OGH 10ObS5/19m

OGH10ObS5/19m25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. B*****, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Mag. Andreas Nösterer, Rechtsanwalt in Pregarten, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. Oktober 2018, GZ 10 Rs 43/18v‑41, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5. Dezember 2017, GZ 24 Cgs 121/15g‑37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00005.19M.0625.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten haben:

„Der Rückforderungsanspruch der beklagten Partei gegen die klagende Partei in Höhe von 4.026 EUR für das im Zeitraum vom 1. September 2012 bis 31. Dezember 2012 bezogene Kinderbetreuungsgeld besteht nicht zu Recht.“

 

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 2.136,60 EUR (darin 353,80 EUR USt und 13,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 730,97 EUR (darin enthalten 121,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 28. 2. 2012 beantragte die Klägerin, die im relevanten Zeitraum albanische Staatsangehörige war, bei der beklagten Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes in der Leistungsart nach § 5c KBGG idF BGBl I 2009/116 („Pauschal-variante 12 + 2“). Sie erhielt die beantragte Leistung für den Zeitraum vom 28. 2. 2012 bis 27. 2. 2013 in der Höhe von 33 EUR pro Tag ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 11. 6. 2015 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 1. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung der Leistung im Ausmaß von 4.026 EUR (122 Tage à 33 EUR). Nachträglich habe sich herausgestellt, dass die Klägerin von September bis Dezember 2012 bei der UNIDO beschäftigt gewesen sei. Gemäß Art XII Abschnitt 39 lit b des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung über den Amtssitz der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung in Wien (BGBl III 1998/100, UNIDO-Amtssitzabkommen) seien die Angestellten der UNIDO und deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, auf die sich das Abkommen beziehe, von den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen ausgeschlossen, sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich seien. Die Klägerin sei daher vom Anspruch auf Familienleistungen ausgeschlossen. Die Zuerkennung der Leistung sei gemäß § 30 Abs 2 KBGG zu widerrufen.

Mit ihrer dagegen erhobenen Klage bringt die Klägerin vor, die von ihr für die UNIDO ausgeübte Tätigkeit habe nicht den Status einer „Angestellten der UNIDO“ im Sinn von Artikel XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen begründet, sondern vielmehr nur den Status einer Konsulentin, die auf Projektbasis beschäftigt sei. Als solche habe sie keinen Anspruch auf die den Angestellten der UNIDO von der UNIDO gewährten Familienleistungen. Darüber hinaus übermittle der Generaldirektor der UNIDO der Regierung regelmäßig eine Liste der Angestellten der UNIDO; darin sei die Klägerin nicht enthalten. Es fehle daher eine Grundlage für den Ausschluss der Klägerin von Familienleistungen. Schließlich sei sie aufgrund der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlich Aufenthaltsberechtigte österreichischen Staatsbürgern gleichzustellen.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, die Klägerin habe als drittstaatsangehörige Angestellte der UNIDO keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Es seien sowohl der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 1 als auch jener des § 31 Abs 2 KBGG erfüllt, weil die Klägerin erkennen hätte müssen, dass ihr ab Aufnahme der Beschäftigung bei der UNIDO kein Kinderbetreuungsgeld gebühre.

Dem Erstgericht wurde seitens des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres eine Verbalnote der UNIDO vom 26. 5. 2017 übermittelt, in der diese zum Status der Klägerin aufgrund des zwischen der Klägerin und der UNIDO abgeschlossenen Vertrags Stellung nimmt. Darin wird ausgeführt, nur dem Generaldirektor der UNIDO komme die Kompetenz zur Ernennung einer Person zur „Angestellten der UNIDO“ zu. Die Klägerin sei im relevanten Zeitraum nicht „Angestellte der UNIDO“ gewesen; als „consultant“ bzw Inhaberin eines „individual service agreement“ sei ihr der Status eines Sachverständigen im Sinn von Art XIII Abschnitt 42 des Amtssitzabkommens zugekommen. Das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres teilte seinerseits mit, die Rechtsansicht der UNIDO zu teilen. Auf Basis der Aktenlage des Bundesministeriums sei die Klägerin keine „Angestellte der UNIDO“.

Das Erstgericht sprach aus, dass der von der Beklagten erhobene Rückersatzanspruch für den Zeitraum 1. 9. 2012 bis 2. 9. 2012 nicht zu Recht bestehe. Das darüber hinausgehende Begehren, festzustellen, dass der Rückersatzanspruch für den Zeitraum 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 nicht zu Recht bestehe, wies es ab und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung des für diesen Zeitraum geleisteten Kinderbetreuungsgeldes von 3.960 EUR.

Es traf – über den eingangs vorangestellten Sachverhalt hinaus – folgende Feststellungen:

Die Klägerin war während des hier relevanten Zeitraums albanische Staatsangehörige. Sie verfügte über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“ gemäß § 48 NAG idF vor BGBl I 2013/68. Sie schloss am 1. 9. 2012 mit der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) in Wien einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen für den Zeitraum vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012. Der Vertrag ist in englischer Sprache abgefasst und mit „Individual Service Agreement – International Consultant“ überschrieben.

Die Klägerin – im Vertrag als „the Subscriber“ bezeichnet – soll demnach als „Expert on Technical Assistance“ tätig sein und dafür ein Entgelt von 9.300 EUR erhalten. Der einen Bestandteil des Vertrags bildende „Annex I Ref 634 – Conditions of Service – International Consultant“ enthält folgende Vertragsbestimmung:

„A. Status of the Subscriber

The Subscriber shall serve in a personal capacity and not as a representative of a government or any other authority external to UNIDO. The Subscriber shall have the legal status of an individual contractor vis-à-vis UNIDO and shall not, for any purpose, be considered as being a staff member of UNIDO, under the Staff Regulations and Rules of UNIDO, nor 'officials' for the purpose of the Convention on the Privileges and Immunities of the Specialized Agencies of 21 November 1947. The Subscriber may, where relevant, benefit from such functional privileges and immunities as may be applicable under international law. The Subscriber who undertakes international travel on behalf of UNIDO shall be given the status of 'experts on mission' under the terms of Annex XVII of the Convention on the Privileges and Immunities of the Specialized Agencies.“

Die Entgeltregelung weist eine „Total Gross Remuneration: 9.300 EUR as per details described in Annex I“ aus. Nach der verwiesenen Bestimmung D des Anhangs I ist eine „lump sum“ von 9.300 EUR in vier Zahlungen zu leisten. Dieses der Klägerin für die gesamte Vertragsdauer vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 zustehende Entgelt von insgesamt 9.300 EUR war nicht nach Stunden bemessen. Die Klägerin erhielt für jeden Kalendermonat von September bis Dezember 2012 einen Betrag von 2.325 EUR ohne Abzug von Steuern oder sonstigen Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträgen ausgezahlt. Andere Einkünfte hatte die Klägerin im Jahr 2012 nicht.

Die Klägerin erkundigte sich zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 1. 9. 2012 telefonisch bei einer Mitarbeiterin der Beklagten nach den Auswirkungen des ihr aus dem zukünftigen Vertragsverhältnis zur UNIDO voraussichtlich zustehenden Entgelts auf ihren Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Dabei teilte sie der Mitarbeiterin der Beklagten mit, dass sie voraussichtlich ab September 2012 für vier Monate bei der UNIDO zu einem Gesamtentgelt von 9.300 EUR beschäftigt sein werde und erhielt die Auskunft, dass dadurch die für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld maßgebliche Zuverdienstgrenze nicht überschritten werde. Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt übermittelte sie auch eine Ausfertigung ihres mit der UNIDO abgeschlossenen Vertrags an die Beklagte.

Der Klägerin war die Familienbeihilfe für ihr am 28. 2. 2012 geborenes Kind zunächst auch für den Zeitraum vom 1. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 gewährt worden. Mit Bescheid vom 24. 8. 2015 forderte das zuständige Finanzamt die Familienbeihilfe unter anderem für den Zeitraum von September 2012 bis Dezember 2012 zurück, gab allerdings der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Klägerin mit unbekämpft gebliebener Beschwerdevorentscheidung vom 6. 9. 2016 statt und hob den Rückforderungsbescheid auf.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Anspruchsvoraussetzung gemäß § 2 Abs 1 Z 1 KBGG, nämlich das Bestehen eines Anspruchs und der Bezug der Familienbeihilfe, sei aufgrund der Aufhebung des Rückforderungsbescheids des Finanzamts als erfüllt anzusehen; dem Gericht sei eine selbständige abweichende Beurteilung des Anspruchs auf Familienbeihilfe verwehrt. Die Zuverdienstgrenze des § 2 Abs 1 Z 3 KBGG sei – ausgehend von der Qualifikation der Einkünfte der Klägerin als solche aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 25 EStG – nicht überschritten.

