetreuungsgeld scheitert schon darin, dass die Klägerin nach den Feststellungen ihren Lebensmittelpunkt in Österreich hat. Sie ist daher in Österreich „ständig ansässig“ („permanently resident“) im Sinn des Art 37 Abs 2 WDK und genießt daher nicht die in der WDK eingeräumten Privilegien (vgl 10 ObS 20/20v SSV‑NF 34/42).

[28] 5. Ergebnis: Art X Abschnitt 26 dritter Satz IAEO‑Amtssitzabkommen ist so auszulegen, dass die Klägerin als in Österreich steuerpflichtige und sozialversicherte Angestellte der ständigen Vertretung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei der IAEO nicht zu den „Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht“ zählt und daher nicht vom Bezug der österreichischen Familienbeihilfe ausgeschlossen ist. Die Vorinstanzen haben der Klägerin daher zu Recht Kinderbetreuungsgeld zugesprochen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte