European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100NC00021.21A.1115.000
Spruch:
Der Antrag, die Rechtssache gemäß § 28 JN einem österreichischem Gericht zuzuweisen, wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die klagende Gesellschaft mit Sitz in Slowenien begehrt von der beklagten Gesellschaft mit Sitz in Deutschland im Europäischen Mahnverfahren nach der Verordnung (EG) 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO) vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien die Zahlung von Forderungen aus in den Jahren 2018 und 2019 geschlossenen Werkverträgen.
[2] Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien erließ – nach Verbesserung des Antrags – den Europäischen Zahlungsbefehl, gegen den die Beklagte fristgerecht Einspruch erhob. Darin rügte sie die fehlende internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Nach Aufforderung im Sinn des § 252 Abs 3 ZPO benannte die Klägerin fristgerecht das Bezirksgericht Graz‑Ost als das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien überwies die Rechtssache an dieses Gericht.
[3] Vor dem Bezirksgericht Graz‑Ost beantragte sie die Vorlage der Rechtssache an den Obersten Gerichtshof zur Ordination nach § 28 Abs 1 Z 3 JN sowie die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (ON 18). Nach den den Werkverträgen zugrunde liegenden AGB sei das für den Sitz des Auftragnehmers örtlich zuständige österreichische Gericht vereinbart worden. Vor diesem Hintergrund sei zwar die Zuständigkeit österreichischer Gerichte vereinbart worden; die örtliche Zuständigkeit sei jedoch nicht konkret geregelt worden, weil die Auftragnehmerin, konkret die klagende Partei, keinen Sitz in Österreich habe.
[4] Die Beklagte trat diesem Antrag auf Unterbrechung bei.
[5] Das Bezirksgericht Graz‑Ost unterbrach das Verfahren bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, „ein örtlich zuständiges Gericht gemäß § 98 Abs 1 Z 3 JN für die Geltendmachung der Forderungen der klagenden Partei gegenüber der Beklagten aus der gegenständlichen Geschäftsbeziehung zu bestimmen“, und sprach aus, dass das Verfahren nur über Antrag der Parteien fortgesetzt werde. Die Parteien verzichteten auf Beschlussausfertigung und Rechtsmittel (ON 19).
[6] Das Bezirksgericht Graz‑Ost legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 28 Abs 1 Z 3 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof liegen nicht vor.
[8] 1.1 Für das Verfahren nach der Europäischen Mahnverfahrensverordnung ist in Österreich nach § 252 Abs 2 ZPO ausschließlich das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zuständig. Es hat bei Vorliegen einer Mahnklage anhand des Antragsformulars nach Art 8 EuMahnVO zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Zahlungsbefehls (Art 2, 3, 4, 6 und 7 EuMahnVO) gegeben sind. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Gericht einen Europäischen Zahlungsbefehl zu erlassen (Art 12 EuMahnVO).
[9] 1.2 Nach einem fristgerechten Einspruch ist das Verfahren – außer im hier nicht verwirklichten Fall eines gegenteiligen Antrags des Antragstellers – vor den zuständigen österreichischen Gerichten gemäß den Regeln des nationalen Zivilverfahrens weiterzuführen (Art 17 Abs 1 EuMahnVO), wobei die Überleitung nach dem Verfahrensrecht dieses Staats zu erfolgen hat (Art 17 Abs 2 EuMahnVO). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich daher nach nationalem Recht (10 Nc 17/20m mwN zu dem vor Antrag auf Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls eingebrachten Ordinationsantrag derselben Klägerin).
[10] 1.3 Für diese Überleitung des ordentlichen Verfahrens sieht § 252 Abs 3 ZPO vor, dass das Gericht nach Einlangen eines fristgerechten Einspruchs diesen dem Antragsteller mit der Aufforderung zuzustellen hat, binnen einer Frist von 30 Tagen das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht namhaft zu machen. Macht der Antragsteller fristgerecht ein Gericht namhaft, so ist die Rechtssache an dieses zu überweisen.
[11] 2.1 Diese Vorgangsweise wurde im vorliegenden Fall eingehalten. Die Rechtssache wurde an das von der Klägerin namhafte gemachte Bezirksgericht Graz‑Ost überwiesen. Diesem obliegt nach der ausdrücklichen Anordnung in § 252 Abs 3 Satz 4 ZPO die Prüfung der Zuständigkeit. Diese Prüfung umfasst auch die Prüfung der internationalen Zuständigkeit, hier somit die Beantwortung der Frage, ob – wie von der Klägerin geltend gemacht – eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung über die Zuständigkeit österreichischer Gerichte (vgl 3 Nc 12/10k mwN) vorliegt.
[12] 2.3 Solange das Bezirksgericht Graz‑Ost seine sich aus § 252 Abs 3 ZPO ergebende Zuständigkeit nicht rechtskräftig verneint hat, ist der Oberste Gerichtshof nicht zur Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts nach § 28 Abs 1 Z 3 JN berufen (RS0046450; RS0046443; 10 Nc 17/20m). Die rechtskräftige Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Ordinationsantrag ändert an diesem Ergebnis nichts. Wenn die internationale Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts zu verneinen ist, weil keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, scheidet eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof nach § 28 Abs 1 Z 3 JN jedenfalls aus.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)