Allerdings sei die Klägerin vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes ausgeschlossen, weil ihr in diesem Zeitraum der Status einer „Angestellten der UNIDO“ im Sinn des Art I Abschnitt 1 lit h und Art XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen zugekommen sei. Nach der Legaldefinition des Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO-Amtssitzabkommen bezeichne der auch in Art XII Abschnitt 39 lit b des Abkommens verwendete Begriff „Angestellte der UNIDO“ alle Angehörigen des Personals der UNIDO mit Ausnahme des an Ort und Stelle aufgenommenen und nach Stundenlohn bezahlten Personals. Angesichts dieser weitgefassten Definition sei die Klägerin zweifellos als Angestellte der UNIDO im Sinn des Amtssitzabkommens anzusehen, da sie zu Dienstleistungen gegen Entgelt verpflichtet gewesen sei und der Ausnahmetatbestand einer Bezahlung nach Stunden nicht zutreffe. Ob es sich dabei nach österreichischem Arbeitsrecht um ein echtes oder ein freies Dienstverhältnis gehandelt habe, und ob eine Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung vorgelegen sei, könne offen bleiben, weil Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO-Amtssitzabkommen nur darauf abstelle, ob es sich um einen Angehörigen des – nicht einschränkend definierten – „Personals“ der UNIDO handle. Die von der UNIDO vorgelegten Bestätigungen sowie die in Punkt A des Annex I zum Vertrag enthaltene Klausel über den Status der Klägerin könnten an der Qualifikation als „Angestellte der UNIDO“ nichts ändern. Die Liste gemäß Artikel XII Abschnitt 40 UNIDO-Amtssitzabkommen habe nur deklarative Bedeutung. Die von der Klägerin und der UNIDO ins Treffen geführte Funktion der Klägerin als „Konsulentin“ bzw Sachverständige im Sinn des Art XIII Abschnitt 42 UNIDO-Amtssitzabkommen sei ebenfalls ohne Belang, da eine solche Funktion die Zugehörigkeit zu den Angestellten der UNIDO nicht ausschließe. Lediglich für den 1. und 2. 9. 2012 sei der Ausschlussgrund nicht verwirklicht.

Die Klägerin könne sich hinsichtlich der Anwendung von Artikel XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen auch nicht auf die Gleichstellungsbestimmungen der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. 11. 2003 betreffend die Rechtsstellung derlangfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl 2004 L 16/44 (DaueraufenthaltsRL), stützen. Denn die Gleichstellungsregeln des Art 11 DaueraufenthaltsRL würden gemäß Abs 1 Satz 1 dieser Bestimmung nur für „langfristig Aufenthaltsberechtigte“ im Sinn des Art 2 lit b DaueraufenthaltsRL gelten, was die konstitutive Zuerkennung dieser Rechtsstellung erfordere. Diese Regelungen seien in § 45 NAG umgesetzt worden. Die Klägerin habe aber im Jahr 2012 nicht über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ gemäß § 45 NAG, sondern nur über den davon zu unterscheidenden Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“ gemäß § 58 NAG in der bis 31. 12. 2013 geltenden Fassung verfügt. Sie habe damit nicht zu dem von Art 11 DaueraufenthaltsRL begünstigten Personenkreis gehört. Die Klägerin habe daher das Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 unberechtigt bezogen. Sie sei nach dem objektiven Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 erster Fall KBGG zum Ersatz der empfangenen Leistung verpflichtet. Darüber hinaus sei auch der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 1 dritter Fall KBGG erfüllt, weil die Klägerin aufgrund der Entgeltauszahlung ohne Abzug von Steuern und Sozialversicherungsabgaben erkennen hätte müssen, dass ihr die Leistung aufgrund ihrer Tätigkeit für die UNIDO nicht gebühre.

Gegen diese Entscheidung erhob nur die Klägerin Berufung, sodass die Klagestattgebung hinsichtlich der Rückforderung für den Zeitraum 1. und 2. 9. 2012 in Rechtskraft erwuchs.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil die Frage, ob auch freie Dienstverhältnisse unter die Ausschlussbestimmung von Art XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen fielen und diese Qualifikation unabhängig von der Aufnahme in die Liste der UNIDO-Angestellten gemäß Art XII Abschnitt 40 UNIDO-Amtssitzabkommen zu prüfen sei, sowie die Frage, ob die Daueraufenthaltsrichtlinie auf die Klägerin mit ihrem damaligen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“ anzuwenden sei, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgingen.

Rechtlich bestätigte es die Auslegung des Begriffs der „Angestellten der UNIDO“ durch das Erstgericht. Das Amtssitzabkommen gehe in seinem Abschnitt 28 zudem davon aus, dass es Angehörige des Personals gebe, die nicht am Pensionsfonds und der Sozialversicherung der UNIDO teilnähmen. Dass die Klägerin keine Sozialleistungen von der UNIDO erhalten habe, schließe daher nicht aus, dass sie Angehörige des Personals der UNIDO sei. Davon seien letztlich beide Vertragsteile ausgegangen, indem das Entgelt der Klägerin ohne Abzug von Steuern ausgezahlt worden sei und die Klägerin auch nicht behauptet habe, es selbst zu versteuern. Sie habe damit die nur den Angestellten der UNIDO zukommende und für den Ausschluss vom Kinderbetreuungsgeld maßgebliche Steuerbefreiung in Anspruch genommen.

Die Ausführungen des Erstgerichts zur nur deklarativen Bedeutung der von der UNIDO zu erstellenden Liste ihrer Angestellten und zu den Erklärungen der UNIDO zum gegenständlichen Vertragsverhältnis seien zutreffend. Auch hinsichtlich der Rechtsansicht der Klägerin, sie habe als langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige nach der DaueraufenthaltsRL den gleichen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld wie österreichische Staatsbürger, verwies das Berufungsgericht auf die Beurteilung des Erstgerichts. Ausgehend davon bejahte es die Rückforderung gemäß § 31 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2016/53.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die gänzliche Klagestattgebung anstrebt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Es ist nicht strittig, dass sich die Klägerin im relevanten Zeitraum rechtmäßig in Österreich aufhielt (§ 3 Abs 1 FLAG) und im Bundesgebiet ihren Wohnsitz hatte (§ 2 Abs 1 FLAG), sodass ihr in diesem Zeitraum grundsätzlich Familienbeihilfe zustünde (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG). Zu prüfen ist aber, ob dem Anspruch der Klägerin auf Familienbeihilfe – wie auch dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld – die in Art XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen enthaltene Ausschlussbestimmung entgegensteht.

2.1. Art XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen lautet:

„Die Angestellten der UNIDO und deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, auf die sich das Abkommen bezieht, sind von den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen ausgeschlossen, sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind.“

Art I Abschnitt 1 UNIDO-Amtssitzabkommen lautet:

In diesem Abkommen […]

(h) bezeichnet der Begriff 'Angestellter der UNIDO' den Generaldirektor und alle Angehörigen des Personals der UNIDO mit Ausnahme des an Ort und Stelle aufgenommenen und nach Stundenlohn bezahlten Personals.“

Die englischsprachige Fassung dieser Definition lautet:

„(h) The expression 'official of the UNIDO' means the Director-General and all members of the staff of the UNIDO, except those who are locally recruited and assigned to hourly rates.

Art XII Abschnitt 40 lit a UNIDO-Amtssitzabkommen sieht die Notifikation einer Liste der Angestellten der UNIDO vor. Diese Bestimmung lautet:

„a) Der Generaldirektor wird der Regierung eine Liste der Angestellten der UNIDO übermitteln und diese nach Bedarf von Zeit zu Zeit revidieren.“

Gemäß § 38 Abs 1 KBGG sind die Aufwendungen für das Kinderbetreuungsgeld vom Familienlastenausgleichsfonds zu tragen. Die Ausschlussbestimmung des Art XII Abschnitt 39 UNIDO-Amtssitzabkommens erfasst daher neben der Familienbeihilfe auch den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (vgl 10 ObS 170/13t SSV‑NF 28/2).

