OGH 1Ob178/21i

OGH1Ob178/21i12.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI H*, vertreten durch die Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG, Gleisdorf, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 58.891,80 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. August 2021, GZ 5 R 14/21z‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. November 2020, GZ 31 Cg 6/20b‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133337

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz jener Gebühren, die er für seine Tätigkeit als Sachverständiger im Anlassverfahren verzeichnet hatte, die ihm dort nach seiner Enthebung aber – seiner Ansicht nach rechtswidrig – nicht zuerkannt wurden.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts. Zwar sei die vom Rekursgericht im Anlassverfahren vertretene Ansicht, wonach eine Bindung an die Begründung des Beschlusses über die Enthebung des Klägers als Sachverständiger (an sein dort angenommenes Verschulden an seiner Enthebung) bestehe, und schon deshalb keine Gebühren zustünden, rechtlich unvertretbar gewesen. Allerdings wäre seinem Rekurs auch dann nicht Folge zu geben gewesen, wenn das Rekursgericht die Frage des Verschuldens an der unterbliebenen „Vollendung“ der gutachterlichen Tätigkeit des Klägers eigenständig auf Basis des vom Erstgericht festgestellten sowie sich aus dem Akt ergebenden Sachverhalts rechtlich richtig beurteilt hätte. Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens sei daher – auch weil der Kläger in seinem Rekurs auf die maßgebliche Begründung des Erstgerichts nicht einging –berechtigt. Die Beurteilung, es sei ihm anzulasten, dass seine unvollendet gebliebene Sachverständigentätigkeit im weiteren Verfahren nicht verwertet werden konnte, was von den Gerichten im Anlassverfahren als zusätzliche Voraussetzung für den Entfall des Gebührenanspruchs angenommen wurde, sei rechtlich vertretbar gewesen.

[3] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[5] 2.1. Beruht eine Entscheidung auf einer rechtlich unvertretbaren Rechtsansicht, kann der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens erhoben werden, wenn auch eine richtige Entscheidungsbegründung zum gleichen Ergebnis geführt hätte (RIS‑Justiz RS0022889).

[6] 2.2. Gemäß § 25 Abs 3 erster Satz GebAG hat der Sachverständige, wenn seine Tätigkeit aus seinem Verschulden unvollendet blieb, keinen, sonst nur einen Anspruch auf die seiner unvollendeten Tätigkeit entsprechende Gebühr. Dass die Tätigkeit des Klägers im Anlassverfahren wegen seiner Enthebung (verfahrensrechtlich: vgl etwa 16 Ok 1/18k) unvollendet blieb, ist unstrittig.

[7] 2.3. Die Gesetzesmaterialien (1336 BlgNR 13. GP  26) nennen als Beispiel für ein Verschulden des Sachverständigen, dass er nach Befundaufnahme trotz mehrmaliger Fristsetzung das Gutachten nicht erstattete. Die Judikatur nimmt etwa ein Verschulden an, wenn der Sachverständige wegen unnötiger Verfahrensverzögerungen enthoben wurde (Krammer/Schmidt/Guggenbichler, SDG‑GebAG4 § 25 GebAG E 217), er einen Gutachtensauftrag übernahm, dem er nicht gewachsen war und den er daher zurücklegen musste (WR 555; SV 2008, 141), er auf einen Ausschlussgrund (SV 1998, 36; 2002, 27; 2011, 154) oder einen erkennbaren Befangenheitsgrund nicht hinwies (SV 2010, 101) oder den Auftrag unbegründet nicht erledigte, einen unzulässigen Antrag auf Beweisaufnahme stellte, übermäßige Gebühren begehrte und das Gericht daher die Vertrauensbasis zu ihm verlor (SV 1993, 27).

[8] 2.4. Die Beurteilung des Verschuldens begründet als Einzelfallentscheidung typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0105331; RS0044088; zu § 25 Abs 3 GebAG vgl Walzel von Wiesentreu in Attlmayr/Walzel von Wiesentreu, Sachverständigenrecht² [2015] Rz 10.079).

[9] 2.5. Das Erstgericht ging im Anlassverfahren von einem Verschulden des Klägers an seiner Enthebung sowie der dadurch unterbliebenen „Vollendung“ seiner Tätigkeit aus, weil seine Vorgehensweise „umständlich, viel zu weitschweifig, ungewöhnlich und den Parteien unzumutbar“ gewesen sei. Er sei schon „beim ersten Vorsprechen“ sowie in der Verhandlung nicht gewillt gewesen, „sich den Erfordernissen des Parteienprozesses unterzuordnen“ und habe sich nicht an die Grenzen des Vorbringens der Parteien gehalten, sondern von diesen ergänzendes Vorbringen gefordert. Es sei offensichtlich sein Ziel gewesen, ein „perfektes Gutachten“ im Sinne einer dissertationsähnlichen Arbeit zu verfassen. Er habe unnötig kostenintensiv gearbeitet und – obwohl er die voraussichtlichen Kosten für seine gesamte Tätigkeit mit 70.000 EUR angegeben hatte – allein für Vorbereitungstätigkeiten rund 58.000 EUR verzeichnet. Er habe es unterlassen, Urkunden von den Parteien abzufordern und in sein Gutachten einzuarbeiten und habe stattdessen ein – wie sich aus dem Akt ergibt – 270 Seiten umfassendes Konzept erarbeitet, das aber im Hinblick auf erstaufzunehmende Beweise noch weitgehend abzuändern gewesen wäre und das er den Parteien – die den Kläger aufgrund seiner Vorgehensweise als Sachverständigen „ablehnten“ – sowie (zunächst) dem Gericht daher auch nicht zur Verfügung gestellt habe. Sowohl die Parteien als auch die Erstrichterin hätten aufgrund dieser Vorgehensweise des Klägers das Vertrauen zu ihm verloren.

[10] 2.6. In seinem dagegen erhobenen Rekurs (der keine Tatsachenrüge enthielt) argumentierte der Kläger vor allem, nicht vom Gutachtensauftrag abgewichen zu sein. Seine Arbeitsweise rechtfertigte er bloßunsubstanziiert damit, dass diese in „komplizierten Bau- und Architektenprozessen“ üblich wäre. Seine Behauptung, er sei ohne sein Verschulden enthoben worden, begründete er nicht näher. Mitder gegenteiligen Rechtsansicht des Erstgerichts und den ihr zugrundeliegenden Tatsachen setzte er sich nicht auseinander.

[11] 2.7. Der Revisionswerber verkennt offensichtlich das Wesen des von der Beklagten erhobenen Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Er vermag nicht darzulegen, dass dem Berufungsgericht eine im Einzelfall zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlief, wenn es davon ausging, dass das Rekursgericht dem Kläger im Anlassverfahren auch bei richtiger rechtlicher Beurteilung auf Grundlage des dort in erster Instanz festgestellten bzw sich aus dem Akt ergebenden Sachverhalts ein Verschulden an der unterbliebenen Vollendung seiner Tätigkeit anlasten hätte müssen.

[12] 2.8. Das Berufungsgericht wies zudem – worauf der Revisionswerber nicht eingeht –zutreffend darauf hin, dass sich der Kläger in seinem im Anlassverfahren erhobenen Rekurs nicht mit der maßgeblichen Begründung des Erstgerichts auseinandersetzte. Dass er vom Gutachtensauftrag abgewichen wäre, was er im Rekurs hauptsächlich bestritt, hatte ihm das Erstgericht im Anlassverfahren gar nicht vorgeworfen. Warum es „nichts genützt“ hätte, wenn er im Rekurs die erstinstanzlichen Feststellungen angefochten oder dargelegt hätte, weshalb ihm die verzeichneten Gebühren im Hinblick auf § 25 Abs 3 GebAG zustünden, ist ebensowenig nachvollziehbar, wie die nunmehrige – im Rekurs noch nicht enthaltene – Behauptung, es sei ihm im Anlassverfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden. Dem Hinweis des Revisionswerbers auf mit dem Rekurs vorgelegte Urkunden kann nicht entnommen werden, was sich daraus für seinen Standpunkt ergeben hätte sollen. Rechtlich relevante Feststellungsmängel zeigt er nicht auf.

[13] 3.1. Zur Frage, ob die im Anlassverfahren unvollendet gebliebene gutachterliche Tätigkeit des Klägers für das weitere Verfahren verwendet werden konnte und ihm daher trotz seines Verschuldens ein Gebührenanspruch zustehe, wendet er sich in seiner Revision nicht dagegen, dass das Berufungsgericht die dazu von den Gerichten im Anlassverfahren vertretene Rechtsansicht, die dies verneinte, nur auf ihre – bejahte – rechtliche Vertretbarkeit und nicht auf ihre Richtigkeit prüfte. Dies begegnet auch keinen Bedenken, weil (auch) aus der behaupteten unrichtigen Lösung dieser selbständigen Rechtsfrage abgeleitete Amtshaftungsansprüche schon dann nicht bestehen, wenn dieser eine zumindest vertretbare Rechtsauffassung zugrundelag (vgl RS0049955; RS0050216 [T2]).

[14] 3.2. Ob eine Rechtsansicht vertretbar ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837). Im Anlassverfahren gingen beide Instanzen davon aus, dass ein Sachverständiger, dessen Tätigkeit aus eigenem Verschulden unvollendet blieb, dennoch Anspruch auf Entlohnung hat, soweit seine (Vor-)Arbeit im weiteren Verfahren verwertet werden konnte. Dass das Berufungsgericht dies – unter Bezugnahme auf die Judikatur zum Werkvertrag (RS0020162 [T3]) – als sachgerecht erachtete, muss hier nicht weiter beurteilt werden, weil diese Rechtsansichtdem Kläger an sich zum Vorteil gereicht. Wenn es das Berufungsgericht mangels gesetzlicher Vorgaben und veröffentlichter Rechtsprechung als rechtlich vertretbar ansah, dass der Kläger die unterbliebene Verwertung seiner (Vor-)Arbeiten im weiteren Verfahren – nach seiner Enthebung – selbst zu vertreten hatte und er zur Wahrung seines Gebührenanspruchs verhalten gewesen wäre, jene Leistungen, für die er ein Honorar beanspruchte, dem Gericht (aus eigenem) zu übermitteln, damit sie im weiteren Verfahren (teilweise) verwertet werden können, bedarf dies keiner Korrektur, lehnte er doch vor seiner Enthebung eine Übermittlung des Konzepts seines Gutachtens an die Parteienvertreter ab und und legte er dieses auch dem Gericht erst über dessen Auftrag rund vier Jahre nach seiner Enthebung vor. Im Übrigen begründete er in seinem im Anlassverfahren erhobenen Rekurs auch nicht, warum es ihm – wie er dort bloß unsubstanziiert behauptete –nicht möglich gewesen sein sollte, das Konzept dem nachfolgend bestellten Sachverständigen zu übermitteln.

[15] 4. Wenn der Revisionswerber darin eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu erkennen vermeint, dass zu bestimmten Fragen der Auslegung des § 25 Abs 3 erster Satz GebAG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe, so verkennt er das Wesen des Amtshaftungsverfahrens, in dem nicht zu prüfen ist, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern nur, ob sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (vgl RS0049955; RS0050216 [T2]). Soweit er in dritter Instanz Rechtsfragen aufwirft, denen für dasvorliegende Verfahren keine Bedeutung zukommt (etwa innerhalb welcher Frist Sachverständigengebühren zu bestimmen sind und welche Rechtsnatur ein während des Verfahrens gestellter Gebührenantrag hat), ist deren Klärung nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0111271).

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