2.2. In der Rechtsprechung wurde bereits mehrfach entschieden, dass vergleichbare Ausschlussklauseln in Amtssitzabkommen zwischen Internationalen Organisationen und der Republik Österreich dem Anspruch der von der Ausschlussklausel erfassten Personen auf Kinderbetreuungsgeld entgegenstehen (10 ObS 35/09h SSV‑NF 23/22; 10 ObS 11/11g SSV‑NF 25/19; 10 ObS 170/13t SSV‑NF 28/2; 10 ObS 40/14a SSV‑NF 28/24; mit abweichender Beurteilung aufgrund des in jenem Verfahren anzuwendenden Übergangsrechts 10 ObS 193/06i SSV‑NF 21/1).

Zu 10 ObS 170/13t (SSV‑NF 28/2) stellte der Senat (in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung, s 10 ObS 35/09h SSV‑NF 23/22; 10 ObS 11/11g SSV‑NF 25/19; RS0124617 [T2]; RS0124615 [T2]) klar, dass eine vergleichbare, in einem Amtssitzabkommen enthaltene Ausschlussklausel eine ergänzende Spezialnorm für einen bestimmten Personenkreis darstellt, die nicht durch spätere (nationale) Regelungen wie jene des KBGG außer Kraft gesetzt werden sollte. Dies führte zu 10 ObS 170/13t zur vorrangigen Anwendung der dort in Rede stehenden Ausschlussklausel des Art III Abschnitt 26 Satz 3 des IAEO-Amtssitzabkommens (Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Internationalen Atomenergie-Organisation, BGBl 1958/82 idF BGBl 1971/413) und zur Ablehnung eines Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld wegen des im Amtssitzabkommen festgelegten Ausschlusses von Familienleistungen (so auch 10 ObS 63/19s).

Diese Rechtsprechung wurde zu 10 ObS 40/14a (SSV‑NF 28/24) zur Ausschlussbestimmung des Art XII Abschnitt 39 lit b des UN-Amtssitzabkommens (Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Vereinten Nationen über den Amtssitz der Vereinten Nationen in Wien, BGBl III 1998/99), deren Wortlaut mit der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Bestimmung im UNIDO-Amtssitzabkommen übereinstimmt, ausdrücklich aufrecht erhalten.

2.3. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den bisher vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen dadurch, dass hier strittig ist, ob die Klägerin als „Angestellte“ der (hier:) UNIDO zu qualifizieren und als solche vom persönlichen Anwendungsbereich der Ausschlussbestimmung im Amtssitzabkommen erfasst ist. Auch die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs behandelt die Rechtsfolgen, die sich aus dem Status als „Angestellter“ (etwa der IAEO) ergeben, sowie die Erstreckung dieser Rechtsfolgen auf die Ehegatten dieser Personen, nicht aber die Beurteilung, ob einer Person der Status eines „Angestellten“ im Sinn des jeweiligen Amtssitzabkommens zukommt (vgl VwGH 21. 1. 2009, 2007/08/0071; 28. 9. 1994, 91/13/0086; 27. 4. 1983, 83/13/0014). Im vorliegenden Fall steht die Klägerin auf dem Standpunkt, nicht „Angestellte der UNIDO“ im Sinn des Amtssitzabkommens zu sein.

2.4. Die Materialien zur Genehmigungdes UNIDO-Amtssitzabkommens (ErläutRV 669 BlgNR 20. GP  33) nehmen ausdrücklich zur Legaldefinition der „Angestellten der UNIDO“ in Art I Abschnitt 1 lit h dieses Abkommens Stellung. Demnach umfasst der dort definierte Begriff „Angestellte der UNIDO“ den Personenkreis, wie er in Art V des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13. 2. 1946, BGBl 1957/126 (Allgemeines Übereinkommen) mit dem Begriff „Beamte“ umschrieben ist. Dieser Begriff sei zudem bereits durch die Resolution 76 der Ersten Generalversammlung der Vereinten Nationen definiert und durch die Kundmachung des Bundeskanzleramts vom 1. 10. 1957, BGBl 1957/217, für den österreichischen Rechtsbereich als verbindlich anerkannt worden; sie sei daher in das vorliegende Abkommen übernommen worden.

Art 17 des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen, dem Österreich beigetreten ist (BGBl 1957/126) lautet:

„The Secretary-General will specify the categories of officials to which the provisions of this Article and Article VII shall apply. He shall submit these categories to the Governments of all Members. The names of the officials included in these categories shall from time to time be made known to the Governments of the Members.“

Die deutschsprachige Fassung dieses Artikels lautet:

„Der Generalsekretä r bestimmt die Kategorien von Beamten, auf welche die Bestimmungen dieses Artikels und des Artikels VII Anwendung finden. Er unterbreitet die Liste der Generalversammlung und teilt sie sodann den Regierungen aller Mitglieder mit. Die Namen der in diesen Kategorien enthaltenen Beamten werden von Zeit zu Zeit den Regierungen der Mitglieder bekanntgegeben werden.“

Nach der Kundmachung des Bundeskanzleramts vom 1. 10. 1957 (BGBl 1957/217) teilte der Generalsekretär der Vereinten Nationen mit, „dass die in Abschnitt 17 des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen (BGBl Nr 126/1957) zitierten Kategorien von Beamten, auf die die Bestimmungen der Artikel V und VII Anwendung finden, sämtliche Mitglieder des Personals der Vereinten Nationen mit Ausnahme der an Ort und Stelle und gegen Stundenlohn aufgenommenen Personen umfasst.“

2.5. Zur Auslegung des Begriffs der „Angestellten der UNIDO“ kann daher auf Art 17 des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen zurückgegriffen werden.

Abschnitt 17 dieses Abkommens regelt in seinem ersten Teil die Kategorisierung der Beamten („ officials “). Auf Grundlage dieser Bestimmung hat der Generalsekretär bis dato zwei Kategorien von Beamten bestimmt, und zwar „ (i) those who are members of the staff of the UN within the meaning of Arts 97 and 101 UN Charter, with the exception of those who are recruited locally and assigned to hourly rates“, and (ii) those who are engaged on a substantially full-time basis, but who are not staff members because they are not appointed by the UN Secretary-General “ ( Bandyopadhyay/Iwata in Reinisch , The Conventions on the Privileges and Immunities of the United Nations and its Specialized Agencies [2016] Art V Section 17–21 General Convention Rz 8 f).

Für die Zugehörigkeit zur Gruppe der „staff members“ der Vereinten Nationen kommt es demnach auf die Ernennung durch den Generalsekretär an, wie dies Art 101 Abs 1 der Satzung der Vereinten Nationen (BGBl 1956/120) vorsieht („The staff shall be appointed by the Secretary General […].“).

Der Gründungsvertrag der UNIDO (Constitution of the United Nations Industrial Development Organization) vom 8. 4. 1979 sieht demgegenüber in seinem Art 11 Abs 5 vor, dass das Personal vom Generaldirektor [ergänze: der UNIDO] ernannt wird („The staff shall be appointed by the Director-General […].“).

Im Hinblick auf Art 17 der Übereinkommen über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen ist anerkannt, dass es Mitarbeiter gibt, die Funktionen für die Vereinten Nationen ausüben, aber nicht als „staff members“ der Vereinten Nationen gelten. Die beiden größten derartigen Gruppen sind „consultants and individual contractors“, denen der Status als „expert on mission“ zukommen kann, sowie Freiwillige (Bandyopadhyay/Iwata in Reinisch, Conventions, Art V Section 17–21 General Convention Rz 17; vgl die Definition des „individual contractor“ laut Art 2a UN Administrative Instruction ST/AI/2013/4 vom 19. 12. 2013, abgedruckt bei Bandyopadhyay/Iwata in Reinisch, Conventions, Article VI Sections 22–23 General Convention Fn 58).

Das Erfordernis der Mitteilung der Namen der „Beamten“ („officials“) gemäß Art 17 des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen (vgl Art XII Abschnitt 40 lit a UNIDO-Amtssitzabkommen) ist keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der dieser Personengruppe eingeräumten Privilegien und Immunitäten (Bandyopadhyay/Iwata in Reinisch, Conventions Art V Section 17–21 General Convention Rz 10, 25 f).

Aufgrund des gleichlautenden Verständnisses (ErläutRV 669 BlgNR 20. GP  33) des Begriffs der „officials“ in Art 17 des Übereinkommens über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen und in Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO-Amtssitzabkommen („officials of the UNIDO“ bzw „Angestellte der UNIDO“) können die dargestellten Ausführungen auch für die Auslegung des UNIDO-Amtssitzabkommens nutzbar gemacht werden.

3.1. Die Vorinstanzen legten der Wortfolge „Angestellte der UNIDO“ ein weites Begriffsverständnis zugrunde, nach dem die Klägerin ungeachtet der konkreten vertraglichen Regelung schon deshalb unter die Legaldefinition des Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO-Amtssitzabkommens falle, weil sie zur Erbringung von Dienstleistungen gegen (nicht auf Stundenbasis berechnetem) Entgelt verpflichtet sei. Dieses Begriffsverständnis lässt aber außer Acht, dass eine Leistungserbringung als „consultant“ oder „individual contractor“ noch nicht den Status als „Angestellte der UNIDO“ im Sinn des Amtssitzabkommens begründet.

3.2. Im vorliegenden Fall schloss die Klägerin mit der UNIDO einen als „Individual Service Agreement“ bezeichneten Vertrag, wonach sie als „International Consultant“ tätig sein sollte. Der Status der Klägerin ist im Vertrag ausdrücklich dahin festgelegt, dass der Klägerin die Stellung eines „individual contractor“, nicht aber jene eines „staff member“ zukomme.

Dass aus einer solchen Funktion – wie dargestellt (vgl Bandyopadhyay/Iwata in Reinisch, Conventions, Art V Section 17–21 General Convention Rz 17) – noch nicht die Zugehörigkeit zum Personenkreis der „Angestellten der UNIDO“ im Sinn des Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO-Amtssitzabkommen folgt, wurde darüber hinaus seitens der UNIDO mit Verbalnote vom 26. 5. 2017 bekräftigt. Darin wird auch darauf hingewiesen, dass die Begründung des Status als „Angestellte der UNIDO“ einer Bestellung durch den Generaldirektor der UNIDO bedurft hätte; Hinweise darauf, dass eine solche erfolgt wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Anhaltspunkte dafür, dass der zwischen der Klägerin und der UNIDO abgeschlossene Vertrag ungeachtet der ausdrücklichen Klarstellung, dass damit keine Stellung als „Angestellte der UNIDO“ begründet werde, gerade diesen rechtlichen Status nach sich ziehe, sind nicht ersichtlich. Die dem Vertrag allenfalls folgende Steuerpflicht der Klägerin ist weder Gegenstand des vorliegenden Verfahrens noch kann die Qualifikation ihres Vertragsverhältnisses zur UNIDO davon abhängen. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach Punkt 12 des zwischen der Klägerin und der UNIDO abgeschlossenen Vertrags seitens der UNIDO keine Verantwortung für Steuern und andere Abgaben übernommen wird, zu deren Zahlung die Klägerin nach nationalem Recht verpflichtet ist.

3.3. Aus den dargestellten Erwägungen folgt im Ergebnis, dass die Klägerin nicht als „Angestellte der UNIDO“ im Sinn von Art I Abschnitt 1 lit h UNIDO‑Amtssitzabkommen zu qualifizieren ist. Sie fällt daher für den Zeitraum ihrer Tätigkeit für die UNIDO vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der Ausschlussbestimmung des Art XII Abschnitt 39 lit b UNIDO-Amtssitzabkommen. Aus dieser Bestimmung kann daher für den hier zu beurteilenden Zeitraum kein Ausschluss der Klägerin vom Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld abgeleitet werden.

3.4. Dass die Klägerin für den Zeitraum vom 3. 9. 2012 bis 31. 12. 2012 die übrigen Voraussetzungen für den Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes gemäß § 2 KBGG idF BGBl I 2009/116 erfüllt – nämlich den tatsächlichen Bezug der Familienbeihilfe, den gemeinsamen Haushalt mit dem Kind, die Einhaltung der Zuverdienstgrenze, das Bestehen des Mittelpunkts der Lebensinteressen im Bundesgebiet, sowie das Bestehen eines rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich –, war im Revisionsverfahren nicht strittig.

Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Gegen das von der Klägerin am Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz gelegte Kostenverzeichnis hat die Beklagte keine Einwendung gemäß § 54 Abs 1a ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG erhoben. Pauschalgebühren sind im Verfahren in Sozialrechtssachen nicht zu entrichten (§ 80 ASGG).

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